Liebe Leserin!
Lieber Leser!

Am ersten Oktober beginnt mit der so genannten „Mondiale de l‘Auto in Paris“ die drittgrößte Automesse (nach Genf und Frankfurt) in Europa. Sie dauert 16 Tage, also länger als die IAA unter dem Frankfurter Messeturm und wurd demzufolge auch mehr Besucher anziehen als ihr deutsches Pendant, das alle zwei Jahre stattfindet. So weit, so gut. Viele Hersteller werden dort neue Produkte vorstellen. Teils fertige, die vor dem Serienstart stehen, teil so genannte Concept Cars, teils auch noch Exponate, die irgendwo im wilden und wirren Ideen- und Gedankenreichtum mancher Designer oder Entwickler beheimatet sind.

Doch, so hat es den Anschein: der Wert, den man bei einigen Autobauern auf dieses großen Branchentreffen legt, hat sich gewandelt. Was Volvo bei der letzten IAA in Frankfurt praktizierte, das macht nun auch Ford in Paris: Man glänzt durch Abwesenheit. Die Schweden besetzten nur noch eine der drei großen europäischen Messen. Die in Köln beheimatete europäische Tochtergesellschaft des US-Riesen wird in Paris nicht vertreten sein. Obwohl man derzeit jede Menge an Modell-Erneuerungen in der Pipeline hat.

Woran liegt dieses Geschäfts-Gebaren? Klar, Messe-Auftritte kosten Geld, aber das amortisiert sich in der Regel. Das war zumindest über Jahre und Jahrzehnte so. Da wurde schon im Vorfeld einer IAA darüber spekuliert, was die großen Hersteller wohl präsentieren würden. Oder, wenn klar war, welches Modell angesagt war, wie es aussehen würde und was es an Neuerungen mitbringen würde.

Eine Automesse, das war so etwas wie „Wir warten aufs Christkind.“ Spannung bis zum entscheidenden Moment. Und dann drängten sich in zwei Wochen Zehntausende um den neuen Golf, den neuen Dreier BMW, die neue C-Klasse oder die unbezahlbaren Traumwagen von Ferrari und Co. Automessen waren auch etwas ungebremstes Schwelgen in Phantasie-Welten. Ach, was ich mir doch alles kaufen könnte, wenn ich denn könnte!

Und heute: Bilder von Fahrzeugen, von neuen Modellen, die – etwa ab Anfang Oktober in Paris – unter dem gleißenden Blitzlicht an der Seine ausgestallt werden, kursieren häufig schon vorher auf irgendwelchen Internetseiten. Oder die Hersteller machen selbst den Salto mortale rückwärts. In der vergangenen Woche war ich bei einem Termin in der Europa-Zentrale von Kia. Dort präsentierten die Koreaner den neuen Rio. Ein Modell der Kleinwagenklasse, von dem sie sich nicht nur gute Geschäfte versprechen. Der Rio wird zudem in Paris seine so genannte „Weltpremiere“ erleben.

Große Worte für Dinge, die es in Wahrheit eigentlich nicht mehr gibt. Die Weltpremieren finden heute jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde statt. Im Netzt, dort wo der allwissende Mister Google all das parat hat, was angeblich erst Tage oder Wochen später von hübschen jungen Damen in knappen Kostümen enthüllt wird. Der Glamour- und Glitzerfaktor der großen Messen ist zwar nach wie vor vorhanden. Der Neuigkeitswert solcher Branchentreffen aber wird offensichtlich immer geringer.

Und das haben – zumindest einige – Hersteller erkannt. Sie aktivieren stattdessen ihren Netzauftritt rund um das neue Produkt. Das kann man gut finden, muss es aber nicht. Aber, um es im Sprachgebrauch der Mediziner zu sagen: Wer heilt, hat recht.

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.
Ihr Jürgen C. Braun

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