50 Jahre Alfa Romeo Montreal: Gandinis Traumwagen

Diese Studie war aufregend anders. Der von Marcello Gandini in futuristische Formen gegossene Alfa Montreal sollte auf der Expo 1967 das ultimative Traumauto verkörpern. So gewagt dieser Anspruch auch war, der schnelle Montreal wurde 1970 Realität und Alfa fuhr auf Augenhöhe mit Maserati.

Alfa Romeo und Bertone, diese Allianz brachte einige der aufregendsten Sportcoupés aller Zeiten hervor. Während jedoch futuristische Bertone-Studien wie die BAT-Typen aus den 1950er Jahren schöne Träume blieben, nahm der 1967 für die Weltausstellung in Montreal/Kanada vom damals erst 29-jährigen Marcello Gandini entworfene Gran Turismo Montreal auf geniale Art den Geist der 1970er vorweg. Flache Formen für einen furiosen V8-Rennmotor, dazu ein bisschen Fake durch Kiemen für einen vermeintlichen Mittelmotor und knallige Farben: Fertig war ein spektakuläres Power-Coupé, das Panik im Club der Supersportwagenbauer bewirken sollte. Immerhin musste der von Bertone karossierte 2+2-sitzige Alfa „den größten automobilen Wunschtraum des Menschen erfüllen“, wie die Macher der Expo 1967 verlangten, die exklusiv die Mailänder Marke mit dem Quadrifoglio beauftragt hatten, einen ultimativen Traumsportwagen zu kreieren. Tatsächlich zogen die insgesamt zwei, zunächst namenlosen, neutral weiß lackierten Studien, auf der Weltausstellung täglich rund eine halbe Million Besucher in ihren Bann, wozu die spektakuläre Präsentation zwischen einer Spiegel-Galerie nicht unerheblich beitrug. Als Alfa Romeo auch noch nach Ausstellungsende Bestellungen für die Coupé-Concepts erhielt, bekam die Entwicklungsabteilung den überraschenden Auftrag, das Projekt „Montreal“ im Jahr 1970 in Serie gehen zu lassen.

Die Supercar-Konturen der 1970er können auf eine Form reduziert werden: Keil. Extremes Design, das von Bertones Stardesigner Marcello Gandini und Giorgietto Giugiaro durchgesetzt wurde, und für das flache Sportcoupés wie Lamborghini Miura und Alfa Montreal direkte Vorboten waren. Auch antriebstechnisch bot der nur 1,21 Meter hohe Montreal Delikatessen, die sonst nur reinrassige Rennwagen zur Schau stellten. Denn während die Stilstudien auf der Weltausstellung in Kanada aus Kosten- und Zeitgründen noch einen 1,6-Liter-Vierzylinder aus der Giulia unter der Motorhaube verbargen, sorgte im Serienmodell des Montreal ein technischer Leckerbissen aus dem legendären Rennsportmodell Alfa Tipo 33/2 für spektakuläres Temperament: Eine straßentaugliche Variante des V8 mit nassen Laufbuchsen, 90-Grad-Kurbelwelle, vier oben liegenden Nockenwellen, Ölversorgung via Trockensumpfschmierung und gewichtssparender Fertigung aus Aluminium.

Zugunsten alltagstauglicher Kraftentfaltung wurde der Hubraum des ersten in Serie gebauten Alfa-Romeo-V8 von 2,0 auf 2,6 Liter erhöht. Die damals überaus respektable Leistung von 147 kW/200 PS – mehr als etwa bei Porsche 911 S oder Ferrari Dino – lag bei 6.400 Touren an. Möglich war sogar ein Ausdrehen des soundstark arbeitenden Aggregats bis in damalige Formel-1-Regionen von 7.000 bis 7.500 Umdrehungen, wie zeitgenössische Tests der Fachpresse bestätigten. Auch das Fünfgang-Sportgetriebe vermittelte Formel-Feeling, denn der erste Gang lag versteckt links hinten und die beim Fahren häufig gebrauchten Gänge dafür ergonomisch günstiger.

Und die Fahrleistungen? Mit einem Tempo-100-Sprintwert von 7,5 Sekunden und 224 km/h Vmax setzte der Alfa Romeo Montreal keine Traumwerte – so wie es das Dreamcar-Concept 1967 optisch in Aussicht gestellt hatte – und die Fabelwerte von V12-Boliden à la Ferrari Daytona oder Maserati Ghibli konnte das Mailänder Spitzenmodell ohnehin nicht erreichen. Aber Temperament und Fahrwerkstechnik – trotz starrer Hinterachse aus der Giulia – genügten für ein Abo auf der linken Spur von Autostrada und Autobahn und für sensationelle Durchschnittstempi auf Langstrecken.

