Die Schiedsrichter-Karriere von Nicolas Jaros wäre fast beendet gewesen, bevor sie richtig anfing. Als 15-Jähriger pfiff er sein erstes Spiel gemeinsam mit Felix Thrun und „wir waren danach drauf und dran, sofort wieder aufzuhören“, wie er sich erinnert. „Die Trainerin der einen Mannschaft hat die ganze Zeit Druck aufgebaut und uns das Spiel wirklich zu Hölle gemacht.“
Das ursprüngliche Interesse am Pfeifen bekam einen Dämpfer, die Motivation sank Richtung Nullpunkt. Es ist bis heute so, das berichten Schiedsrichter und Verantwortliche aus allen Bundesländern, dass neue Schiedsrichter*innen oft direkt im ersten Jahr aufgrund solcher Erfahrungen hinschmeißen.
„Auch bei uns war diese Gefahr damals groß“, sagt Jaros offen. Dass die beiden Schiedsrichter aus Süddeutschland damals nicht hinwarfen, verdanken sie ihrem Mentor: „Er hat uns aufgebaut und die Lust am Pfeifen geweckt.“ Und, auch das gehört zur Wahrheit: Ganz am Anfang war natürlich auch das zusätzliche Taschengeld ein großer Reiz für den Jugendlichen.
Das änderte sich, je weiter es nach oben ging: Der Weg selbst wurde zum Reiz – wie in einem Computerspiel stiegen Jaros und Thrun Level um Level auf: Oberliga, Perspektivkader, Jugendbundesliga, 3. Liga, 2. Bundesliga. „Bei jedem Sprung“, sagt Jaros, „haben wir gedacht: Das war es jetzt, höher geht nimmer.“
Und doch: Jedes Mal ging es doch immer weiter. Am Anfang wollten Jaros und Thrun nur dort pfeifen, wo sie spielten – mit dem Aufstieg in die Baden-Württemberg-Oberliga war dieses Ziel im Sommer 2016 erreicht. Ein halbes Jahr später fuhren sie das erste Mal zur Sichtung für den Deutschen Handballbund beim renommierten Osterturnier in Biberach (IBOT). Sie wurden nicht ausgewählt, aber die Erinnerung blieb haften. „Wir haben damals die Schiedsrichter bewundert, die das Finale pfeifen durften“, erinnert sich Jaros. Ein Jahr später waren sie erneut beim IBOT – und bekamen selbst das Endspiel. Das nächste Level war erreicht; „ein absolutes Highlight“, nennt Jaros das Erlebnis heute.
In den kommenden Jahren reihte sich eine Herausforderung an die nächste. Dass es vom Aufstieg in die 3. Liga bis zum Aufstieg in die 2. Bundesliga sechs Jahren dauern sollte, schreibt Jaros heute selbstkritisch ihrem eigenen Engagement zu. „Wir haben in den ersten zwei Jahren in der 3. Liga nicht das investiert, was man auf diesem Level investieren muss“, sagt er ehrlich. „Irgendwann haben wir uns dann gefragt: Lassen wir unsere Karriere jetzt ausklingen oder greifen wir an?“
Die beiden Schiedsrichter entschieden sich für letzteres. „Letztendlich will man als Schiedsrichter – ebenso wie als Spieler – immer den nächsten Schritt gehen“, sagt Jaros, der parallel zum Pfeifen als Industriekaufmann arbeitet. „Wir haben uns nach jedem Aufstieg gedacht: Schaffen wir das? Und wir haben es geschafft.“ Sich selbst zu beweisen, dass man es kann: Das ist nicht nur für Jaros, sondern auch für viele Kollegen auf den unterschiedlichen Ebenen ein großer Antrieb. „Wir wollten dann eben doch nicht nach ein oder zwei Jahren still und leise aus der 3. Liga verschwinden“, sagt Jaros.
Nach sechs Jahren in der 3. Liga – mit Highlights wie einem Derby bei den Männern vor 8.500 Zuschauern – stieg das Schiedsrichterteam Jaros/Thrun im Sommer in den Bundesligakader auf. Dort wollen sich die Freunde nun erneut beweisen – und haben das nächste Level vor Augen: Nach dem Debüt in der 2. Bundesliga der Männer hoffen sie auf ihre erste Ansetzung in der 1. Bundesliga der Frauen. „Wir machen uns keinen Druck und vertrauen dem Plan, den Jutta (Jutta Ehrmann-Wolf, Leiterin Schiedsrichterwesen im Deutschen Handballbundes, Anm. d. Red.) für uns hat“, sagt Jaros.
Inzwischen hat der Schiedsrichter auch eine ganz neue, persönliche Motivation gefunden: Die Begeisterung seines dreieinhalbjährigen Sohnes. Im November war der Junior das erste Mal mit der Familie in der Halle, sonst verfolgt er die Spiele im Fernsehen. „Er fragt zu Hause: Darf ich heute den Papa angucken?“, sagt Jaros mit einem Lächeln. „Das erfüllt mich mit Stolz und ist ein Ansporn, immer weiter zu machen.“
Nicolas Jaros: 3 unabdingbare Werte als Schiedsrichter
1. Demut
2. Zielstrebigkeit
3. Führungsverantwortung