Mit wassergekühltem Frontmotor, Vorderradantrieb und italienischer Alta Moda aus dem Atelier des Stardesigners Giorgetto Guigiaro befreite der Passat Volkswagen vor 50 Jahren aus der Sackgasse antiquierter Heckmotortypen. Vor allem aber war der erste Passat Vorbote für Golf, Scirocco und Polo, jene Familie aus jungen Wilden, die in den 1970ern alle konservativen Opel und Ford das Fürchten lehrte. Bis auf Platz drei im Ranking der weltweit meistverkauften Pkw brachte es der Passat inzwischen, wurden doch in acht Generationen über 30 Millionen Einheiten an Familien, Dienstwagenfahrer und Kombifans ausgeliefert. Längst ist China der wichtigste Markt für das vielseitige Mittelklassemodell, das es hierzulande heute nur noch als Variant gibt. Allein in dieser Karosserieform konnte die Familienkutsche dem Trend zum SUV trotzen – und die einstigen Rivalen aus Köln und Rüsselsheim überleben. Wie lassen sich 50 Jahre Passat feiern? Volkswagen will das Goldjubiläum des Klassikers offenbar nicht nur mit einem Blick zurück zelebrieren: Passat Nummer neun macht sich startklar, natürlich als Kombi.
Es ist kein Geheimnis: Der erste Passat hieß ursprünglich Audi 80. Dieser hochmoderne Ingolstädter lieferte Anfang der 1970er die technische Basis für das innerhalb von nur zwei Jahren realisierte Wolfsburger Parallelmodell, mit dem sich Volkswagen damals in die Zukunft katapultierte. Obwohl der Käfer noch 1972 das Ford T-Modell als Produktionsweltmeister entthronte, die Typ-3-Mittelklasse als Variant vorläufig ausreichend Käufer fand, und die Typen VW 411/412 zeitweilig besser liefen als der von NSU geerbte Frontantriebs-Typ K70, drohte am Horizont damals der Sonnenuntergang für alle luftgekühlten Boxer- und Heckmotor-Konstruktionen. Genau deshalb experimentierte VW seit Ende der 1960er an einer markenübergreifenden wassergekühlten Frontmotor-Modellfamilie für den ganzen Konzern. Giorgetto Giugiaro war mit der Formenfindung beauftragt worden, allerdings erwies sich der von ihm gezeichnete Passat-Vorreiter „EA 272“ als zu kostspielig. So die Meinung des 1971 neu inthronisierten VW-Konzernchefs Rudolf Leiding, der sich bei der Sanierung von Audi den Ruf eines Krisenmanagers erworben hatte und nun den 1972 lancierten Audi 80 als erstes konzernweit vertriebenes Baukastenmodell reüssieren lassen wollte. Giugiaro – von Volkswagen öffentlich als „Jüngster unter den Besten“ gefeiert – bekam deshalb den Auftrag, die Fließheckform des VW „EA 272“ auf den Audi 80 zu übertragen und einen Kombi zu zeichnen. Nach nur zwölf Monaten war der Volkswagen Passat serienreif – und damit die Ablösung für den Typ 3 und die schwächelnden 411/412 am Start.
„Typ 511 wollten wir es nennen … aber keine Zahl gefiel uns mehr“, erklärte VW im Frühling 1973 in einer Pressemitteilung, „Passat, der sichere Segelwind auf dem Kurs um die Welt, hat gewonnen!“ Und tatsächlich: Der Passat nahm nicht nur den Giugiaro-Familienstil vorweg, der ab 1974 Scirocco und Golf prägte, ihm gelang zugleich eine globale Karriere, die sogar die Exporterfolge von Käfer und Golf übertraf. Auch die Chinesen lernten den Niedersachsen lieben, anfangs den Passat B2 als Santana, dann folgte 2005 der Millionseller Magotan mit langem Radstand.
Japan, Brasilien, Mexiko oder Südafrika wurden ebenfalls früh Produktionsstandorte für den Passat. Bald wurde die Mittelklasse in fast in allen Winkeln der Welt vertrieben oder produziert, eine Karriere, die dem Golf so nie gelang. Allerdings passte sich der Passat dabei durchaus lokalen Vorlieben an, lief in der ersten Generation etwa als Dasher für die USA (ab 1974) vom Band oder als Kombi unter dem Label Audi Fox für angelsächsische Länder (ab 1975). Ab 2011 gab es zudem die besonders preiswert zu produzierenden, sogenannten „New Midsize Sedans“ für Nordamerika und asiatische Märkte. In der zweiten Passat-Generation zeigte sich der VW für Japan als VW Nissan Santana Autobahn, für Mexiko als Corsar, für Argentinien als Carat und für mehrere lateinamerikanische Länder sogar als Ford Versailles und Ford Royale.
„Passat. Mit diesem Auto beginnt etwas Neues“, lautete 1973 die Einführungskampagne für den Wegbereiter der Wolfsburger Frontantriebs-Familie und der Passat ließ diesen Worten Fakten folgen. Bis heute schafft es das inzwischen meistverkaufte Mittelklasseauto aller Zeiten immer wieder, mutige Akzente zu setzen. Waren es am Anfang der Frontantrieb und neue Leichtbautechniken (der Variant wog nur gut 900 Kilo) sowie kräftige Motoren für sportive Fahrleistungen (der Passat TS mit 63 kW/85 PS maß sich mit BMW 1602 oder Alfa Giulia), folgten bald weitere Überraschungen.
So gab es ab 1975 das Fließheck mit Heckklappe, womit der Passat Anschluss fand an französische Avantgardisten à la Simca 1307/1308 oder Renault 16. Der 1980 vorgestellte und deutlich größer dimensionierte Passat B2 präsentierte sich mit dem Innovationsbündel Allradantrieb im Syncro, Turbodiesel und Fünfzylinder-Benziner, da konnte nicht einmal der avantgardistisch gestaltete Ford Sierra in den Verkaufszahlen mithalten. Auch der dritte Passat sorgte 1987 für Unruhe in der Branche, verzichtete er doch ähnlich wie heute manche Elektromodelle auf den Kühlergrill. Ein Design-Irrweg, der deshalb vom Passat B4 (1993 bis 1997) korrigiert wurde.
Nun war Premium angesagt, VW-Chef Ferdinand Piëch spendierte dem Wolfsburger Topmodell zuerst Sechszylinder und starke TDI-Diesel und positionierte den Passat B5 (1996 bis 2005) als kleinen Phaeton mit optionaler Achtzylinder-Maschine. Das Flottengeschäft und die Kundengunst gewannen jedoch weiter die VW-Vierzylinder. Auch der Passat B6 (2005 bis 2010) riskierte Extravaganzen, die kein nachhaltiger Erfolg waren. Das viertürige Coupé CC als Alternative zum Mercedes CLS? Die Kundschaft präferierte den Passat konventioneller, vor allem als Variant. Für Furore sorgt seit dem Passat B7 (2010-2014) der Alltrack als SUV-Alternative. Zugleich erneut ein klares Kundenvotum für den Kombi, der deshalb heute im Passat B8 die einzige Karosserievariante stellt und künftig im Passat B9 weiterlebt.
Und fürs E-Zeitalter? Kommt der ID.AERO, salopp „Elektro-Passat“ genannt. Ein vollelektrisches Modell, gleichsam auf den Spuren des Passat von 1973, symbolisch stehend dafür, dass VW sich neu erfindet. Wie vor 50 Jahren. Vom Band laufen wird der ID.AERO im Werk Emden, wo entsprechende Vorbereitungen schon getroffen wurden.