Sie gilt als die Urmutter der Reiseenduros: BMWs R 80 G/S, im Herbst 1980 präsentiert, hat den Grundstein für eines der wichtigsten Motorradsegmente gelegt. Innerhalb von nunmehr 40 Jahren hat BMW sechs GS-Generationen mit Boxermotor entwickelt, dazu addieren sich einige Modelle mit Ein- und Zweizylinderantrieb sowie diverse Derivate mit Boxermotor. Bescheidene 1.666 Fahrzeuge des Typs R 80 G/S sind im ersten kurzen Produktionsjahr vom Fertigungsband des Berliner BMW-Werks gerollt; die letzte vollständige Jahresstatistik (2018) dokumentiert 85.008 produzierte BMWs mit der Modellbezeichnung GS. Sechs GS-Modelle gibt es aktuell; die Motorleistung deckt von 34 PS/25 kW bei der in Indien gebauten G 310 GS bis 136 PS/100 KW (R 1250 GS Adventure) einen weiten Bereich ab. Gerade passend zum Beginn des Jubiläumsjahrs 2020 hat die Boxer-GS in Deutschland mit 10.081 Fahrzeugen einen absoluten Rekord bei den neu zugelassenen Motorrädern geschrieben: Nie zuvor waren in Deutschland von einem Motorradtyp binnen Jahresfrist ähnlich viele Exemplare auf die Straßen gelangt wie 2019.
Es waren nicht langfristige Marketing-Überlegungen, die BMW veranlassten, die R 80 G/S zu entwickeln – ganz im Gegenteil: Hintergrund war eine eklatante Krise. Denn der zuvor wichtige USA-Markt brach 1977/78 gewaltig ein. Ein neues, schnell realisierbares Modell musste her – aber woher nehmen? BMW-Entwickler boten im Januar 1979 von sich aus den so genannten „Roten Teufel“ als Lückenfüller an; mit diesem „Arbeits-Geländemotorrad“ begleiteten sie das kleine Offroad-Werksteam zu Einsätzen. 50 PS aus einem 800er Zweizylinder-Boxermotor waren gesetzt, dazu eine revolutionäre Einarmschwinge mit integriertem Kardanantrieb, ein 21 Zoll-Vorderrad mit Einzel-Scheibenbremse – und einem fahrfertigen Gewicht von 191 Kilogramm. Man muss dazu wissen: Ein auch offroad gut fahrbares Motorrad mit 800er Zweizylindermotor, 50 PS Leistung und dazu noch Kardanantrieb hatte seinerzeit weltweit kein zweiter Hersteller im Programm. BMW beschritt mit der R 80 G/S – das „G“ stand für Gelände, das „S“ für Straße – absolutes Neuland. Sogar einen Elektrostarter bot die 168 km/h schnelle, insbesondere auf Landstraßen besonders agile Maschine, wenn auch anfangs nur gegen Aufpreis.
Geschicktes Marketing half der BMW R 80 G/S schnell aus den Startblöcken: Bereits vier Monate nach der Präsentation holte der Franzose Hubert Auriol auf einer Wettbewerbsversion der G/S bei der vierten „Dakar“-Rallye den Gesamtsieg nach München. Schnell fand die G/S viele Freunde im Sport, aber sie faszinierte auch viele Fernreisende auf zwei Rädern. In nur wenigen Jahren verstand es BMW Motorrad, den Grundstein für den späteren Mythos GS zu legen. Dabei halfen drei weitere Dakar-Siege (1983 bis 1985), aber auch die technische Weiterentwicklung. Denn bereits die zweite GS-Version, die R 100 GS, setzte mit ihrem Einliter-Boxermotor und 60 PS Leistung einen neuen Höhepunkt; die 1987 in diesem Modell präsentierte Momentabstützung der Einarmschwinge, Paralever genannt, beruhigte die im Gelände doch recht unruhige Hinterhand der GS entscheidend.
Die absolute Zäsur erfolgte 14 Jahre nach dem Start der ersten G/S und insgesamt rund 66.000 in diesem Zeitraum produzierten Motorrädern: Mit der komplett neuen R 1100 GS legte BMW die Messlatte auf eine zuvor für unmöglich gehaltene Höhe. Der neue Vierventil-Boxermotor wies eine Benzineinspritzung auf, das Vorderrad wurde statt von einer konventionellen Telegabel von einem Dreiecks-Querlenker geführt, im Hausjargon „Telelever“ genannt. Es gab drei Scheibenbremsen und, erstmals für eine Reiseenduro, die Möglichkeit, ein ABS zu ordern. Auch ein G-Kat sowie ein höhenverstellbarer Fahrersitz waren im Angebot. Die Motorleistung erreichte sensationelle 80 PS – ein Plus von 33 Prozent gegenüber dem Vormodell R 100 GS. Zwar wuchs auch das Gewicht von 220 auf 243 Kilogramm, doch die Kunden ließen sich davon nicht abschrecken: Die Hightech-Wuchtbrumme faszinierte weltweit, die Produktionskapazitäten im Berliner Werk mussten beständig ausgebaut werden. In nur fünf Jahren konnte BMW gut 40.000 Einheiten absetzen. Die GS wurde immer wichtiger für das Gedeihen von BMW Motorrad.
Die folgende R 1150 GS mit nunmehr 85 PS Leistung war keine Neuentwicklung, sondern nicht mehr als ein optisch gut inszeniertes Update der R 1100 GS. Doch auch sie war erfolgreich: Schon im Jahr 2000 war die R 1150 GS das meistzugelassene Motorrad Deutschlands. Seitdem liegt hierzulande ausnahmslos die jeweils aktuelle Boxer-GS auf Platz eins der Neuzulassungen. Den für die vergangenen 15 Erfolgsjahre entscheidenden Schub erhielt das Projekt GS durch die Entwicklung der R 1200 GS mit dem Entwicklungscode K25, die 2004 auf den Markt kam und gegenüber der arg fülligen R 1150 GS um fast 25 Kilogramm abgespeckt wurde. Zugleich wurde ein kräftiges Leistungsplus auf 98 PS/72 kW realisiert. Schon im ersten Jahr schossen die Zulassungszahlen in von BMW nie gekannte Höhen, und von dort sind sie bis heute auch nicht wieder heruntergekommen. Die Ursache für diesen Langfrist-Erfolg ist kein Geheimnis: Die Boxer-GS kann alle Disziplinen zumindest gut und schwächelt auf keinem Gebiet. Damit ist sie ein besonders universell einsetzbares Motorrad, quasi das „Schweizer Offiziersmesser auf zwei Rädern“.
Waren die G/S und die erste Tausender-GS noch Solitärmodelle im BMW-Programm, so hat sich das seit mehr als zwei Jahrzehnten gründlich geändert: Es gab – und gibt – GS-Modelle mit Einzylinder- und auch Zweizylinder-Reihenmotor bei Hubräumen von gut 300 bis fast 900 Kubikzentimeter, ferner hat BMW das Angebot durch sogenannte „Adventure“-Versionen erweitert, die besonders fernreisetaugliche Fahrwerke und größere Benzintanks bieten.
Die 85.008 im Jahr 2018 produzierten GS-Modelle offenbaren, wie wichtig das Segment der Reiseenduros für die Bayern ist: Der Gesamtabsatz dieses Jahres lag bei gut 165.000 Einheiten. Jede zweite BMW war also eine GS.
Fotos: BMW