„Jahrhundert-Automobil“, „Wankel-Wunderauto“, „Ungewöhnlichstes Auto, das je zur Serienreife gebracht wurde“, die Euphorie der Medien über den NSU Ro 80 bei der Pressepremiere am 21. August 1967 kannte keine Grenzen. Die weltweit erste Serienlimousine mit Zweischeiben-Kreiskolbenmotor schien direkt aus der Zukunft zu kommen und wollte das Automobil neu erfinden – so wie zuvor nur die göttliche DS von Citroën, die den NSU-Technikern anfangs tatsächlich die Richtung wies bei der Entwicklung ihres avantgardistischen, im Windkanal geformten Flaggschiffs. Neben dem Ro 80 mit extrem flacher Motorhaube und massivem, hoch bauendem Heck wirkten Mercedes mit Heckflossen oder große Peugeot in Trapezform von vorgestern.
Als Wunderauto gefeiert, wurde die erste große Limousine des Neckarsulmer Kleinwagenspezialisten aber nicht nur wegen ihrer keilförmigen Silhouette und der neuartigen Sicherheitsausstattung, sondern vor allem für den revolutionären 85 kW/115 PS starken Motor mit kreisenden Kolben. Die Fachwelt sah den Wankelmotor als Antrieb der Zukunft und in der sogenannten Comotor-Kooperation mit Citroën wollte NSU die Erfindung des Ingenieurs Felix Wankel massentauglich machen. Eine vergebliche Hoffnung, nur Mazda machte den Wankel zum Millionseller. Vom Ro 80 blieb nach dem Produktionsende im Jahr 1977 das weit in die Zukunft strahlende Design und sein mittlerweile von Audi genutzter Werbeslogan „Vorsprung durch Technik“.
Mit diesem Credo und technologischem Fortschritt durch Turbo und Allrad fanden die Ingolstädter ab Ende der 1970er Jahre den Weg in den Premiumclub, an dessen Türen die Rotationskolben-Revolutionäre von NSU zuvor vergeblich angeklopft hatten. Denn die Tragik wollte es, dass die wagemutigen Neckarsulmer beim ersten öffentlichen Roll-Out des Ro 80 bereits finanziell ausgelaugt waren. Die Entwicklungskosten für das vollkommen neue Fahrzeug hatten die Kassen des Zweirad- und Kleinwagenherstellers so geleert, dass dringend ein finanzstarker Partner gefunden werden musste. Keine 18 Monate später war es soweit, NSU kam mit Audi unter das Dach des Volkswagen-Konzerns.
Aber das ahnte an jenem heißen Tag im August 1967 noch nicht einmal die NSU-Unternehmensführung. Schließlich schlug hier beim Schloss Solitude nahe Stuttgart scheinbar die Stunde Null des Automobilbaus. Claus Luthe hatte die Karosserie des Ro 80 mit derart zeitlosem Schwung gezeichnet, dass sie sich bis ins 21. Jahrhundert nicht von der Zeit einholen ließ. Wie in dieser Klasse sonst nur der Citroën DS wurde auch der Ro via Vorderräder angetrieben und die damals noch außergewöhnliche Einzelradaufhängung rundum garantierte im Zusammenspiel mit dem gigantisch wirkenden Radstand von 2,86 Metern (mehr als die Langversion der S-Klasse) ein fast vollkommenes Fahrverhalten. Daran änderte auch der spektakuläre Abflug eines Fachjournalisten bei der Pressevorstellung nichts. Wie der NSU-Pressechef eilig erläuterte, hatte der Testfahrer zu viel Tempo drauf, weil er statt auf den Tacho zu achten auf sein Gehör vertraut hatte. Und dieses musste sich beim Ro 80 erst an ein ganz neues Sounderlebnis gewöhnen.
Der Kreiskolbenmotor entfaltete einen Klang, der nicht wenige Ro-80-Piloten an eine Turbine erinnerte. Beim Hochdrehen wurde der vibrationsarme Wankel weder laut noch aufdringlich, er wechselte nur sein Timbre. Was neben akustischem Komfort überraschende Gefahren barg. Mancher Ro-Fahrer vergaß schlicht das Hochschalten bei der serienmäßigen Dreigang-Selektiv-Automatik und ignorierte den bei 6.500 U/min – das Niveau damaliger Supersportler – beginnenden roten Bereich. Erst zahlreiche Garantiefälle später installierte NSU einen akustischen Warner. Ja, die Garantie für dieses Auto differenzierte sich ebenfalls grundlegend von den Wettbewerbern mit Mercedes-Stern, BMW-Niere oder Citroën-Doppelwinkel. Statt üblicher sechs Monate gewährte NSU den dreifachen Zeitraum als vertrauensbildende Maßnahme für den Wankel. Und diese Garantie wurde genutzt und ausgenutzt.