Nützlich bei Überholvorgängen war ein zeitgeistiges, heute politisch vollkommen unkorrektes Ausstattungsdetail: Die per Schalter aktivierbare, akustisch alles durchdringende Überlandfanfare. Damals ein echtes Traumwagen-Detail. So trieb die italienische Presse einen Montreal in nur 20 Stunden die 2.574 Kilometer von Reggio Calabria nach Lübeck und ein deutscher Fachjournalist rühmte sich eines 160-km/h-Schnitts auf der Strecke Bonn-Flensburg. Mille-Miglia-Sieger und Targa-Florio-Titan Stirling Moss bewegte seinen Montreal bei einer privaten Italienreise 1972 sogar schneller als andere ihre Ferrari Daytona, die überdies häufigere Tankpausen als der Alfa einforderten.

Der mit einer Saugrohreinspritzung aufwartende Rennmotor im Montreal entzog dem 64-Liter-Tank bei Vollgas-Touren zwischen 17 und 25 Liter pro 100 Kilometer, bei ruhiger Fahrt genügten aber auch 13 Liter: Bis zur Ölkrise von 1973/74 galt dies als akzeptabel, zumal konventionelle Luxuslimousinen auf ähnliche Werte kamen. Außerdem forderte die Montreal-Preisliste trotz des nur geringfügig domestizierten Tipo-33-Rennmotors aus der Sportwagen-Weltmeisterschaft keine Phantasiesummen, sondern nur Beträge wie sonst etwa Mercedes-S-Klasse-Fahrer bezahlten. Überraschend kurz war die Optionsliste für den damals glamourösesten Alfa, umfasste sie doch nur die in Amerika essentiellen Features Klimaanlage und elektrische Fensterheber. Auf den weltweit größten Sportwagenmarkt kam der Alfa Montreal dennoch nicht.

Trotzdem gelang dem Montreal ein Überraschungscoup, der sowohl dem gefeierten Tipo 33 Stradale als auch dem auf dessen Chassis basierenden Alfa Carabo von 1968 verwehrt blieb: Eine Gesamtproduktion von fast 4.000 Einheiten und damit die Bestätigung, dass auch Prototypen begehrenswerte Alltagsqualitäten besitzen können. Mit dem Montreal teilte sich der gleichfalls von Gandini gestaltete Carabo übrigens nicht nur die Motorsport-Gene des Tipo 33, es gab die 99 Zentimeter flache Flunder in signalgrüner Lackierung, die in ähnlicher Tongebung auch den Montreal zum Strahlen brachte. Eine Farbe, die so viel Faszination vermittelte, dass Alfa Romeo heute das 50-jährige Jubiläum des V8 mit der Sonderfarbe „Verde Montreal“ für Stelvio und Giulia Quadrifoglio feiert. Der glitzernd-grüne Alfa Carabo ergänzte die Farbenlehre noch um eine grelle Facette, die andere Verkehrsteilnehmer vor dem 250-km/h-Wagen warnen sollte: Fluoreszierende orange Umrandungen der Fahrzeugfront und hellgrüne am Heck. Unter den potentiellen Käufern des keilförmigen Carabo konnte nur ein arabischer Prinz das Lichtsystem bei nächtlichen Touren durch London erproben, nachdem der Prototyp für angeblich 700.000 Mark von Bertone in die Hände von Alfa Romeo gewechselt war. Dort blieb er auch. Und der arabische Prinz wurde auf den Montreal verwiesen.

Dieser Alfa verlangte seinen Fans übrigens anfangs viel Geduld ab, denn die Serienproduktion startete erst 1971 und damit vier Jahre nach der Premiere auf der kanadischen Expo. Dennoch bewahrten die Formen des Coupés ihre Magie. Besonders die von einem Lamellengitter bedeckten Doppelscheinwerfer, die Lufteinlässe hinter den Türen und die große gläserne Heckklappe zogen alle Blicke an. Wie ein altersloses Model schmückte der Montreal sogar noch ein Jahrzehnt nach seinem 1977 erfolgten Fertigungssende Werbeanzeigen für Produkte gehobenen Lebensstils.

Fotos: FCA, autodrom

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