Schneller als selbst seine großen Fans es erwartet hätten, erfüllt sich die Prognose, die wir zu Elton John hier gestellt haben (KÜS Newsroom 19. Mai 2019). Denn: Kaum hat er seinen Abschied von der Bühne mit einer ausgedehnten Tournee zelebriert, kommt doch schon eine neue CD-Veröffentlichung.
Ehm – neu? Auf dem Cover steht ganz groß die Jahreszahl 1979. Ok, davon, dass hier krachneue Songs eingespielt worden wären, kann keine Rede sein. Und doch ist das Album eine Sensation, eine von historischem Wert zumal. Und dieser Wert wird sich mit den Jahren womöglich steigern. Die Veröffentlichung wird zudem kaum ohne Sir Eltons Zustimmung erfolgt sein.
Rückblick: 1979 ist Elton John auf einem Höhepunkt seiner Karriere. Sein fulminantes Album „A Single Man“ von 1978 wirkt noch nach. Später wird er einen Ausflug in die just populäre Disco-Musik unternehmen. Deren geteilte Resonanz („love it or hate it“) wird Eltons Ruf nichts anhaben. Optisch präsentiert er sich wie gewohnt als Exzentriker – Mütze, monströse Brille, Stiefel, Pose. Das, die optische Inszenierung des Interpreten in Verbindung mit seiner Musik, findet nicht überall Anklang.
Denn: Gehen seine Produktionen in vielen Ländern wie warme Semmeln über die Ladentheken, sind sie in der Sowjetunion nicht so einfach zu haben. Westliche Musik gilt als dekadent, als systemzersetzend – der Glaube an den Sozialismus und das Fernziel des Kommunismus ist unerschütterlich. Jedenfalls bei den Parteioberen.
Unter solchen Bedingungen ist ein Live-Konzert von Elton John eine Sensation. Eine, die am 29. Mai 1979 tatsächlich stattfand. In der Moskauer Rossiya-Halle sang er seine großen Hits wie „Daniel“, „Rocket Man“ und „Candle in the Wind“. Frenetischer Applaus unterbrach Eltons Vortrag schon nach den ersten Takten.
Ein Vortrag, der musikalisch überraschend minimalistisch geriet: Als Sänger wurde er nur von Ray Cooper unterstützt, Perkussionist und Schlagzeuger. Da merkt man besonders, in welch hohem Maße Eltons Stimme seine Songs trägt, dass problemlos auf aufwändige Instrumentierung verzichtet werden kann. Und dass er „noch einen draufpackt“ und ins Finale den Beatles-Song „Back In The U.S.S.R.“ packt – das mag als Verneigung des Künstlers vor seinem sowjetischen Publikum verstanden werden. Denn dem gefiel’s ohne Zweifel. Allerdings eine Verneigung in typisch britischem Humor: Kaum jemand stand damals so sehr bei den Machthabern für den Dekadenzbegriff der Unterhaltungsmusik im Kapitalismus – wie eben die „Fab Four“ aus Liverpool. Wie gesagt, eine Doppel-CD, auch als Doppel-LP zu haben, von dokumentarischem Wert. Aber den vergisst man schon mal beim reinen Hörvergnügen.
Elton John/Ray Cooder: Live In Moscow 1979. (Mercury)