Eine Rettungsgasse auf der Autobahn soll garantieren, dass Helfer schnell zu einer Unfallstelle kommen. Doch wie wird sie gebildet: in der Mitte, zwischen linker und mittlerer Spur – oder auf dem Standstreifen? Und wie ist es in anderen Ländern Europas? Lesen Sie hier, was Autofahrer bei Unfällen auf der Autobahn und der Außerortsstraßen beachten müssen.
Auf der Autobahn rollen die Wagen dicht an dicht. Plötzlich rote Bremslichter, vorne geht es langsamer. Ungeduldig wechseln einige Autos von Spur zu Spur. Die Blechlawine stockt. Da stehen die ersten schon: Stau. Muss jetzt ein Rettungswagen zum Unfall durch, kann es dauern. Im Zweifelsfall kann das Menschenleben kosten. Denn für Verletzte können schon wenige Minuten entscheidend sein.
Eine Rettungsgasse zu bilden, ist für Autofahrer verpflichtend. Das regelt § 11 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung (StVO), erklärt Daniela Mielchen, Verkehrsrechtsanwältin aus Hamburg und Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Stockt der Verkehr auf Autobahnen und Außerortsstraßen mit mindestens zwei Spuren pro Richtung, müssen Fahrer für Polizei- und Hilfsfahrzeuge eine Gasse bilden. Unter stockendem Verkehr versteht man: „Schrittgeschwindigkeit fahren, oder die Fahrzeuge befinden sich im Stillstand“, sagt die Rechtsanwältin. Bei zwei Spuren bilden Fahrer die Gasse in der Mitte.
Bei drei Streifen muss zwischen dem äußersten linken und dem mittleren Streifen eine Lücke bleiben. „Bei vier Spuren müsste man sie eigentlich nach noch gültigem Recht wieder in der Mitte bilden“, sagt Thomas Buchheit vom Landespolizeipräsidium im niedersächsischen Innenministerium. Verständlich sei das nicht. Und gegenwärtig wird auch eine Änderung der Straßenverkehrsordnung vorbereitet.
Dabei soll die Regelung vereinfacht werden: „Links fährt links, und alles andere fährt rechts“, erläutert Buchheit. „Denn das ist schon heute gängige Praxis auch bei vierspurigen Straßen.“ Daran schließe sich das Gesetz jetzt an, um Klarheit zu schaffen. Vorbehaltlich der Zustimmung des Bundesrates dürfte die Änderung noch in diesem Jahr in Kraft treten, schätzt Anwältin Mielchen.
Generell gilt: Sobald es stockt, ist die Rettungsgasse zu bilden, „nicht erst dann, wenn das Rettungsfahrzeug kommt“, sagt Buchheit. Das gelte gerade für Lkw, die aufgrund ihrer Länge mehr Platz zum Rangieren brauchen. Und Buchheit weiß von Lkw-Fahrern zu berichten, die sich im Stau sogar zum Schlafen in ihre Kabine legen.
Einige Autofahrer lassen sich dagegen durch zu laute Musik ablenken – und hören dann Rettungsautos nicht, selbst wenn sie sich direkt nähern. „Auch im Stau gilt höchste Aufmerksamkeit“, mahnt Buchheit. Oft wechseln einige Fahrer noch von Spur zu Spur, um sich einen vermeintlichen Vorteil zu schaffen. Ein Fahrstreifenwechsel über die Rettungsgasse ist laut Mielchen aber nur dann zulässig, wenn man sich sicher auf der anderen Seite einordnen kann.
In Deutschland kommt der Standstreifen – anders als in Österreich – generell nicht als Rettungsgasse infrage. Nur wenn sie sonst nicht zu bilden wäre, darf man auf ihn ausweichen. Wie breit so eine Gasse sein muss, dafür gibt es keine rechtlichen Vorgaben. „Aber ein schweres Löschfahrzeug sollte schon durchfahren können“, sagt Buchheit.
Wichtig: Auto- und Motorradfahrer dürfen die Rettungsgasse keinesfalls zum Vordrängeln missbrauchen. Die Benutzung ist nur den Rettungskräften wie Polizei, Krankenwagen, Arzt- und Abschleppfahrzeugen vorbehalten, sagt Mielchen. „Wer gegen das Gebot der Rettungsgasse verstößt, muss mit einem Bußgeld von mindestens 20 Euro rechnen.“ Bei schwerwiegenden Behinderungen sei unter Umständen eine strafrechtliche Verfolgung denkbar. In anderen Ländern drohen von vornherein härtere Strafen.
In Europa wird die Rettungsgasse in vielen Ländern genau wie in Deutschland gebildet. In Österreich etwa müssen Autofahrer sie auf Autobahnen und Schnellstraßen mit mindestens zwei Spuren je Richtung bilden. Bei zwei oder mehr Spuren gehen die Autofahrer auf der linken Spur so weit wie möglich nach links, die übrigen nach rechts. Ansonsten ist mit bis zu 726 Euro Strafe zu rechnen. Wenn dabei Einsatzfahrzeuge behindert werden, drohen sogar bis zu 2.180 Euro. Der konkrete Betrag richte sich immer nach den Umständen des Einzelfalls.
In Slowenien und der Schweiz verhält man sich wie in Deutschland. Bei Missachtung sind in Slowenien 200 Euro fällig. In der Schweiz gibt es keinen festen Strafbetrag: Er hängt vom Einzelfall ab und ist einkommensabhängig. In Frankreich und Spanien gibt es keine mit Deutschland vergleichbare Regelung. Allerdings muss gewährleistet sein, dass die Retter vorbeifahren können. Ansonsten drohen in Spanien 200 Euro, in Frankreich in der Regel 135 Euro. Wer dort sofort zahlt, bekommt einen Rabatt und zahlt nur 90 Euro. Bei Behinderung können es aber 375 Euro werden. In den Niederlanden und in Italien gibt es laut ADAC keine expliziten Regelungen.
In Tschechien gilt eine Besonderheit: Bei zwei Spuren lassen die Autofahrer zwar ebenfalls eine Gasse in der Mitte frei. Bei mehreren muss sie allerdings zwischen dem mittleren und dem rechten Streifen entstehen. Wer sich nicht daran hält, zahlt umgerechnet circa 90 Euro, wenn er sofort in die Tasche greift. Im regulären Bußgeldverfahren ist das Doppelte fällig. Die Rettungsgasse ist solange frei zu halten, bis der Verkehr wieder ins Rollen kommt. Denn: „Man muss ebenso daran denken, dass nach Polizei, Krankenwagen und Feuerwehr auch Räum- und Abschleppfahrzeuge folgen können“, sagt Buchheit.
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