„SL“, diese beiden Buchstaben kennt wohl jeder Sportwagenenthusiast, brachte doch bereits der allererste Botschafter dieses ikonischen Typencodes für „Super-Leicht“ vor 70 Jahren alles mit, was einen Jahrhundert-Klassiker ausmacht. Mit dem straßentauglichen Racer 300 SL der Baureihe W 194 sammelte Mercedes-Benz ab 1952 Motorsportsiege in Serie, ehe ab 1954 der legendäre 300 SL (W 198) mit Flügeltüren- bzw. Gullwings Geschichte schrieb. In Fahrleistungen und technischer Faszination sprengte dieser Urvater von inzwischen acht SL-Generationen damals jegliche Vorstellungskraft, was sich bis heute in immer neuen Rekordpreisen spiegelt, die Liebhaber für makellose Flügeltürer bezahlen: Vor wenigen Wochen erst erzielte ein Aluminium-Flügeltürer atemberaubende 6,1 Millionen Euro bei einer Auktion.

Auch alle nachfolgenden SL-Serien erreichten Traumwagenstatus während ihrer Produktionszeit, als leistungsstarker Technologieträger ebenso wie als luxuriöser Roadster. Eine Parade der Preziosen, die 1957 den offenen 300 SL als Ferrari-Herausforderer hervorbrachte, schon 1954 den Typ 190 SL als Traum aller Frauen, 1963 den 230 SL mit Pagodendach, 1971 den barocken Bestseller R 107. Dann den bis zur Jahrtausendwende aktuellen R 129 mit V12-Power von AMG, die folgende SL-Generation R 230 mit Panorama-Variodach, den 2012 lancierten R 231 mit leichter Karosserie dank Aluminium und heute den ersten SL der Marke Mercedes-AMG. Sammlerstatus immer serienmäßig.

Zum 70. Jubiläum lässt es der weltweit meistverkaufte hochkarätige Touren-Sportler krachen wie ganz am Anfang: Der erste komplett von der Sportschmiede Mercedes-AMG in Affalterbach entwickelte SL liefert dank eines bis zu 430 kW/585 PS starken V8 auf Straße wie Strecke Fahrleistungen im Supersportwagenbereich und dies erstmals via Vierradantrieb. Erinnerungen an die Ahnen der Roaring Fifties – der 300 SL toppte mit 260 km/h auch Maranello-Boliden – weckt aber auch der Vierzylinder im neuen Basistyp SL 43. Feierte doch 1954 der furiose Gran Turismo 300 SL sein Serien-Debüt zeitgleich mit dem Vierzylinder-Roadster 190 SL.

Gelassenes Gleiten statt angespanntes Racen, dafür war der 77 kW/105 PS leistende 190 SL mit Pendelachs-Fahrwerk und Trommelbremsen ausgelegt. Damit einher ging das Gefühl burgähnlicher Stabilität, für das Mercedes von der Fachwelt allgemein gelobt wurde. Die schnellen Formen des 190 SL fanden bis 1963 fast 26.000 Käufer, denen der 300 SL zu teuer war und ein Porsche zu maskulin. Tatsächlich fand der 190 SL unter Frauen eine große Fangemeinde. Davon künden Fotos mit den Leinwandstars der frühen Nachkriegsära wie Gina Lollobrigida und Grace Kelly, die spätere Fürstin Gracia Patricia von Monaco, chauffierte sogar die Pop-Ikone Frank Sinatra im 190 SL. Eine besondere Fama für den offenen Sternenkreuzer bedeutete dagegen die blonde Rosemarie Nitribitt, die im Mai 1956 einen schwarzen 190 SL kaufte und damit Männerbekanntschaften schloss, die ihren luxuriösen Lebensstil finanzierten, bis sie im November 1957 ermordet aufgefunden wurde. Eine ungeklärte Tat, die zum großen Gesellschaftsskandal der moralinsauren Wirtschaftswunderjahre eskalierte.

