Einmal im Jahr treffen sich die im positiven Sinne „ganz Bekloppten“ des Motorsports auf dem Nürburgring. Und das gleich in geballter Wucht: 170.000 Zuschauer waren es laut dem Veranstalter ADAC, die sich von Freitag bis Sonntag bei der 29. Auflage des ADAC Truck-Grand-Prix rund um den Nürburgring versammelten, um ein Lebensgefühl der besonderen Art zu goutieren: Fliegende Führerhäuser im Kampf Rad an Rad. Ein dichtes, stampfendes, schwankendes Fahrerfeld Spiegel an Spiegel in zwei Meter Höhe, das sich im wilden Höllenritt bei 160 Stundenkilometer in das Kurvengeschlängel wirft.
Doch der Truck-Grand-Prix ist weit mehr als nur Motorsport, wenn auch zugegeben ein ganz besonderer. Der „Trucker“ vereint einmal im Jahr jene Spezies von Menschen, deren Welt die auf die Spitze getriebene Ekstase der Logistik- und Nutzfahrzeugbranche ist. Eine eigentlich „furztrockene“ Welt der Mobilität, der kontinentalen Dienstleistung rund um die Uhr auf Hunderttausenden von Straßenkilometern, die sich für drei Tage das schrille Kleid der Extravaganz übergestreift hat.
Wenn Menschen in dieser Häufigkeit gut gelaunt, mit geöffneten Herzen und (zumindest teilweise) geöffneten Geldbeuteln an einem Ort zusammen treffen, dann ist das zwar Treffpunkt von motorsportlicher Kunst, aber auch von Kommerz. Wo sich die überzüchteten Hightech-Ausgaben der renommierten Lkw-Branche, Ungetüme von Mercedes-Benz, Volvo, MAN, Freightliner, Renault oder Scania Atemberaubende Duelle liefern, da sind die Hersteller und die Zulieferer natürlich mit großen Ständen, mit Zelten, mit PR-Aktionen, eben mit viel „Show-Brimborium“, aber auch mit viel Information und Innovation vertreten.
Denn wer hierher kommt, der ist nicht nur Kenner und manchmal auch Könner der Szene, sondern in vielen Fällen auch Kunde. Nirgendwo findet die Industrie diese Klientel noch einmal in einer auch nur annähernd vergleichbaren Ballung wie beim Saison-Höhepunkt der Truck-EM am Nürburgring. Daher ist dieses Mega-Event in der Eifel auch eine willkommene Plattform der Nutzfahrzeug-Industrie. Der Truck-Grand-Prix ist nicht nur Diesel-Happening jenseits aller gültigen Verbrauchsnormen, sondern auch eine Industriemesse. Die größte neben der IAA-Nutzfahrzeuge, die im Herbst in Frankfurt am Main stattfindet.
Einzigartig war heuer ein Lkw des Auto- und Lkw-Zulieferer ZF: Ein Innovationstruck, der sich dank einer modernen Sensorik mit einer leichten Bewegung des Zeigefingers am Tablet steuern ließ. Dessen Basis war ein 25,25 Meter langer Lastzug-Prototyp. Er vereinte drei verschiedene Komponenten aus den Regalen von ZF Friedrichshafen, ZF Lenksysteme und so genannte Openmatics. Diese drei Bausteiner laufen in einem Prototypen-Steuergerät zusammen, das via Bluetooth im ständigen Kontakt mit dem Tablet steht.
Der Fahrer sieht in einer Tablet-App Zugfahrzeug, Auflieger und Anhänger. Er kann aus seinem Führerhaus aussteigen, und den Lkw mit dieser App auf dem Tablet präzise an die gewünschte Stelle fernsteuern. Im Prinzip so wie es Technik-affine Kleinkinder mit ihren Spielzeug-Autos machen, die sie zu Weihnachten unter dem Gabentisch vorfinden. Der Trucker ist demzufolge – auch wenn zwei abendliche Country-Konzerte in der Müllenbachschleife Tausende anlockten – nicht nur feuerwürdige Gegenwart, sondern auch ein Stückchen Zukunftsmusik.
Text und Fotos: Jürgen C. Braun