Der RL-Cup am Nürburgring: Motorrad-Rennen mit Herz und Hirn

Beitragsbild
Foto 1
Foto 2
Foto 3
Foto 4

Morgens um sieben ist nicht nur bei Bestseller-Autor Eric Malpass, sondern auch am Nürburgring die Welt (noch) in Ordnung. Doch an diesem wunderbaren frühen Samstagmorgen im April, einem ganz besonderen Tag für Rennsport-begeisterte Motorrad-Amateure, war er um sieben in der Früh schon (mindestens) eine Stunde alt.

Der Renntag bei den Teilnehmern am Reinoldus-Langstreckencup, kurz RLC genannt, beginnt nämlich schon morgens um sechs. Dann nämlich, wenn unten im Hatzenbach-Bogen noch der Tau an den Grashalmen hängt und die Luft über dem Michael-Schumacher-S noch dem Zwitschern der des Grünfinks und nicht dem wild gewordenen Kreischen der Triebwerke gehört.

Was sind das für Menschen, die in der Woche einem ganz normalen bürgerlichen Beruf nachgehen, ihren Betrieb leiten, ihre Familien umsorgen und sich einem aufwändigen, fast schon exotischen Hobby verschrieben haben: Endurance-Rennen im Motorrad-Sattel. Wer setzt sich schon freiwillig im Wechsel mit dem Fahrer-Kollegen für sechs oder acht Stunden auf eine brüllende Gummi-Kuh, nachdem er eine ganze Arbeitswoche hinter sich hat? Das wollten wir genauer wissen und besuchten zum Saisonauftakt der Serie am vergangenen Samstag ein Team reiner Rennsport-Amateure aus dem Grenzgebiet von Deutschland, Frankreich und Luxemburg.

Da ist Jörg Dawen, ein 41-jähriger selbständiger Zimmerer-Meister. Er ist ein Parade-Beispiel dafür, wie Beruf und Leidenschaft im Falle der RLC-Piloten zusammenpassen müssen. Breitbeiniger und mit gebeugterem Rücken als Jörg Dawen nach seinem dritten „Stint“ an diesem Tage, hätte auch John Wayne nach einem Dreh-Tag zu „Rio Bravo“ nicht vom Pferd steigen können. „Stint“ – so heißt ein zeitlich begrenzter Dauereinsatz bei einem Langstrecken-Rennen bis zum Fahrerwechsel. Für ihn war es kurz nach 12 Uhr an diesem Samstag bereits der dritte Stint. Heißt: Einen Tank (17 Liter) leer fahren. Das sind etwa 40 Minuten oder 19 Runden auf der GP-Strecke. Neben Dawen gehören der Luxemburger Ben de Bondt und Stefan Hesterberg aus dem Sauerland zum Fahrertrio.

Dawen ist Teil des Teams „National Moto“. Alles Biker-Jungs mit Herz und Hirn: Drei Fahrer, drei Mechaniker, ein Zeitnehmer, ein Mann für die Organisation. Zusammen bestreitet die Crew vom Saargau die Saison im Reinoldus-Langstrecken-Cup auf dem Ring. Fünf Rennen (vier über sechs Stunden, eines über acht). Allesamt auf dem Nürburgring. In der Regel sonntags nach einem VLN-Renntag, weil dann schon Einiges an Equipment steht.

Die Equipe verbindet vor allem Eines: Die Liebe zum Motorrad-Rennsport. Zum Ausdauersport auf der „Gummikuh“. Allesamt gehen sie sogenannten „bürgerlichen“ Berufen nach. In der Regel sind Industrie, Handwerk, Technik ihr täglicher Hintergrund beim Brötchen verdienen. Gut situierte Leute mitten aus dem Leben. Der klassische Mittelstand halt.

„Bevor das Training beginnt ist so viel zu erledigen an den Motorrädern und in der Box. Da müssen wir so früh raus“ erklärt Kai Altenhofen. Der 32-jährige aus dem kleinen Ort Ayl, Fahrer im Team seit 2011, macht 2018 eine schöpferische Pause als Fahrer. Aus gutem Grund. „Wir erwarten zum zweiten Mal Nachwuchs. Wenn ich mir beim Rennen den Arm oder das Schlüsselbein brechen würde, müsste meine Schwiegermutter bei uns einziehen, um meine Frau zu entlasten.“ Weshalb er jetzt Team-Organisator ist. So eine Art Mädchen für Alles.

In der Box haben neben dem Fahrer-Trio die Mechaniker und der Zeitnehmer das Sagen. Marco Martini, Christian Eiden, Daniel Sonntag und Stephan Brocker schuften dort permanent an den drei Bikes mit der Nr. 127, sind beim Fahrerwechsel vor Ort, heizen die Reifen vor, gucken nach jedem Schräubchen, jedem Elektronik-Teil. Die Box mutet in Ausstattung und Optik professionell an. Da steckt viel Arbeit, Können und Liebe zur Sache dahinter. Auf die Idee, dass hier sogenannte Amateure am Werk sind, kommt kein neutraler Betrachter.

Jeder der drei Fahrer hat sein eigenes Renn-Motorrad (Wert des Naked Bike ca. 20.000 Euro). Der Transponder wird nach jedem Stint auf das Einsatz-Bike gewechselt. Meist erfolgt das per Klett auf dem Tank der Maschine. Die drei Yamaha R1 mit der Startnummer 127 sind demzufolge identisch. Der Wassergekühlte Vierzylinder-Motor, ein Viertakter, dreht bis 14.700 Umdrehungen hoch. Er leistet 200 PS bei einem Gewicht der Maschine von knapp 170 Kilogramm.

So ein feuriges Benzin-Pferd ist kein Spielzeug für den Sonntags-Ausflug in die Eifel. Schon gar nicht über sechs oder acht Stunden, die sich die drei Fahrer im Rennen teilen. „Ich bereite mich durch Training im Fitness-Studio vor. Joggen für Kondition und Ausdauer gehören dazu“, sagt Dawen, der zu Hause einen eigenen Betrieb hat.

Knappe 50 Räder sind um kurz nach 9 Uhr am Samstagmorgen zum Rennen gestartet. Auf der Strecke wird um jede Position gekämpft. Mit harten Bandagen, aber fair. In der Box hat die Crew vom Saargau jede Menge zu tun. Mehr als nur sechs Stunden lang. Um kurz vor 16 Uhr steht dann fest: Zweite geworden sind sie heute in ihrer Klasse. Der stärksten wohlgemerkt. Und der Tag ist noch lange nicht zu Ende. Box ausräumen, säubern, aufladen, heimfahren, abladen.

Denn das Benzinpferd war um 12 Uhr mittags noch lange nicht gezügelt. „High Noon“, würde Gary Cooper sagen, ist erst um Mitternacht.

Text und Fotos: Jürgen C. Braun

Nach oben scrollen