Wie sieht das Fahren mit abgeregelter Geschwindigkeit aber im Praxistest aus? Montagmorgens um sieben und nüchtern in der Kölner Klinik Links vom Rhein erscheint, um eine Blutprobe abzugeben und mit einem Langzeit-EKG ausgerüstet zu werden. Dann geht es als Versuchskaninchen im Dienste Volvos auf die Autobahn.
Der Hersteller hat sich folgende Versuchsanordnung ausgedacht: Wir fahren in Zweierteams eine reine Autobahnstrecke von rund 460 Kilometern, die von Köln Richtung Frankfurt führt, dann wieder zurück über Gießen und Olpe in die Domstadt. Einer fährt den Volvo XC60 B5 AWD aus dem Modelljahr 2021, der bei 180 Stundenkilometern abregelt, der andere das gleiche Modell ohne elektronische Sperre. Mit anderen Worten, in diesem letzteren SUV hat man die Lizenz zum schnellen Fahren, selbstredend nur da, wo es gesetzlich erlaubt ist. Bei der Rückkehr wird nicht nur das EKG-Gerät ausgelesen, die Probanden werden auch wieder zur Ader gelassen, um im Labor möglicherweise erhöhte Mengen von Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol zu ermitteln. Aus seiner eigenen Erfahrung weiß Dr. Ulf Esser von der Klinik Links vom Rhein, dass diese Stresshormone, abhängig natürlich von den unterschiedlichsten Faktoren, über Stunden nach der Ausschüttung im Blut messbar bleiben.
Es ist ein sonniger Montagmorgen, der zur Abfahrt um 8.45 Uhr mit dem ungeregelten XC60 lädt. Man könnte auf der A3 in südlicher Richtung glatt den Eindruck gewinnen, als wären Corona, Lockdown und Homeoffice nur ferne Erinnerungen im Großraum Köln und leere Straßen unbegründetes Wunschdenken. Jedenfalls reihen sich Pendler, Lkw, Lieferwagen und Urlaubsfahrer Richtung Süden ein und bremsen dabei da, wo kein mahnendes 120 km/h-Schild steht, den Vorwärtsdrang mächtig ein. Denn man muss, ja, man will sogar, so die Volvo-Vorgabe, die Tachonadel dieses XC60 über den Strich 200 führen. Im Rückspiegel taucht immer wieder die Kollegin am Steuer ihres abgeregelten „Vision 2020“-XC60 auf. Es ist eine moderne Version des Rennens zwischen Hase und Igel. Und immer, wenn der Hase freie Fahrt erschnüffelt und per Kickdown die 173 kW/235 PS des Fünf-Zylinder-Diesels mobilisiert, schert natürlich just in diesem Moment ein Pkw mit Wohnwagen oder ein ganz eiliger Transporter, bei dem der Rückspiegel vermutlich ein kostenpflichtiges Extra ist, aus. Von den beliebten „Elefantenrennen“ ganz zu schweigen.
Jeder Autofahrer, der mit hohem – und hoffentlich immer angepasstem – Tempo, seien es 130 oder 220 km/h, unterwegs ist, kennt diese Situation: Diese Schrecksekunde, wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer plötzlich die Fahrbahn wechselt. Man notiert sich die Uhrzeit, denn das EKG wird diesen Moment des beschleunigten Pulses messen, ebenso dürfte die Nebenniere ihre Stresshormone ausschütten. Die sind eine nötige Mitgift unserer Urzeitahnen, eine Art Elitetruppe des Körpers, die den Menschen kurz gesagt bei drohender Gefahr unterstützt. Zum Beispiel bei der Alternative fliehen oder kämpfen. Dennoch welche Freude, wenn das Versuchskaninchen Richtung Gießen endlich für ein paar Kilometer freie Fahrt hat und sich die Nadel kontinuierlich Richtung 220 Stundenkilometer bewegt. Die Vergleichsfahrt endet um 12.35 Uhr. Der ungeregelte XC60 hat 11,06 Liter verbraucht, die Igel-Kollegin ungefähr einen halben Liter weniger. Auch bei den anderen Kollegen mit der Volvo-Lizenz zum Adrenalinkick waren die Verbräuche über 11 Liter auf 100 Kilometer, die der auf Tempo 180 beschränkten Kollegen bis zu einem Liter weniger.
Zumindest was die Messergebnisse dieser Probandin betrifft, konnte Ulf Esser zufrieden sein. Kurze Ausschläge des EKG bei den zwei, drei Situationen wie Ausscheren auf die linke Fahrbahn von anderen, oder unvermittelt notwendig gewordene Bremsmanöver. Dass die Stresshormonpegel trotzdem unter dem Normwert blieben, hat weniger damit zu tun, dass ein weiblicher Lewis Hamilton lenkte, sondern liegt wohl eher am Beruf. Auch Motorjournalisten sind Berufskraftfahrer, auf jedem Terrain von Offroad bis Rennstrecke unterwegs, und hier kraft Erfahrung meist auf alle Überraschungen gefasst.
Fotos: Volvo