Denn der neuartige Motor war weder völlig ausgereift, noch waren alle Wankel-Spezialisten in den NSU-Vertragswerkstätten ausreichend geschult. Es hatte im Vorfeld schlicht an Zeit gemangelt, zumal Wankel-Lizenznehmer Mazda mit seinen ebenfalls 1967 präsentierten Rotary-Modellen nach Nordamerika und Europa drängte. So plagten den NSU-Kreisläufer bis etwa 1970 anfällige Dichtleisten, verschmutzte Zündkerzen und manche Kleinigkeiten, die den Ruf nachhaltig ruinierten – vor allem aber den Hersteller viel Geld kosteten. Kein Witz war es, dass sich Ro-Fahrer bei Begegnungen mit der Anzahl erhobener Finger die Zahl der Tauschmotoren signalisierten und sich einige wenige sogar Ford-V4 und V6 in ihren NSU einpflanzen ließen. Trotzdem: Wer einmal wirklich der Faszination des Wankelmotors erlegen war, hielt daran fest.
Schließlich bietet der von NSU 1958 erstmals ins Laufen gebrachte Kreiskolbenmotor gegenüber konventionellen Hubkolbenaggregaten Vorteile, die noch heute überzeugen. Ersetzen doch rotierende Scheiben das Auf und Ab der Kolben mit dem Resultat außergewöhnlicher Laufruhe und minimaler Lärmemissionen. Zudem wiegt der Rotarier etwa ein Drittel weniger, ist kompakter und lässt sich bei gleicher Leistungsstärke wirtschaftlicher produzieren. Kein Wunder, dass 1967 bereits 16 große Automobilhersteller zu den NSU-Lizenznehmern zählten. Aus den Lizenzeinnahmen wollte NSU die Wankel-Entwicklungskosten bezahlen, was jedoch nur ansatzweise gelang. Zumal allein Lizenz-Geldgeber Mazda die Kreiskolben-Idee soweit perfektionierte und vorantrieb, dass Anfang der 1970er Jahre jeder zweite dieser Japaner von einem Wankel bewegt wurde. Zugleich wurde die Zahl der Wankel-Skeptiker immer größer – und sollte letztlich recht behalten. Denn als die Motoren des NSU Ro 80 endlich standfest für sechsstellige Kilometerleistungen waren – Mazda gewährte bereits 150.000 Kilometer Garantie – kam Ende 1973 die erste Ölkrise. Ein Ereignis, das die bereits bekannte Achillesferse der Kreiskolben-Kultur, den hohen Verbrauch, endgültig entlarvte und alle Wankel ins Abseits stellte.
NSU befand sich damals bereits vier Jahre in der Hand des VW-Konzerns, der die finanziellen Mittel für den Fortgang der Ro-80-Produktion sicherte. Dafür fehlte es nun an Entschlossenheit, neue Wankel in Serie gehen zu lassen, weshalb ein bereits fertiger Dreischeiben-Motor mit 170 PS auf Eis gelegt wurde. „Die Zukunft ist schon Gegenwart geworden. Der NSU Ro 80 ist ein Teil von ihr“, versprach die Werbung. Dabei war längst klar, dass die Zeit nicht reif war für diesen Futuristen, der mangels Nachfrage schon seit 1970 auf den selben Bändern wie der konventionelle Audi 100 gebaut wurde. Obwohl die Preise für den nur 115 PS leistenden NSU am Ende auf das Niveau von V8-Limousinen kletterten, ließ sich mit dem Ro 80 nie Geld verdienen. Zwar überraschte Audi NSU Mitte 1975 mit dem einzigen echten Facelift für seinen Rotarier, aber schon im April 1977 fuhr der 37.374ste und letzte Ro 80 direkt vom Band ins Deutsche Museum.
Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Audi AG (Unternehmensarchiv), autodrom