Ein 3,92 Meter kurzes und 1,47 Meter schmales Volumenmodell definierte vor 60 Jahren das Kleinwagensegment neu – so hießen die Kompakten damals noch – und ließ alle Heckmotorkonstruktionen der Mitbewerber schlagartig alt aussehen. Die Bänder im Werk Bochum belastete der effiziente und geräumige Opel Kadett A mit Frontmotor bis zur Kapazitätsgrenze, und sogar in der amerikanischen Heimat des damaligen Opel-Mutterkonzerns General Motors erzielte die in klaren Trapezlinien konturierte Kadett-Familie aus Limousine, Coupé und Kombi Achtungserfolge. Ein solides Fundament, auf dem die folgenden Kadett-Generationen aufbauten und so den Käfer kurzzeitig deklassierten. Plötzlich war Bochum das Wolfsburg des Ruhrgebiets und ein neuer Nabel der Kleinwagen-Welt.
Bochum und der Kadett sind längst Geschichte, und doch war es eine Erfolgsstory, die 1962 geschickt mit dem Kadett (A) – das Wort bezeichnet eigentlich einen Seeoffiziersanwärter – angelegt wurde. „Junger Mann aus gutem Haus“ mit dem modernsten Autowerk der Welt als „Geburtsstätte“: Die Opel-Werbung traf den Zeitgeist perfekt, der Kadett wurde „Freund“ genannt, „mit dem Sie auf Du und Du stehen und der mit Ihnen durch dick und dünn geht“. Das Auto als neues Familienmitglied, diese Assoziation traf Menschen, die trotz Wirtschaftswunders jahrelang auf ein kompaktes Fahrzeug gespart hatten, mitten ins Herz. Selbst die Arbeiter, die das Einstiegsmodell ins deutsche Opel-Programm am Fließband montierten, fuhren anfangs meist noch mit dem Fahrrad zum Werkstor. Da folgten stolze Sparkönige nur zu gerne der seitenlangen Aufforderung in der Opel-Betriebsanleitung, „die liebevolle Pflege Ihres Kadett zum ausgesprochenen Hobby und den Wagen zur Visitenkarte zu machen.“
Die Autowäsche am Wochenende wurde damals in deutschen Wohnsiedlungen Familien-Ritual und der blecherne „Freund“ ähnlich wie ein Kind stolz den Nachbarn zur Schau gestellt. Ganz besonders natürlich, wenn der Kadett mit teuren, aber angesagten Weißwandreifen, feinem „L“-Zierrat, als elegantes Coupé oder gar als chromgeschmückter Caravan-Kombi mit drei Sitzreihen auf nur 2,33 Meter Radstand für die Generation Baby-Boomer shampooniert, gespült, getrocknet und poliert wurde. Jedes Pflegedetail wurde minutiös erklärt im Kadett-Handbuch.
Tatsächlich war es die Modellvielfalt, mit der die kleinen Opel Maßstäbe im Kompakt-Segment setzten, schließlich gab es auch noch den Lieferwagen „Caravan Combi“. Nicht nur dies, der Kadett A Caravan war außerdem einer der ersten kompakten Kombis und zusammen mit dem größeren Rekord Caravan so erfolgreich, dass Mitte der 1960er Jahre jeder zweite in Deutschland verkaufte Kombi ein Opel war. Dies trotz Konkurrenz durch Ford Taunus Turnier und VW Variant. Alles Vorboten einer neuen Ära, die dann beim Kadett „B“ eine wahre Flut von 14 Karosserie-Varianten hervorbrachte.
Die Welt war 1962 im Umbruch und Opel spiegelte dies. Im Jahr als die Beatles vom Plattenproduzenten Decca abgelehnt wurden, weil Gitarrengruppen unmodern würden, als Sam Walton in den USA die das ganze Land überziehenden Wal-Mart-Supermärkte eröffnete, Discounter Aldi Deutschland in Nord und Süd aufgeteilt hatte, und GM entschied, einen kleinen Opel (Kadett) künftig über Buick-Händler im Land der Straßenkreuzer zu vertreiben sowie Kadett-Lizenzproduktionen auf allen Kontinenten einzurichten, in jenem Jahr begann für die deutsche GM-Dependenz eine neue Ära.
Immerhin war den Opelanern ein Coup gelungen, den heute kaum jemand wiederholen könnte:Auf Direktive aus dem GM-Hauptquartier in Detroit entwickelte Opel seit 1957 in aller Heimlichkeit einen designierten Käfer-Killer für den ab 1960 in gut 20 Monaten ein neues Werk aus dem Boden gestampft wurde und in Betrieb ging. Dieser kleine Opel sollte „Jung und voll Schwung“ sein, wie die Werbung zum Marktstart verkündete. Und gleichzeitig dem damals noch untadeligen Ruf hoher Zuverlässigkeit aller Opel-Modelle Ehre machen. „Opel Kadett – kurz gesagt O.K.“ lautete denn auch das selbstbewusste Motto einer Anzeigenkampagne zur Markteinführung. Immerhin hatte Opel mit 30 Erlkönigen über 1,5 Millionen Testkilometer auf Prüfgeländen bei Rüsselsheim und Milford (Michigan, USA), aber auch am Polarkreis zurückgelegt.
Adrenalinhaltige Emotionen – plötzlich sogar bei Familienvätern gefragt – konnte der Kadett A ebenfalls freisetzen. Der 29 kW/40 PS oder später optional 35 kW/48 PS leistende 1,0-Liter-Vierzylinder beschleunigte den gerade einmal 670 Kilogramm wiegenden Kadett auf damals fast sportliche Fahrleistungen, die denen des großen Rekord kaum nachstanden und die sich mit Dynamikern wie Renault Dauphine Gordini oder Glas 1004 messen konnten. Dazu passte die Kombination des Kadett-Kraftwerks mit einem gleichfalls neuen, vollsynchronisierten Viergang-Getriebe mit sportiver Knüppelschaltung. Bei der Rallye Monte Carlo sicherte sich ein Opel Kadett A den dritten Platz in der GT-Klasse und bei der Langstreckenrallye Tour d’Europe fuhren Opel Kadett zuverlässig von 1963 bis 1967 vorne mit. Alles Bausteine, die das Image des preiswertesten Opels polierten.
Miteinem Festakt in Bochum feierte Opel im Januar 1965 die Produktion des 500.000sten Kadett A. Eine halbe Million Konkurrenten für den Käfer, der sich damals bereits auf sein Zehn-Millionen-Jubiläum vorbereitete. Im Rückblick tragisch ist allein, dass der Kadett A, mit dem 1962 alles anfing, so schnell ins Abseits geriet. Verbraucht und verschrottet wie die meisten Massenmobile. So finden sich zum 60. Geburtstag kaum Überlebende.
Fotos: Opel