Es waren die vielbeschworenen Jahre der wirtschaftlichen und sportlichen Wunder, mit denen die noch sichtbaren Wunden des Zweiten Weltkriegs rascher verheilten. Vor 60 Jahren wurde Deutschland erstmals Fußballweltmeister, der Autobahnbau nahm wieder Fahrt auf und der Wolfsburger Volkswagen bestimmte bereits das Straßenbild – ohne aber schon ein echtes Volksauto zu sein. Denn wirklich leisten konnten sich ein ausgewachsenes Auto vorläufig nur Besserverdiener oder Hardcore-Sparer, allen anderen blieben Kleinstwagen oder Motorrad.
Dennoch gab es bereits so viele erfolgreiche Geschäftsleute und gutsituierte Bundesbürger, dass ein Dickschiff wie der Opel Kapitän Rang drei der deutschen Zulassungscharts besetzte. Noch weiter vorn, direkt hinter dem Käfer, fuhr der Opel Rekord, ebenfalls eine bereits stattliche Mittelklasselimousine. Sehr zufrieden zeigte sich auch Mercedes-Benz, eroberten die Stuttgarter doch gerade mit frisch sortierter Modellpalette neue Kundenkreise unterhalb der Kanzler-Klasse des Typs 300 „Adenauer“. Möglich machten dies der erste geräuschgedämmte Diesel im 180 D mit modischer Pontonform und der „kleine“ Sechszylinder 220a. BMW ersann deshalb ebenfalls neue Varianten für Vielfahrer, Freiberufler und Unternehmer, dies vor allem in Form billigerer Varianten der barocken Prestigebaureihe BMW 501.
Ford Deutschland dagegen fehlte es vorläufig an einem passenden Player in der neu formierten deutschen Businessclass. Die Kölner warben deshalb in höheren Klassen mit US-Modellen. Als jedoch der deutsche Henry Ford der Nachkriegsjahre, der Bremer Autobauer Carl F.W. Borgward, mit seiner schnellen Sportlimousine Isabella – anfangs noch Hansa genannt – im Sommer 1954 die Fahrzeughierarchien durcheinander wirbelte, beschleunigte Ford Köln die Lancierung seines neuen Spitzentyps 15 M. Damit nicht genug. Sogar die Staatsführung der DDR besann sich zum Jahresende 1954 des großen sächsischen Automobil-Erbes und präsentierte den Prototypen einer repräsentativen Limousine, den Horch Sachsenring, als erste eigenständige Nachkriegsentwicklung.
Die eigentliche Sensation aber war Borgwards Isabella, die mit starken Vierzylindern so noch nicht gekannte Freude ins Fahren brachte und selbst weit größere Modelle wie die gerade erst erneuerten Opel Kapitän mit Sechszylinderkraft im Rückspiegel verschwinden ließ. Von nun an war nicht mehr allein die Größe des Autos wichtig für den Status, Vmax und Spurtfreudigkeit zählten jetzt erstmals ebenfalls. „Man spricht von diesem und jenem und lehnt in bequemen Sesseln. Die Straße ist frei, frei von den Fesseln der Wagen … Einhundertzehn … Was weiß man von Kurven, von schlechten Wegen … Ruhig bei zehn, ruhig bei hundert ist Isabella, von vielen bewundert.“ Hinzu kam eine elegant-kapitalistische, wenn auch durch die NS-Zeit belastete Redewendung als Werbecredo: „Jedem das Seine – Anspruchsvollen eine Isabella.“ Allerdings waren die gut betuchten Käufer aller konkurrierenden Businessliner kaum weniger anspruchsvoll, allenfalls setzten sie andere Schwerpunkte. Etwa was die repräsentative äußere Größe und das damit verbundene Prestige für Vorstandsparkplätze betraf, Attribute für die Borgward aber mit dem Hansa 2400 ein Sechszylinder-Flaggschiff im Portfolio hatte.
Allerdings konnten es die Hansa-Fastback- und Pullmanlimousinen nie mit den eigentlichen Megasellern für erfolgreiche Unternehmer aufnehmen. Wirtschaftskapitäne fuhren damals Mercedes – oder eben Kapitän. Der größte Opel wies den erfolgreichen Unternehmer aus, gleich ob Generaldirektor oder Gemüse-Großhändler. Das Erfolgsgeheimnis für die Full-Size-Opel aus dem GM-Konzern basierte auf den amerikanischen Formeln „Viel Auto für wenig Geld“ und kein Kalenderjahr ohne neue Kleider. Entsprechend frisch gestylt präsentierte sich der Kapitän '54 – ebenso übrigens wie sein kleiner Vierzylinder-Bruder, der Olympia Rekord. Von den Verkaufserfolgen der Rüsselsheimer Mini-Straßenkreuzer konnten andere Marken nur träumen, denn daran anzuknüpfen gelang nicht einmal der zweiten deutschen Tochter eines US-Konzerns.
