Sie waren die Speedsymbole des beginnenden Jet- und Raketenzeitalters. Flossen, Flügel oder Finnen durften an keinem Sportcoupé der späten 1950er Jahre fehlen und so zeigte sich auch der P1800, Volvos erster sportiver Superstar, mit den stylishen Insignien dieses kurzlebigen Trends. Allerdings kannte das P1800 Coupé keine modische Vergänglichkeit.

Im Gegenteil, dieser vom Schweden Pelle Petterson in den Ateliers des italienischen Stardesigners Frua gezeichnete Gran Turismo reifte zur globalen Markenikone des Göteborger Autobauers. Deshalb präsentierte Volvo Anfang der 1970er eine sensationelle Weiterentwicklung: Den Volvo 1800 ES mit großer gläserner Heckklappe als Vorbild moderner Shooting Brakes. Und auch das aktuelle Topmodell der Volvo-Premiumtochter Polestar zitiert die Sportcoupé-Ikone aus den Golden Fifties. Was machte den Volvo P1800 mit rau laufendem Vierzylinder so begehrenswert, dass er in Amerika in einem Atemzug mit der Corvette genannt und als Mini-Ferrari gefeiert wurde und in Europa zum rasanten Film-Dienstwagen und persönlichen Favoriten des James-Bond-Darstellers Roger Moore avancierte? Wahrscheinlich war es der typisch schwedische Zug, den P1800 in gewagten Proportionen zu zeigen, aber unter Verzicht auf protzige Attribute wie übertrieben große Heckflossen. Stattdessen faszinierte der Volvo mit robuster Technik und neuen Sicherheitsfeatures.

Als erster Sportler verfügte der Volvo über Sicherheitsgurte für vier Passagiere, deren Stabilität die Schweden allen damaligen Gurtverweigerern in spektakulären Shows demonstrierten. In Deutschland war es der Stuntman Armin Dahl, der im Volvo P1800 über dem Hamburger Hafen schwebte, gehalten allein von den neuartigen Dreipunktgurten. Amerikaner und Briten wiederum begeisterten sich bereits damals für das Thema Ladungssicherung. Wie das? Nun, die Volvo-Coupés fassten angeblich bis zu drei oder vier Golfbags, die erstmals mit Lederriemen abgesichert werden konnten. Und dann jenes aus Buckel-Volvo und Amazon – die Stufenheck-Limousine lieferte das technische Fundament für den P1800 – bereits weltweit vertraute schwedische Bullerbü-Gefühl: Ein Volvo vermittelte Verlässlichkeit. Während andere Hersteller in den 1950ern Motorrevisionen nach nur 40.000 Kilometern als Stand der Technik betrachteten, bewies der dynamische Volvo Weltrekordqualitäten: Der Amerikaner Irv Gordon knackte mit seinem Coupé sogar die Fünf-Millionen-Kilometer-Marke.

Allerdings handelte es sich bei Gordons unkaputtbarem Dauerläufer bereits um einen Volvo 1800 S. Das S stand für „gebaut in Schweden“, denn dorthin verlegte Volvo 1963 die Produktion, nachdem der sportliche Imageträger zuvor aus Kapazitätsgründen in Großbritannien gefertigt worden war. Geformt wurde der Stahl im schottischen Linwood, wo auch die Karosserien montiert wurden, ehe schließlich die Endfertigung beim englischen Sportwagenspezialisten Jensen Motors erfolgte. Was Volvo bei der Ankündigung des neuen Top-Typs auf der IAA Frankfurt 1959 als logistischen Geniestreich erklärte, endete im Desaster. Zum einen startete die P-1800-Fertigung erst mit zwei Jahrem Verspätung. Und dann musste auch noch das komplette erste Coupé-Kontingent zur Nachbesserung nach Göteborg geschickt werden. Wirklich gelöst wurden die Qualitätsmängel erst 1963 mit dem Serienanlauf als Typ 1800 S im Werk Lundby. Nun kam der Verkauf des kraftvoll konturierten Zweitürers mit extrem langer Motorhaube endlich richtig in Schwung, vor allem in den USA, wo der P1800 auf Motorshows sogar die Corvette in den Schatten stellte.

