Nein, es war nicht das bestialische Brüllen der brachialen Sechszylinder-Maschine, das Fans inspirierte, den Nissan GT-R Godzilla zu nennen. Dieser Gran Turismo-Racer („GT-R“) brennt als einziger asiatischer Supersportwagen seit 50 Jahren Bestwerte in den Asphalt von Rennstrecken und Autobahnen. Und auch in Konsolenspielen ist seine Überlegenheit gegenüber vielen Konkurrenten Kult. Vor allem aber ist der Nissan GT-R erschwinglich für die Supercar-Community, zumindest im Vergleich zu Ferrari, Aston Martin oder Porsche 911.

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Was Godzilla an glamourösem Markenimage fehlt, kompensiert der schnellste Nissan durch ein außergewöhnliches – typisch japanisches – Produktionsprinzip: Ein Mann, ein Motor. In der GT-R-Manufaktur signiert jeder Ingenieur höchstpersönlich die von ihm montierte, bis zu 441 kW/600 PS starke Maschine und bürgt so mit seinem Namen für die Qualität des Hochleistungsaggregats. Genau so begann in den 1950er Jahren die Erfolgsgeschichte des Prince (Nissan) Skyline, aus dem der Skyline GT-R als Sportversion hervorgegangen ist. Schon im Jahr 1957 kam der ebenso robuste wie zuverlässige Skyline als erstes japanisches Auto nach Europa. Bis die superschnelle Topversion Skyline GT-R den Sprung in die Alte Welt wagte, sollte es dauern. Zunächst zeigten nur rechtsgelenkte GT-R, dass Nissan noch schärfere Pfeile im Köcher hat als die populären Sportcoupés der Z-Serie. Erst 2007 griff der GT-R richtig an.

Es war die wilde Ära früher Autobahnraser, in denen furiose Ferrari Daytona oder Lamborghini Miura zur Jagd auf Porsche 911 S und Jagura E-Type bliesen. 1968/69 befand sich die Welt in einem Temporausch, symbolisiert durch Apollo und Concorde am Himmel und einen Tsunami von über 50 Supersportwagen, darunter erstmals gleich vier heißblütige Samurai aus dem Land der aufgehenden Sonne. Während das Design von Toyota 2000 GT und Mazda Cosmo die muskulösen Formen europäischer Gran Turismo fernöstlich interpretierte, beeindruckte Nissan durch ein Duo Infernale: Dem bezahlbaren Sechszylinder 240 Z Fairlady fiel die Rolle des Welteroberers zu, die das Sportcoupé mit der Grandezza eines Julius Cäsar ausfüllte. Veni, vidi, vici – der Nissan Z kam, sah und siegte. In Rekordzeit platzierte sich der 240 Z zur Verblüffung etablierter westlicher Sportmarken auf dem Thron des global populärsten Pulsbeschleunigers. Dagegen schlug der Skyline GT-R zunächst nur auf dem Heimatmarkt mit der Gewalt eines teutonischen Hammers zu.

Tatsächlich hatte der legendäre Nissan-Konstrukteur Shinichiro Sakurai schon dem 1957 nach Europa geschickten Skyline gezielt alles mitgegeben, was deutsche Sportlimousinen wie die damalige Borgward Isabella auszeichnete. Als Borgward von der Bühne abtrat und BMW mit der legendären Neuen Klasse zur Benchmark für rasante Tourenwagen und Titelträger in kantigen Konturen wurde, folgte Sakurai diesem frischen Vorbild. So spendierte er dem Skyline 2000 GT-R (interner Typencode C10) eine Kastenform mit Trapezlinien im Stil italienischer Couturiers, die für Emotionen gut war. Hilfreich war dabei, dass Kultdesigner Giovanni Michelotti bereits 1960 für Nissan ein Skyline Sport Coupé vorgestellt hatte, dass 1962 in den Verkauf ging.

