Mit Oldtimern kann man Kiril Bilenkin gestohlen bleiben. Zwar verdient der Russe seinen Lebensunterhalt mit der Restauration solcher Rostlauben. Doch privat würde er sich nie in ein altes Auto setzen. „Dafür weiß ich einfach zu gut, wie wenig man der betagten Technik heute noch zutrauen kann“. Weil er aber dummerweise auch für neue Autos nicht viel übrig hat und sein Geschmack nach eigenem Bekunden irgendwo in den Fünfziger oder Sechziger Jahren hängen geblieben ist, konnte Bilenkin partout keinen passenden Wagen für sich finden.
Deshalb hat er vor ein paar Jahren aus der Not eine Tugend gemacht und sich kurzerhand sein eigenes Auto gebaut. Und weil er schließlich nicht umsonst eine große Mannschaft und ein bisschen mehr Platz als die meisten Autonarren hat, ist es nicht bei einem geblieben. Mittlerweile läuft in Moskau die Serienproduktion, das erste Dutzend Autos ist fertig und der Vintage macht sich daran, die Welt der Reichen und Schönen zu erobern.
Als Basis dafür dient ihm das Coupé der letzten Generation des Dreier BMW, das er bis aufs Bodenblech demontiert, komplett neu einkleidet und zugunsten der Proportionen um bald 20 Zentimeter streckt: Inspiriert von US-Klassikern aus den Sechzigern sieht der Zweitürer dann ein bisschen aus wie eine Mischung aus Studebaker und Volvo P1800, erinnert aus manchen Perspektiven an einen alten Bentley oder geht als Luxusversion des VW 1600 durch: Er trägt zwischen seinen kreisrunden Scheinwerfern einen Kühlergrill wie ein Staubsauger mit Raketenantrieb aus der Comicserie „Die Jetsons“ und fängt die Blicke mit einer verchromten Gürtellinie, die sich nach hinten kess aufschwingt und dann in hohen Hüften mit einer sich verjüngenden Heckflosse ausläuft.
Dass unter der schrägen Hülle aus Moskau ein schnödes Coupé aus München steckt, das jedenfalls kann man kaum mehr erkennen. Selbst im Innenraum muss man sehr genau hinschauen, wenn man noch Spuren bayerischer Gestaltungsarbeit finden will. Das gilt bereits für die noch vergleichsweise nüchtern und zurückhaltend gezeichnete Grundversion und mehr noch für das Top-Modell, mit dem Bilenkin über die Messen tingelt und bei Autonarren in aller Welt vorstellig wird.
Darin wird man überwältigt von kunterbunten Sitzbezügen italienischer Modedesigner, aus denen Edelsteine und Goldfäden funkeln. In den Türtafeln schimmert in wechselnden Farben bunt hinterleuchtetes Rauchglas, der Fußboden ist mit weißem Pelz ausgelegt, auf dem Schalthebel thront ein Knauf aus Bleikristall und überall zwischen den hölzernen Intarsienarbeiten glitzern und glänzen Zierelemente in Gold und Edelstein – bis hin zur güldenen Blume mit schimmernden Blütenblättern aus Diamanten vor dem Beifahrer. Selbst die Instrumente hat Bilenkin im Retro-Design umgestaltet und mit Perlmutt vertäfelt, das Lenkrad mit dem freiliegenden Kranz für die Hupe und einem vom Staatswappen inspirierten Doppeladler ist natürlich auch vergoldet und das Navigationssystem sieht aus wie ein Volksempfänger. Nur das Head-Up-Display leuchtet wie eh und je, hinter der hübschen Verkleidung lauern sechs originale Airbags und anders als bei echten Oldtimern wachen ESP & Co über die Sicherheit der Passagiere.
Schönheit liegt zwar gewöhnlich im Auge des Betrachters, doch in seiner Wertigkeit ist das russische Kunsthandwerk über jeden Zweifel erhaben. Nicht umsonst lässt Bilenkin für sich keine Automechaniker arbeiten, sondern Juweliere, Goldschmiede und Geigenbauer. Deshalb sehen Rolls-Royce oder Bentley innen auch nicht viel besser aus. Nur dass ein Continental oder ein Ghost gegen einen Bilenkin fast schon Massenware sind.
Der BMW als Basis garantiert Bilenkin aber nicht nur die Zuverlässigkeit und Sicherheit, die er bei echten Klassikern so schmerzlich vermisst. Sondern es macht ihm vor allem die Zulassung leichter, weil es sich ja streng genommen nur um einen Umbau und nicht um eine Neuentwicklung handelt. Außerdem dauert der Umbau dann nur 12 Wochen und er kann schon mit seinen aktuell 30 Mitarbeitern immerhin 40 Vintage pro Jahr auf die Räder stellen. Und für den Kunden bietet das die Gewissheit, dass er selbst eines der exotischsten Autos der Welt bei jedem BMW-Händler um die Ecke reparieren lassen kann. Das müssen sie Bilenkin bei Bentley oder Bugatti erst einmal nachmachen.
Außerdem ist man mit dem famosen Reihensechszylinder aus München bei 306 PS, Automatik und Allradantrieb ja auch nicht so schlecht motorisiert und bleibt bei der Testfahrt entsprechend gelassen. Wo andere Einzelstücke wie diese bisweilen rumpeln und poltern, weil irgendetwas am Ende doch nicht passt, fährt der Vintage so solide und souverän wie hunderttausend andere Dreier. Wem das zu langweilig ist, der kann gegen Aufpreis aber sicher auch einen M3 als Basis abgeben.
Das Fahren selbst ist Kiril Bilenkin aber ohnehin nicht so wichtig. Erstens, weil BMW bei Antrieb und Abstimmung ja keinen Schlechten Job gemacht hat und es außer ein bisschen Dämpfertuning für besseren Fahrkomfort auf schlechteren Straßen keinen weiteren Eingriff mehr braucht. Zweitens, weil man in und um Moskau ohnehin kaum irgendwo sonderlich gut oder schnell fahren kann. Und drittens, weil Bilenkin bei seinem Auto ganz andere Prioritäten setzt. Für ihn muss ein Auto nicht schnell, sondern schön sein. Selbst wenn er das für den westlichen Geschmack ein wenig eigenwillig definiert.
Zwar ist Bilenkin stolz auf die russischen Wurzeln seiner Firma und die Finesse der von ihm beschäftigten Kunsthandwerker. Und wahrscheinlich gäbe es allein in und um Moskau genügend Auto-Afficionados, die seine Produktionskapazitäten mehr als auslasten würden. Doch der Selfmade-Autobauer denkt global und liefert in die ganze Welt – nicht umsonst hat er sein Auto zum vor zwei Jahren auch nicht auf der Motorshow in Moskau sondern in Dubai enthüllt, und nicht ohne Grund geht eines der ersten Fahrzeuge direkt nach Amerika.
Text: Benjamin Bessinger/SP-X
Fotos: Benjamin Bessinger/SP-X, Blenkin/SP-X