Dazu trug auch der um sechs PS nachgeschärfte 1,8-Liter-Vierzylinder B18B bei, der jetzt 71 kW/96 PS freisetzte. Die Vmax des Volvo stieg von 170 auf 175 km/h, den Sprint von Null auf 100 km/h absolvierte der bis zu 1.200 Kilogramm schwere Schwedenstahl-Typ in gut zehn Sekunden. Werte, die heute Kleinwagen egalisieren. Damals aber waren sie eine Ansage, auch im Umfeld leichtgewichtigerer Porsche 356, Alfa Giulietta Sprint, MG B oder Peugeot 404 Coupé. Optisch wirkte der rassige Volvo allerdings noch weit rasanter, weshalb er bei der Besetzung der englischen TV-Kultserie „Simon Templar“ („The Saint“) als bessere Alternative zum ursprünglich vorgesehenen Jaguar E-Type galt. Dieser Meinung war auch der autoaffine angehende schwedische König Carl XVI. Gustav, der ab seinem 18. Geburtstag nacheinander alle Serien des agilsten Volvo bestellte bis hin zum 1969 eingeführten 1800 E mit 2,0-Liter-Maschine, elektronischer Benzineinspritzung und 91 kW/124 PS für Fahrleistungen nahe der 200-km/h-Marke. Obwohl eigentlich zu schwer für den Motorsport, starteten die Sportcoupés dennoch regelmäßig bei Rallyes. Und sogar in das moderne Konsolenspiel Forza Horizon wurde noch ein klassischer Volvo 1800 E integriert.

Der Ruf des fast unzerstörbaren B18B-Vierzylinders faszinierte übrigens auch den französischen Supercar-Hersteller Facel-Vega, der sein Modell Facellia deshalb mit dem Aggregat des Volvo 1800 S ausstattete. Überhaupt bot das von Volvo technisch regelmäßig sanft aufgefrischte, aber optisch wie ein automobiles Kunstwerk fast unberührt belassene Coupé die Basis für manche Spezialität. So transferierte der New Yorker Karossier Volvoville Coupés der skandinavischen Marke von 1963 bis 1969 in Cabriolets und das mit offizieller Erlaubnis von Volvo. Nicht in Serie ging dafür 1963 der erste Volvo mit Muscle-Car-Maschine, auch wenn der amerikanische Volvo-Vertriebschef die Realisierung eines 4,7-Liter-V8-Coupés durch den vormaligen GM-Designer Robert Cumberford förderte. Nach einer Probefahrt in dem furiosen und bei vollem Leistungsabruf kaum kontrollierbaren 1800 S verweigerte Volvo-Chef Gunnar Engellau die Lizenz. Ganz anders entschied Engellau fünf Jahre später beim Entwicklungsstart des Projekts „Jaktvagn“, eines avantgardistischen Jagdwagens oder Shooting Breaks.

Für einen neuentwickelten Nachfolger des nunmehr leicht angestaubt wirkenden 1800 Coupés mit Flossen aus den Fifties fehlte damals das Geld. So spendierte Volvo seinem Kultmodell ein Kombiheck mit großer rahmenloser Heckscheibe, die bis weit unter die Gürtellinie reichte und freie Sicht auf das Gepäck zuließ. Nicht einmal extrem hohe Preise weit oberhalb des Porsche 911 T konnten den Erfolg dieses Volvo 1800 ES verhindern: Über 8.000 Einheiten des in Deutschland liebevoll-scherzhaft „Schneewittchensarg“ genannten Kombi-Coupés konnten in zwei Jahren verkauft werden. Als 1973 der finale 1800 ES direkt ins Volvo-Museum fuhr, waren von Coupé und Shooting Brake insgesamt 47.855 Einheiten ausgeliefert worden. Doch die Geschichte des Duos aus P1800 und 1800 ES fand Fortsetzungen. Zunächst in Form des Sportkombi-Hecks bei den Volvo Typen 480 ES und C30 und im Jahr 2013 durch ein Concept Coupé, das Volvo als „P1800 einer neuen Generation“ bezeichnete. Tatsächlich lieferte genau dieses Coupé die stilistische Vorlage für den im Sommer 2019 in Serie gehenden Polestar 1, das erste Modell der elektrifizierten Volvo-Marke Polestar.

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