Nach dem Strategieplan „Renaulution” des französischen Autobauers Renault sollen unter dem Dach von Alpine bereits ab 2024 nur noch elektrische Sportler entwickelt und gebaut werden. Auch das Sportcoupé A110 gibt es dann – wahrscheinlich ab 2026 – nur noch mit Stromanschluss. Doch bevor es so weit ist, lassen die Franzosen noch einmal die Sau raus. Mit dem neuen A110 R kommt nun die laut Alpine „radikalste Form” des ikonischen Mittelmotor-Sportwagens. Ein scheinbar kompromissloser Straßenfeger, nur so zum Spaß.
Und damit man gleich kapiert, woher der frische Wind weht, lackiert Alpine sein neues Spielzeug im Mattblau der aktuellen Formel 1-Autos A522. Das Carbon-Dach glänzt immer in schwarz. Am Herzen operieren die Franzosen nicht. Wie beim bisherigen Topmodell A110 S sollen 221 kW/300 PS und 340 Newtonmeter reichen. Oder besser gesagt: müssen. Denn eine weitere Leistungssteigerung mit mehr Drehmoment hätte das bereits verstärkte Doppelkupplungsgetriebe nicht mehr mitgemacht. Und ein komplett neues zu entwickeln, wäre zu teuer gewesen.
Optisch und im Detail aber radikalisiert sich das Sportcoupé durchaus. Der Franzose wird zum Rennwagen mit Straßenzulassung. Was längst nicht jedem gefallen dürfte, da der moderne Sportanzug der klassischen Retro-Linie des A110 auch ein Stück ihrer Unschuld nimmt, das Puristische bleibt auf der Strecke.
An der Frontschürze sehen wir größere Lufteinlässe, vom A110 S kommen die Carbon-Spoilerlippe sowie der Heckflügel, der auf einer Schwanenhals-Halterung befestigt, etwas weiter hinten montiert wird und über einen geringeren Anstellwinkel verfügt. Der Diffusor am Heck wird breiter, neue Unterboden-Finnen sollen den Luftstrom effektiver kanalisieren. Im Verbund mit dem kompletten Aeropaket bringen die Maßnahmen laut Alpine eine deutliche Verbesserung des Anpressdrucks. Also mehr Bremskontrolle und bessere Straßenlage bei hohen Kurventempi. Die sogenannte Down Force erhöht sich am Heck bei der Höchstgeschwindigkeit von 280 km/h um 29 Kilogramm, der Luftwiderstand im Renntrimm sinkt um bis zu fünf Prozent.
Auch die konsequente Gewichtsreduzierung stand auf der To-do-Liste der Renault-Tochter. Die Fronthaube besteht nun komplett aus leichtem Kohlefaser-Verbundwerkstoff, ebenso die Schwellerleisten. Der Diffusor ist aus Kohle- und Glasfaser gefertigt, die Trennwand zum Motorraum aus Aluminium. Ebenfalls aus Karbon baut Alpine die Heckabdeckung und statt der üblichen Heckscheibe gibt es nun nur noch zwei kleine Lufteinlässe für den Motor. Selbst die eigens für den A110 R gemeinsam mit Rennprototypenhersteller Duqueine entwickelten 18-Zoll-Räder sind aus Karbon und damit 12,5 Kilo leichter als beim A110 S. Nur konsequent, dass Alpine schließlich auch noch das Dämmmaterial weitgehend aus dem Auto schmeißt. Am Ende steht der A110 R mit einem Kampfgewicht von lediglich 1.082 Kilo am Start – 34 weniger als beim A110 S.
Halt, jetzt noch nicht durchdrehen, es geht ja noch weiter. Das Profigerät hat auch im Kern einen voll auf den Rennsport fokussierten Charakter. So sind serienmäßig Semi-Slicks von Michelin montiert, die bei Nässe eine äußerst kurze Zündschnur haben. Die Brembo-Bremsanlage hat 32 Zentimeter große, innenbelüftete Verbundstoffscheiben, das Sportfahrwerk mit hydraulisch einstellbaren Sachs-Stoßdämpfern wurde um einen Zentimeter abgesenkt, Querstabilisatoren und Federn steifer ausgelegt.
Bevor wir uns in die Kurven schmeißen, ein Blick in den Rennanzug des A110 R. Auch hier „leichte Kost”: Rote Schlaufen statt Türöffner, Sitzschalen aus Karbon, kein Innenspiegel, dazu 6-Punkt-Hosenträgergurte aus dem Rennsport – Kilo für Kilo abgespeckt. Und das merkt man durchaus, wenn die sportlichste Dame des Hauses in die Gänge kommt. Es ist fast so, als könne sie nun befreiter durchatmen. Das Leistungsgewicht beträgt nur noch 3,9 Kilo pro PS, Alpine verspricht den Spurt auf Tempo 100 mit Launch Control in 3,9 Sekunden, 1.000 Meter sollen aus dem Stand in 21,9 Sekunden erledigt sein. Werte, die sich per se auf jeder Visitenkarte eines Sportwagens gut lesen.
Überraschend ist dabei, dass der A110 R auf seiner Mission eine gute Portion Empathie im Gepäck hat. Das Fahrwerk poliert nicht – wie vielleicht erwartet – humorlos die Bandscheiben, die spärlich gepolsterten Schalensitze sind nicht knüppelhart, der Motor hat nicht mit Pastis gegurgelt und perforiert dir gnadenlos das Trommelfell. Alles human, hier ist kein Extremist am Werk, der den Alltag mit der Rennstrecke verwechselt. Wenn man denn will, macht der A110 R aus jeder Kurve eine Gerade. Klebt geradezu am Asphalt. Er kann aber auch Zone 30. Manch einem wird da vielleicht sogar zu wenig Sportsgeist mitfahren, könnte der neue Top-Athlet ruhig noch radikaler sein.
Wer sich mit dem A110 R auf den Rundkurs begibt, hat im Werkzeugkasten durchaus das Zeug, den Charakter weiter zu schärfen. Auf der Jagd nach Zehntelsekunden lässt sich das Fahrwerk (mit abgebauten Rädern) nochmals um einen Zentimeter absenken sowie die Zug- und Druckstufe der Dämpfer zwanzigfach an den persönlichen Fahrstil anpassen. Parameter wie Gasannahme, Ansprechverhalten der Lenkung oder Schaltpunkte des Getriebes sind individuell einstellbar, das ESP und der Auspuffsound ebenfalls. Voilá – fertig ist die Renn-Alpine.
So bekommt der solvente Kunde einen Fanartikel, den sich die Franzosen vergolden lässt. Mit 103.000 Euro ist der A110 R nicht nur knapp 30.000 Euro teurer als der A110 S, sondern kostet auch fast 17.000 Euro mehr als ein 400 PS starker Porsche Cayman GTS. Ein ziemlich radikaler Kurs.
Autor: Tomas Hirschberger (SP-X)
Fotos: Alpine