Sie ist und bleibt ein unergründliches Rätsel, ein Faszinosum mitten in der Eifel, diese nun schon über 90 Jahre alte Rennstrecke. Auch und gerade zum Start in die neue Saison nach gut einem halben Jahr ohne Motorgenräusche hier oben. Noch zwei Tage vor dem für diesen Samstag um 12 Uhr angekündigten ersten Rennen, einem Langstreckenlauf mit mehr als 170 Teams über vier Stunden, herrschten Zweifel und Ungewissheit: heftiger Schneefall, Minustemperaturen, Glätte in den tiefen Passagen unten bei Breitscheid, in der Ex-Mühle, am Bergwerk. Und die bange Frage: würde das Rennen, auf das sich alle Protagonisten der VLN-Langstreckenmeisterschaft so sehr gefreut hatten, stattfinden können oder muss wegen des Wetters abgesagt werden?
Der Wetterbericht verhieß allerdings Gutes für den Samstag und so entschieden Renndirektor Michael Bork, Rennleiter Kai Rübenhagen und Andreas Mühlenbernd, der Leiter Streckensicherung der VLN, kurzfristig nach einer Streckenbegehung: Einer Durchführung des ersten von neun VLN-Rennen in diesem Jahr, der 64. ADAC Westfalenfahrt, sollte nichts mehr im Weg stehen. Doch was sich dann am ersten Renntag des neuen Jahres auf den legendären knapp 23 Kilometern – und vor allem um die Strecke drum herum – abspielte, damit konnte niemand rechnen.
Es war, also ob die leicht frühlingshaften Temperaturen, das schier explodierende Grün auf den noch feuchten und klammen Wiesen wie ein Weckruf, wie ein lange ersehntes Aufbruchsignal für die zahlreichen Motorsportfans gewesen wäre. Alle hatten sie diesen elend langen Winter, diese grausige Schafskälte, diesen dichten Nebel so fürchterlich satt, dass es nur noch eine Idee, eine Absicht gab: raus an die Strecke; es ist wieder „racing day“ in der Eifel.
Und so kam es, dass diese bestimmte Art von Vorfreude herrschte, die nur der „Ring“ auslösen kann. Diese außergewöhnlichste Berg- und Talbahn der Welt mit ihren 73 Kurven, ihren extremen Anforderungen an Mensch und Material bei allen Witterungsbedingungen. Als um 12 Uhr die erste Gruppe der 172 gestarteten Fahrzeuge von den Boliden der SP-9-Klasse bis hinunter zu den Amateuren mit Herz, auf die 240 Minuten Eifelrundfahrt geschickt wurde, da gab es für die Fans kein Halten mehr. Schon lange vorher waren die Parkplätze rund um die Strecke alle belegt, wurde „wild“ am Straßenrand der Bundesstraße das Auto abgestellt.
Wir machten uns kurz nach dem Start auf in Richtung der Streckenabschnitte Brünnchen und Pflanzgarten. Dort, wo die Nordschleife etwa knapp 17 Kilometer ihrer Gesamtstrecke zurückgelegt hat. Auf dem großen Campingplatz am Brünnchen herrschte laute Partystimmung bei wummernder „Mucke“ aus den Musikboxen: Wohnmobile, Zelte, Lagerfeuer, der Duft gebratener Würstchen. Es war so etwas wie ein Hauch von 24h-Rennen der sich schon Ende März in der Eifel breit machte.
Die Fans kamen zum Teil von weit her, hatten sich schon vor Tagen entschieden an den „Ring“ zu fahren, als noch gar nicht feststand, ob überhaupt gefahren werden würde. Eine Gruppe junger Leute aus der Magdeburger Börde hatte sich extra für den Freitag einen Tag Urlaub geholt, um schon einen Tag vorher anreisen zu können: „Wir haben einfach drauf vertraut, dass gefahren wird. Und wenn nicht, dann hätten wir hier oben Party gemacht und uns auf das nächste Rennen gefreut. “
Auf der Bundesstraße 258 stauten sich die Blechkarawanen, die ankommenden Autofahrer wurden frühzeitig über Mikrofon informiert: „Bitte rechts einordnen zu den Parkplätzen. Halten sie bitte acht Euro bereit, damit sie zügig abgefertigt werden können“. Auf den trotz des leichten ersten Sonnenscheins noch recht matschigen Wiesen schlüpften die meisten Besucher – Nordschleifen-erprobt – aus ihren leichten Tretern in Gummistiefel oder in Offroad-fähiges Schuhwerk. Wer an den „Ring“ fährt, der weiß, was auf ihn zukommt. Der Betreiber einer kleinen Imbissbude am Rande hatte wohl mit einem derartigen Ansturm der Fans am ersten Tag nicht gerechnet. „Sold out“ – „Ausverkauft“ stand auf dem kleinen Papptellerchen, das er an die herunter gezogenen Rollläden geklebt hatte.
Rund 30.000 Zuschauer, so schätzt der Veranstalter, sollen am ersten Renntag der neuen Saison an die weltberühmte Strecke gepilgert sein. Eine Art Völkerwanderung, mit der niemand rechnen konnte. Unvorstellbar noch zwei Tage vorher. Sie ist und bleibt eben ein ewiges Rätsel, diese „Grüne Hölle“ in der Eifel.
Text und Fotos: Jürgen C. Braun