Renault: Oberklasse mit Tradition, aber offener Zukunft

Nach einem Jahrhundert zählen sie zu den aussterbenden Arten, die klassischen Renault-Flaggschiffe. Sowohl Talisman als auch Espace kommen ans Ende ihrer Karriere und Nachfolger sind nicht in Sicht. Andererseits definiert sich die französische Oberklasse seit jeher auf spezielle Art: Raffinierte Ausstattungsdetails und großzügige dimensionierte Passagierkabinen gelten in Paris traditionell als Insignien luxuriösen Lebensstils. Exactement damit beeindruckt sogar der gerade vorgestellte Renault Scenic Vision, der ab 2024 mit Batterie-Brennstoffzellenantrieb die Kompaktvans aufmischen soll.

Raus aus den kleinen Anfängen des 1898 begonnen Autobaus und hin zum globalen agierenden Generalisten, dieser Traum trieb den Unternehmenspatriarchen Louis Renault 1907 an, einen ersten Sechszylinder mit gigantischen 9,5 Liter Hubraum zu lancieren, das Modell 50 CV/60 CV. Obwohl sich 1912 sogar der russische Zarenhof in Sankt Petersburg mit seinen Automobilen ausstaffierte, gelang dem als Grand Patron gefeierten Louis Renault erst nach dem Ersten Weltkrieg der ganz große Coup: Der neue Renault 40 CV wurde nun Inbegriff des französischen Luxusautomobils. Fortan ließen sich die Präsidenten der Dritten Republik in diesem Riesensalon auf Rädern chauffieren, der mit monumentalen Sechszylindern (bis 9,1 Liter Hubraum) auch für Vmax-Rekorde gut war. Diese beeindruckten sogar die Bentley-Boys, als ein 40 CV eine 24-Stunden-Fahrt mit einem Schnitt von 173,6 km/h absolvierte.

Haute Couture à la V8-Voiture verkörperte der 1928 nachfolgende Renault Reinastella, für den fast alle namhaften Karossiers individuelle Kleider schneiderten. Zugleich profitierte der Reinastella vom Scheitern überteurer Rivalen wie des Bugatti Royale. Was konnte jetzt noch kommen? Der Suprastella als ultimativer Renault für Präsidenten, Könige und Großindustrielle, vorgestellt 1938 im mondänen Pariser Kristallpalast. Als letzter Exponent der Renault-Achtzylinder-Dynastie sprengte der bis 6,50 Meter lange Suprastella herkömmliche Maßstäbe, erwies sich die im Schwung des Art Deco gezeichnete Limousine doch als so zukunftsweisend, dass sie noch bis in die 1950er Jahre als Staatskarosse, auch für die niederländische Königin Juliana, zum Einsatz kam.

In jenen Nachkriegsjahren des wirtschaftlichen Wiederaufbaus bot außerdem der bis 1960 gebaute Renault Frégate in extravaganten Amiral- und Grand-Pavois-Ausstattungen eine schicke Vierzylinder-Alternative, etwa zu BMW 501 oder Opel Kapitän. Die Ära der Hubraum- und Zylinderriesen war in Frankreich nun Vergangenheit, wie dirigistische Pläne der Politik verrieten. Deshalb schickte Renault die V8 ins Archiv, begnügte sich mit der Montage amerikanischer Rambler-Limousinen für repräsentative Aufgaben – und sorgte erst auf dem Genfer Salon 1975 erneut für lange Gesichter in den Chefetagen deutscher Automobilkonzerne.

Star der Messe war der revolutionäre Renault 30 TS, der die Sechszylinder-Klasse mit seiner riesigen Heckklappe erobern wollte und dafür mit Preisen warb, die um bis zu 35 Prozent unter den deutschen Platzhirschen lagen. Dennoch blieb der Gallier ein Geheimtipp, wie die Gesamtproduktionszahl von nur 145.000 Einheiten indiziert. Woran es lag? Der Renault 30 übertrug das erstmals beim Renault 16 von 1965 präsentierte Konzept einer eleganten Fließhecklimousine mit praktischer Heckklappe in die Oberklasse, wo es außerhalb Frankreichs schlicht nicht akzeptiert wurde. Europäischer Standard wurde die fünftürige Karosserieform erst ab Mitte der 1980er Jahre. Dazu trug der aerodynamische Renault 25 bei, der 1984 mit kuppelartigem Heck das Sportcoupé Fuego zitierte, aber zugleich optische Nähe zu Stufenheckmodellen vermittelte. Futurismus prägte das von Stardesigner Marcello Gandini kreierte Cockpit im Renault 25, während ein 151 kW/205 PS starker V6 Turbo das Topmodell der Baureihe in einen Jäger süddeutscher Premiumhirsche verwandelte.

Nach 781.000 Einheiten in acht Jahren Bauzeit überließ der Renault 25 das Feld dem Renault Safrane. Dieses Fließheckmodell entfaltete als 193 kW/263 PS starker V6-Biturbo eindrucksvolle sportliche Talente, nicht zu vergessen der Safrane Initiale Paris als Speerspitze einer neuen Luxus-Kampagne. Dazu passte, dass sich Renault 1995 mit der von einem V10 angetriebenen Studie Initiale in der Liga des früheren Suprastella zurückmeldete. Renault erfand sich damals neu, während die von Frankreichs Präsident Francois Mitterrand verfügten monumentalen Großbauten das Bild von Paris veränderten. Jahre der Erneuerung, die Renault mit dem Van-Vorreiter Espace weiter beschleunigte. Trotz vieler Nachahmer legte die Großraumlimousine Renault Espace lange Zeit die Messlatte immer höher.

Freude an frischer Formgebung und französischer Noblesse, das versprach auch das zu Beginn des neuen Millenniums vorgestellte Duo aus Renault Avantime und Vel Satis. Avantime, dieser Name wurde für das weltweit erste Van-Coupé zum Schicksal, denn tatsächlich fuhr der V6 seiner Zeit zu weit voraus, blieb unverstanden und endete nach nur zwei Jahren und 8.552 Einheiten im Museum gescheiterter Designkunstwerke. Dagegen rivalisierte der gleichfalls eigenwillig gezeichnete Vel Satis mit dem skulpturalen Citroen C6, gewann jedoch den Ruf einer schnellen Reiselimousine. Die Präsidenten Nicolas Sarkozy und Emmanuel Macron wussten diese Qualitäten des optional von einem 3,5-Liter-V6 befeuerten Vel Satis besonders zu schätzen. Ganz anders der 2010 vorgestellte Vel-Satis-Erbe: Abgeleitet von einem koreanischen Samsung-Renault-Stufenhecktyp konnte der Renault Latitude die an ihn gerichteten Erwartungen nie erfüllen. Auch dem 2014 eilends nachgeschobenen Renault Talisman gelang es nicht, alles besser zu machen: Fin de Siècle für Renault-Flaggschiffe? Die Zukunft fährt emissionsfrei, postuliert die Politik heute. Renault weist den Weg à la francaise: Mit neuer Batterie-Brennstoffzellentechnik im Scenic Vision mit Monospace-Layout.

Fotos: Renault

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