Buchtipp – Wendt: Warum die Pflege in Not ist

Verkehrssituationen, die die meisten Menschen aus gutem Grund fürchten, sind für Maximilian Wendt lange ganz normaler Alltag gewesen: Unfälle, an denen auch einmal mehr Fahrzeuge als zwei beteiligt waren, Polizei mit Blaulicht und Sirene, und er selbst musste oft genug im Rettungswagen zu einem Notfall, bei dem Minuten, sogar Sekunden entscheidend sein können: Wendt, Jahrgang 1987, hat sich nach dem Schulabschluss für eine Ausbildung in der Pflege entschieden. „Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger“ lautet sein Beruf in der ganz korrekten Bezeichnung.

Klagen über den Pflegenotstand gehören seit Jahren zu den täglichen Schlagzeilen, ebenso Konzepte zu seiner Beseitigung oder wenigstens zur Verbesserung der Lage. Aber wie sieht das in der Praxis aus, sei es für die Pflegekraft, sei es für die zu pflegenden Personen?

Maximilian Wendt hat Erfahrungen im Krankenhaus und in der ambulanten Pflege gesammelt. Letztere bedeutet vor allem Zeitdruck, weil man von Patient zu Patient Strecken bewältigen muss, vor allem aber, weil die Zeit pro Patient knapp bemessen ist. Das hat weniger mit der leidigen Frage „Privatpatient oder Krankenkasse?“ zu tun als damit,  dass der Arbeitstag vollgepackt ist mit Terminen. Und man muss auch klar sagen, dass mancher „Notfall“, den jemand als solchen empfindet, aus Sicht des Pflegepersonals keiner ist.  Einsamkeit mag da aus Patientensicht oft genug den Hintergrund bilden.

Hat man es in der ambulanten Pflege durchaus mal mit skurril anmutenden Menschen zu tun, gilt das natürlich auch für die Arbeit im Krankenhaus, wobei Maximilian Wendt um manchen Kollegen und manche Vorgesetzten nicht zu beneiden war. Wenn Eitelkeiten die Zusammenarbeit dominieren, macht das diese natürlich nicht einfacher. Dass etwa eine Frau als Lehrkraft die Fragen des Schülers Wendt nicht beantwortete, einfach, weil er ein Mann war, liest sich wie ein Drehbuchausschnitt zu einer Comedy-Folge – und war doch pure Realität. Mitschülerinnen übernahmen dann für den Azubi die Fragestellungen – und prompt gab es Antworten.

Wendts Buch lässt Leserinnen und Leser oft ungläubig staunen, wobei an seinen Schilderungen nicht zu zweifeln ist. Er verschweigt aber auch nicht, wo ihm kollegiale Hilfe und Solidarität große Unterstützung waren.

Und wenn hier konsequent die Vergangenheitsform verwendet wird, hat das seinen guten Grund. Nach zehn Jahren in der Pflege wechselte der Autor, Jahrgang 1987, in eine Anstellung im öffentlichen Gesundheitsdienst. So ist seine Bestandsaufnahme für ihn ein Rückblick, für viele Pflegende und (potentielle) Patienten aber unverändert aktuell. Er hätte übrigens nebenbei noch in der Pflege arbeiten können, rechtlich in Ordnung und vom neuen Arbeitgeber als Nebentätigkeit abgesegnet. Dass sich das nicht realisieren ließ, gehört zu den zahlreichen Paradoxien, von denen hier zu lesen ist.

Maximilian Wendt: Warum die Pflege in Not ist .Erfahrungsberichte eines Gesundheits- und Kinderkrankenpflegers. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag; 9,99 Euro.

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