Im Gegenteil, Ford Köln blickte geradezu frustriert auf die futuristischen oder zumindest repräsentativen Modelle der Ford-Konzern-Kollegen aus England und Frankreich. Durften diese doch ihre Sechs- und Achtzylinder-Fahrzeuge wie die Vedette sogar in Deutschland verkaufen, während der Ausbau des deutschen Ford-Programms von der Konzernzentrale nicht gefördert wurde.
Köln machte deshalb zum Modelljahr 1955 aus der Not eine Tugend und dekorierte den Taunus 12 M durch mehr Luxus und Leistung zum Taunus 15 M. Damit konnte die große Zielgruppe der Handelsvertreter und Kaufleute wenigstens dem Opel Rekord die Rückleuchten zeigen, denn der 40 kW/55 PS kräftige Ford 15 M passierte beim Standardsprint die 100-km/h-Marke schon nach 19 Sekunden. Zum Vergleich: Die Sechszylinder Opel Kapitän und BMW 501 benötigten 25 bzw. 27 Sekunden, der Olympia Rekord sogar 35 und der Mercedes 180 D träge 44 Sekunden. Die Vmax lag bei den meisten Konkurrenten im Feld von 130 bis 140 km/h und damit fast ein Drittel höher als beim VW Käfer. Schon der Käfer zeigte jedoch, wie relativ kostspielig Autofahrten damals noch waren: So wurde eine 650-Kilometer-Fahrt vor 60 Jahren mit Kosten von etwa 110 Mark kalkuliert, was immerhin einem Viertel des monatlichen Durchschnittsverdienstes entsprach. Entsprechend groß waren deshalb die Hoffnungen von Mercedes auf einen durchschlagenden Erfolg des zwar phlegmatischen aber auch sparsamen 180 Diesel.
Wer mehr Temperament forderte, für den gab es den 180 Benziner mit 38 kW/52 PS oder den 150 km/h schnellen Mercedes-Benz 220a mit 2,2-Liter-(63 kW/85 PS)-Sechszylinder für 12.500 Mark. Mit dem mondänen 220a belohnten sich meist diejenigen, die Wohlstand erworben hatten und dies durch viel Chromglamour und Stern zeigen wollten. Immerhin kostete der stattliche 4,72 Meter messende Sternträger so viel wie zwei Opel Rekord oder ein Opel Kapitän plus Rekord-Jahreswagen. Das Prestige des Sterns war jedoch unerreicht, nur die neuen BMW 501 V8 vermochten in dieser Disziplin fast gleichzuziehen. Allerdings waren sie deutlich teurer und wurden entsprechend seltener gekauft als die Stuttgarter Sterne, weshalb BMW den Absatz durch die nachgeschobene Basisversion 501 B beschleunigen wollte. Vergeblich, der durch Verzicht auf die damals obligatorischen Chrom- und Schmuckinsignien billigere 501 B mit Sechszylinder-Benziner blieb ungeliebt.
Fast gigantisch fiel entsprechend dem Zeitgeist der grinsende Chromgrill des Horch Sachsenring P 240 aus, mit dem die DDR-Automobilindustrie am 30. Juni 1954 ihren ersten und auch einzigen Anlauf in der großen Fahrzeugklasse präsentierte. Die traditionsreiche Markenbezeichnung Horch entfiel zum Serienanlauf, was den Nimbus des Modells nicht schmälerte. Optisch, technisch und kalkulatorisch schwebte der Sachsenring allerdings so weit über dem gesellschaftlichen Alltag, dass er überwiegend den DDR-Staatslenkern und der Politik-Prominenz vorbehalten blieb und bis 1959 nur knapp 1.400 Zulassungen erzielte. Einig waren sich Ost und West damals in den Credos: „Wir sind wieder wer“ und „Es geht voran“. Wobei jede der deutschen Republiken ihren eigenen Weg wählte und allein der Westen Limousinen des Oberhauses allen Bürgernals Wohlstandssymbol zugestand.
Text: Spot Press Services/Fotos: Audi, Autodrom, Ford/SP-X