Fünf Jahre in der LIQUI MOLY HBL, ein Champions-League-Finale sowie mehrere Welt- und Europameisterschaften: Für zahllose Handballer wäre bereits ein Bruchteil dieser Vita ein großer Erfolg. Maike Merz und ihre Schwester und Gespannpartnerin Tanja Kuttler haben all diese Wegmarken – und noch so manchen Meilenstein mehr – bereits erreicht. Sie haben für diese Erfolge ebenso wie Spieler Woche für Woche geschuftet, trainiert, geackert.
Im Gegensatz zu den handball-spielenden Stars auf dem Feld wird bei den handball-pfeifenden Stars jedoch immer wieder abgeklopft, was sie eigentlich antreibt – nicht zuletzt (offensichtlich) auch in diesem Format. „Bei einem Spieler auf diesem Level“, sagt Merz, „wird die Motivation hingegen nicht in dieser Regelmäßigkeit hinterfragt.“
Der Wunsch nach dem nächsten (und besseren) Vertrag, die Sehnsucht nach einem Titelgewinn oder der Traum von einer Nominierung für die Nationalmannschaft sind im Profisport als Motivation für die Spieler allgemein akzeptiert. Dass auch die Top-Schiedsrichter auf diesem Niveau sportliche Ziele verfolgen, bleibt hingegen (meistens) unbeleuchtet. „Das Pfeifen ist unser sportlicher Wettkampf“, betont Merz. „Wir sehen uns als Sportler, als Leistungssportler, und verfolgen diese Karriere ebenso ernsthaft wie Spieler oder Trainer.“
Die beiden handballbegeisterten Schwestern, die bis zu ihrem Aufstieg als Schiedsrichter in den Deutschen Handball selbst noch als aktive Spielerinnen auf dem Feld standen, ordnen entsprechend auch ihren Alltag der Schiedsrichterei unter. Der Urlaub richtet sich nach dem Spielplan, für den Handball verpassten sie schon etliche Familienfeiern und auch in ihrem ‚Brotjob’ stecken sie zurück, um die Schiedsrichterei so seriös wie möglich zu verfolgen.
„In den vergangenen Jahren gab es eine extreme Weiterentwicklung, die Schiedsrichter sind immer mehr zu Sportlern geworden und die Rahmenbedingungen werden immer professioneller“, beschreibt Merz. Eine intensive Analyse der eigenen Leistung ist dabei für die Schwestern ebenso selbstverständlich wie das Trainingsprogramm, das in Abstimmung mit Fitnesstrainern des Weltverbandes IHF individuell für die internationalen Spitzenschiedsrichter entworfen wird oder die Zusammenarbeit mit Mentaltrainern. Das Pfeifen auf höchstem Niveau gleicht längst den Anforderungen an einen Leistungssportler im Handball.
Damit, dass dem Einsatz und der Motivation der Schiedsrichter im Leistungssport dennoch oft mit einer Melange aus Neugier, Skepsis oder Unverständnis begegnet wird, haben sich Merz und Kuttler längst abgefunden. „Die Rolle des Schiedsrichters wird in erster Linie leider immer noch mit negativen Aspekten assoziiert“, bedauert die 37-Jährige. „Das ist schade, denn auch als Schiedsrichter hat man positive Erlebnisse und feiert Erfolge – wenn auch oft hinter verschlossenen Türen, weil sie nicht so greifbar sind wie eine Meisterschale oder ein Pokal.“
Die beiden Schwestern wollen daher keine Erfahrung missen. „Wir sind seit unserer Kindheit riesige Handballfans und der Sport ist uns extrem wichtig“, beschreibt Merz. „Entsprechend macht es uns unheimlich Spaß, als ‚dritte Mannschaft‘ bei den Spielen anzutreten und wir hoffen, dass die positiven Aspekte der Schiedsrichterei in Zukunft immer sichtbarer werden.“
Denn abseits des Leistungssports und aller Karriereziele haben auch Merz und Kuttler schlicht und einfach Spaß. Das Pfeifen ist ihre große Passion – so, wie das Spielen es für die Mannschaften und ihre Akteure ist. „Wir sind extrem ehrgeizig und lieben den Handball“, sagt Merz. „Für uns stellt sich die Frage, was uns antreibt, daher gar nicht.“
Maike Merz: 3 unabdingbare Werte als Schiedsrichter
1. Fleiß
Als Schiedsrichter bist du nie perfekt. Du findest in jedem Spiel etwas, was du verbessern kannst. Aber wenn du bereit bist, an dir zu arbeiten (und das musst du sein, um voranzukommen), entwickelst du dich immer weiter. Das ist für uns bis heute Antrieb und Ziel zugleich. Dafür braucht es die Fähigkeit zur Selbstkritik – und schlicht und einfach Fleiß. Uns gelingt es inzwischen, Fehler positiv zu sehen. Jeder Fehler ist für uns eine Chance, denn indem wir erkennen, was wir falsch gemacht haben, können wir es im nächsten Spiel besser machen – und dadurch noch besser werden.2.
2. Anpassungsfähigkeit
Auf dem Spielfeld gibt es keine Routine. Du musst als Schiedsrichter lernen, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen und bereit sein, dich immer wieder auf neue Menschen und Situationen einzustellen. Die Fähigkeit, sich stets den Gegebenheiten anzupassen, ist daher ganz wichtig. Aber, Achtung: Bei aller Empathie und Flexibilität muss ein Schiedsrichter natürlich berechenbar sein und bleiben, was seine Linie angeht.
3. Professionalität
Wir haben noch nie in unserem Leben etwas halb gemacht (dann lieber gar nicht). Das gilt auch und gerade für die Schiedsrichterei. Wir nehmen das Pfeifen entsprechend sehr ernst. Wir sind zuverlässig, gehen jedes Spiel konzentriert an und setzen uns – siehe Punkt 1 – selbstkritisch mit unserer Leistung auseinander, um noch besser zu werden. Das ist unsere Verantwortung, denn jede Mannschaft hat eine bestmögliche Schiedsrichterleistung verdient.