Unter den klaren Kanten des ersten GT-R verbarg sich robuste Sportfahrwerkstechnik und ein belastbarer, hochgerüsteter Sechszylinder, der nicht nur die flinken Wankel-Mazda sondern auch flotte Italiener und Porsche 911 zum Powerplay forderte. So sammelte der von Fans wie Gegnern respektvoll Hakosuka („Kiste“) genannte GT-R schon in den ersten 18 Monaten 33 Siegerpokale. Eine Zahl, die sich bis 1972 auf über 100 nationale sportliche Triumphe und viele hundert Podestplätze steigerte. Ob der Dominanz des Nissan GT-R erwogen die Sportinstitutionen bereits Restriktionen in der Homologation, die aber abgewendet wurden, als Mazda RX-Kreiskolben-Coupés dem Hakosuka doch noch Kontra gaben.

Klar, dass Nissan nun auch von der nächsten, Ende 1972 vorgestellten Skyline-Generation (Typ C110) eine GT-R-Spezifikation auflegte. In Deutschland zeigte dieser von amerikanischen Designtrends inspirierte Sechszylinder ebenfalls Präsenz, allerdings nur als harmlos motorisierter 240 KG-GT. Die gewaltige Dynamik vorzugsweise grellweiß lackierter GT-R blieb Japan vorbehalten – bis zum Jahr 1973. Dann zog Nissan den GT-R zu einer Denkpause ins Depot zurück. Nationale Diskussionen um Leistungsbeschränkungen für die Supertrümpfe in japanischen Autoquartetts und die Auswirkungen der Erdölkrise limitierten plötzlich das Absatz-Potential von Powercars. Außerdem hatte Nissan bereits mit dem Ausbau der Z-Reihe genug zu tun. Neu gemischt wurden die Karten im Sportwagenquartett erst wieder 1989, als Nissan überraschend die dritte Generation des GT-R (Typ R32) an den Start schickte.

Intention war diesmal, mit einem Sportcoupé die Rennwagen der Gruppe A aufzumischen und dafür präsentierte sich der einmal mehr vom Nissan Skyline abgeleitete GT-R als hungriger Wolf im Schafspelz. Nicht mehr unschuldiges Kristallweiß, sondern „Gun Grey Metallic“ avancierte jetzt zur favorisierten Lackierung für die ausschließlich rechtsgelenkten Zweitürer, die über Umwege endlich auch nach Europa fanden. Dort begehrte den offiziell 206 kW/280 starken Boliden eine leistungshungrige Community auf den britischen Inseln, aber auch auf dem Kontinent wurden die GT-R der Serien R32, R33 (ab 1995) und R34 (ab 1999) nach und nach Kult. Kaum ein Fan störte sich am Lenkrad auf der „falschen“ Seite, wichtiger war das Tuningpotential der preiswerten Boliden, die es mit Ferrari und Maserati aufnahmen.

Beim legendären Langstreckenrennen in Le Mans duellierten sich schon 1995 zwei GT-R der Serie R33 mit dem damals offiziell schnellsten Autos der Welt, McLaren F1, und beide Nissan beeindruckten durch ihre Standfestigkeit. Ein Nimbus, der durch Auftritte in Konsolenspielen und Hollywood-Blockbustern wie „The Fast and the Furious“ gefestigt wurde. Als Nissan den GT-R vom Skyline trennte und 2007 als eigenständiges Modell vorstellte, war er der umlagerte Superstar auf der Tokio Motor Show. Wie ein scharfes und geschickt geführtes Hocho-Schwert sorgte der GT-R für ungläubiges Staunen und Erschrecken der Rivalen: Kaum ein Tempo-Rekord ist gefeit vor dem GT-R. Ob auf dem Nürburgring, in Hockenheim oder auf anderen Rundkursen, überall zählt der Nissan zu den Angstgegnern von Porsche, Ferrari, Aston Martin oder Audi R8, die das Budget ihrer Käufer leicht um das Doppelte belasten. Es war die Geburtsstunde von Godzilla, der bis heute Respekt erntet für seine Alltagstauglichkeit und die Anläufe, auf Strecke und Straße in Richtung Schallmauer fliegen. Weshalb Nissan den 50. Jahrestag des GT-R mit einem Designerstück feiert: Der in Zusammenarbeit mit Italdesign entstandene GT-R50 zeigt, über welche Bekanntheit das markante Buchstabenkürzel inzwischen verfügt. Worüber Porsche- und Ferrari-Fans allerdings nur milde lächeln.

Fotos: Nissan

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