Vor zwanzig Jahren gelang den Japanern der Sprung nach ganz oben. Die notorisch unterschätzten Asiaten hatten sich mit zuverlässigen, gut ausgestatteten Autos eine solide Basis erarbeitet. Im stillen jedoch konzentrierten sich ganze Armeen von Ingenieuren auf größere Dinge. 1989 und 1990 war es so weit: Lexus und Infiniti wagten den Frontalangriff auf die deutsche Oberklasse, und den Angriff in der Sportwagenklasse übernahm Honda. Der NSX zielte direkt auf Ferrari 348, Porsche 911 und die Corvette von Chevrolet.
Eine 201 kW/274 PS starke Mittelmotor-Fahrmaschine mit Karosserie und Chassis aus Aluminium war damals eine Weltneuheit. Die Feinabstimmung des Fahrwerks hatten zwei absolute Perfektionisten erledigt: Unternehmensgründer Soichiro Honda und Formel-1-Legende Ayrton Senna. Die beiden hatten sich gerade erst frisch mit einem weiteren Weltmeistertitel in der Königsklasse des Motorsports geschmückt.
Der im Vergleich zu anderen Supersportwagen relativ erschwingliche Honda NSX stellte in seiner Gesamtqualität vielleicht sogar so zukunftsweisende und ultrateure Überflieger wie den mit manchen Pannen belasteten Porsche 959 in den Schatten. Genau diese Perfektion war es aber auch, die den ganz großen Imageerfolg des NSX verhinderte. Denn besonders begehrenswerte Traumsportwagen sind seit jeher geprägt von Unberechenbarkeit und Irrationalität, Eigenschaften, die ebenso wichtig sind wie ein sorgsam gepflegter Markenmythos – und an denen es dem japanischen Mittelmotorrenner fehlte. Trotzdem fand der weitgehend in Handarbeit in einer eigens in Tochigi errichteten Manufaktur produzierte Bolide in 15-jähriger Bauzeit weltweit doch noch 17.600 Fans, davon etwa die Hälfte in den USA, aber nur 271 in Deutschland. Fast immer waren dies Enthusiasten, die den bis zu 274 km/h schnellen, hochdrehenden 3,0-Liter-Sechzylinder auch gerne im Alltag bewegten und problemlos Laufleistungen weit jenseits der 200.000-Kilometer-Marke erreichten – für einen hochgezüchteten Supersportler nicht selbstverständlich.
Zurück in den frostigen Februar 1989: Die Chicago Motor Show stand damals ganz im Zeichen japanischer Sportwagen. Während der Mazda MX-5 die Idee des klassischen Roadsters revitalisierte, sollte der Honda NSX die Formel-1-Philosophie in einen Straßenrenner transferieren. Die Schlagzeilen der Weltpresse bestimmte zunächst der massentaugliche Mazda, die High-Tech-Sensation von Honda debütierte ja auch nur als Prototyp. Bis zur Weltpremiere des Serienfahrzeugs in Genf sollte es noch ein Jahr dauern. Was dem Honda New Sportscar eXperimental (NSX) nach rund fünfjähriger Entwicklungszeit bei der Chicago Motor Show immer noch fehlte, waren die finalen Abstimmungsfahrten durch Ayrton Senna. Im Frühjahr 1990 war es endlich soweit: Soichoro Hondas Technologietransfer zwischen Formel 1 und Straßenauto wurde besonders in Nordamerika, dem Hauptabsatzmarkt, mit Schlagzeilen und Auszeichnungen gebührend gefeiert. Mit der Triebwerksanordnung in der Fahrzeugmitte sowie Motorblock und Zylinderköpfen aus Aluminium, Pleuelstangen aus Titan, Zündkerzen aus Platin und Kolben aus Aluminium-Silizium-Legierung, alles standfest bis zum Drehzahllimit von 8.000 Touren, machte die 1,16 Meter flache Flunder Grand-Prix-Technik erstmals voll alltagstauglich. Als die potentiellen Kunden in Amerika und Asien im August 1990 zu ersten Probefahrten starten konnten, war die Sensation nicht nur unter Porsche-Piloten perfekt.
Was dem Honda dennoch an finaler Vmax gegenüber Ferrari oder Porsche Turbo fehlte – alle Japaner hatten sich damals eine Leistungsbeschränkung von maximal 280 PS auferlegt – kompensierte der Nippon-Renner durch fast perfekte Bodenhaftung und Technologiekompetenz. Die Liste der Innovationen ist für einen Sportwagen nahezu beispiellos: Weltweit erstes Vollaluminium-Serienfahrzeug, erster Sportwagen mit elektrisch unterstützter Zahnstangen-Servolenkung, erstes Auto mit variablem Sperrdifferential, das nicht nur die Traktion, sondern auch die Spurabweichung bei Seitenwind korrigiert, erster Sportler mit variabler Ventilsteuerung und Drive-by-Wire-Pionier mit elektronischem Gaspedal (ab 1995). Honda und die amerikanische Premiumtochter Acura – geschaffen für Modelle wie den NSX – waren endgültig in der Champions League der Autobauer angekommen.
Auf dem Hauptabsatzmarkt, den USA, honorierten dies im ersten Verkaufsjahr rund 3.200 Kunden. Danach stürzten die Zahlen allerdings wie in fast allen Ländern ab. Dabei hatte Honda mit weltweit rund 6.000 Autos pro Jahr kalkuliert; tatsächlich wurden aber in 15 Jahren nur 17.600 Fahrzeuge gefertigt. Den Spuren des globalen Bestsellers Honda CRX konnte das elitäre Schwestermodell also nicht einmal ansatzweise folgen. Und auch die Absatzzahlen der technisch bodenständigeren japanischen Wettbewerber Nissan 300 ZX und Mazda RX-7 verfehlte der NSX. Soichiro Honda erlebte dies nicht mehr, er starb 1991. Mit japanischer Hartnäckigkeit und Ausdauer setzten die Honda-Techniker aber im Sinne des genialen Unternehmensgründers auf regelmäßige Modellpflegemaßnahmen und zahlreiche Motorsporterfolge, die allerdings an den bescheidenen Verkaufszahlen des Spitzemodells genau so wenig änderten wie die Targaversion NSX-T oder der extrascharfe und besonders leichtgewichtige NSX-R. Auch die Hubraumvergrößerung auf 3,2 Liter im Jahre 1997 und das ästhetisch fragwürdige Facelift vom Herbst 2001, in dessen Zuge der NSX seine Klappscheinwerfer verlor, verpufften ohne bemerkenswerten Effekt. Dafür gewann Honda in der Liga der Superautohersteller Ansehen und Anerkennung. Sogar McLaren-F1-Entwickler Gordon Murray ließ sich in Details vom NSX für sein damals schnellstes Serienauto der Welt inspirieren. Was dem NSX zuletzt fehlte, war Leistung. Als seine Produktion 2005 endete, hatten sich die Wettbewerber längst in höhere Sphären verabschiedet.
Einen Nachfolger hat der Super-Honda bis heute nicht erhalten. Im Dezember 2008 verkündete Honda das Ende der Entwicklungsarbeiten an einem neuen Supersportler – zumindest bis die Krise in der Automobilbranche überwunden ist.
Text: Spot Press Services/wn
Fotos: SPS/Autodrom Archiv