Wie erneuert man die vielleicht größte Design-Ikone der Automobilgeschichte? Der amerikanische Mercedes-Importeur Max Hoffman wusste, was zu tun war als die Marke mit dem Stern nach einem Ersatz für den 300 SL mit seinen spektakulären Flügeltüren fahndete. Schließlich hatte Hoffman bereits die Straßenversion dieses Racers initiiert und nun – passgenau für die Open-Air-Saison 1957 – hoffte er auf eine offene Variante, den 300 SL Roadster. Der Daimler-Benz-Vorstand ließ sich rasch überzeugen und tatsächlich gelang es dem bis zu 165 kW/225 PS starken Sonnensegler aus dem übergroßen Schatten seines flügeltüren-bewehrten Vorgängers zu fahren, wie die eindrucksvollen Verkaufszahlen verrieten. Insgesamt 1.858 Einheiten des damals weltweit schnellsten offenen Seriensportwagens wurden gebaut, avancierte er doch zur Insignie des internationalen Jetsets und Geldadels. Vor allem aber setzte der muskulöse 300 SL zusammen mit dem 190 SL die Initialzündung zur offenen SL-Baureihe. Luxus-Roadster, die sich mit bis heute gut 750.000 Einheiten auf Platz zwei der ewigen Bestenliste der meistverkauften Frischluft-Zweisitzer positionieren – hinter dem preiswerten Mazda MX-5.

Leuchtende Farben und ein konkaves Pagodendach machten den 1963 vorgestellten 230 SL (W 113) zum automobilen Popstar der Swinging Sixties. Dieser unter dem Einfluss des genialen Konstrukteurs Béla Barényi und des jungen Stardesigners Paul Bracq entstandene Mercedes führte innovative Sicherheitstechniken wie Knautschzonen und feine Formen zeitloser Eleganz ein. Mit klaren Linien und einem ätherisch leicht und licht wirkenden Dachpavillon im Stil fernöstlicher Tempel vollzog der Franzose Bracq eine Neuausrichtung des Automobildesigns, das sich von betont maskulinen Wettbewerbern wie Jaguar E-Type oder Chevrolet Corvette deutlich differenzierte. Die Basis für eine achtjährige Erfolgsgeschichte, in der Mercedes rund 49.000 Einheiten vom 230 SL und seinen Evolutionsstufen 250 SL und 280 SL verkaufte.

Zum Bestseller aller SL-Generationen avancierte aber ausgerechnet das Schwergewicht unter den Sternensportlern. Der 1971 präsentierte Roadster mit dem internen Kürzel R 107 schwelgte in opulenten Formen mit viel Chrom, dem ersten V8 unter einer SL-Haube, und er ignorierte derart konsequent den ursprünglichen Sinn des Typenkürzels SL, dass er noch vor Marktstart den heimlichen Beinamen Panzerwagen erhielt. Ein Panzer, der den Kunden gefiel, denn mit über 237.000 Einheiten in 18 Jahren ist er meistproduzierter SL aller Zeiten. Permanente technische Innovationen und eine unter Luxusautos bis dahin unerreichte Popularität bei Prominenz und Geldadel ermöglichten den Typen 280 bis 560 SL eine beispiellose Karriere – dies übrigens auch als TV- und Kinoheld mit fast 1.000 Filmeinsätzen.

Bahnbrechende Sicherheit zeichnete die Baureihe R 129 aus, die 1989 mit Innovationen vom automatischen Überrollbügel bis hin zum Integralsitz aufwartete. Aus Kapazitätsgründen wurde die Produktion des neuen SL von Sindelfingen nach Bremen verlagert und dennoch kam es zu jahrelangen Lieferzeiten. Die Käufer des von Bruno Sacco skulptural gezeichneten Roadsters konnten dafür erstmals einen Zwölfzylinder ordern, als SL 73 AMG mit 386 kW/525 PS aus gigantischen 7,3 Liter Hubraum. Den Trend zum Coupé-Cabrio griff der 2001 eingeführte SL mit Code R 230 auf, die Leistungsspitze markierte nun der SL 65 AMG Black Series mit 493 kW/670 PS.

Seinen 60. Geburtstag feierte der SL mit der Baureihe R 231 und der Rückkehr zur Leichtbau-Karosserie. Gegen die hausinterne Konkurrenz aus S-Klasse-Cabrio und AMG GT-Roadster hatte dieser SL allerdings keinen leichten Stand. So richtig strahlen kann der große Stern im Kühlergrill erst heute wieder zum 70. Jubiläum und mit dem neuen Mercedes-AMG SL (R 232), der das Zeug zum Klassiker hat: als vermutlich letzter SL mit Verbrenner-V8.

Fotos: Mercedes Benz Media

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