„Ein solcher Wagen kommt nicht jedes Jahr“, erklärte die Commodore-Werbung, offenbar mit Blickrichtung Köln und den parallel präsentierten, schwerfälliger wirkenden Granada. „Für Menschen, die Sport und Eleganz zu verbinden wissen“, waren die viertürigen Limousinen und Coupés im Hardtop-Design mit Commodore-Signet gedacht. Vom simpler ausstaffierten Vierzylinder-Mittelklasse-Bestseller Rekord unterschied sich der Sechszylinder-Opel zwar nur durch optische Details wie Kühlergrill und Rückleuchten unter mattschwarzer Blende mit Chromstreifen. Aber das genügte für Popularität sogar auf Parkplätzen vor Tennisplätzen, Architektenbüros und dem Universitätsdekanat. Dort, wo sonst BMW, Saab oder VW-Porsche verbreitet waren. Obwohl billig, befreite sich der Commodore von Spießbürgerlichkeit, zumal als GS/E mit 118 kW/160 PS.
1972 debütierten auf dem Genfer Automobilsalon allerdings erst einmal die braveren Ausführungen der zweiten Commodore-Generation. Bis die Neuauflage des Einspritzers GS/E startbereit war, sollte es noch ein paar Monate dauern. Auch wenn der klar und elegant gezeichnete Opel der gehobenen Mittelklasse weniger Emotionen freisetzte als die 1967 mit modisch-kessem Hüftschwung überraschende Erstausgabe des Commodore (A) – benannt ist die Luxusversion des Opel Rekord übrigens nach dem Geschwaderkommandeur bei Luftwaffe und Marine – traf der neue Sechszylinder-Blitz perfekt den auf Tempo getrimmten Zeitgeist der frühen siebziger Jahre.
Der ultimative Dynamiktest eines Automobils findet auf Rennbahnen und Rallyepisten statt. Und so war es die Monte Carlo, auf der Rallye-Legende Walter Röhrl 1973 mit einem von Irmscher getunten giftig-gelben Commodore GS/E (von Röhrl liebevoll „Die Kommode“ genannt) im Team mit Jochen Berger einen Klassensieg herausfuhr. Tuner Steinmetz bestückte sogar einen GS/E mit 510 PS starkem 6,0-Liter-V8-Monster und spektakulärem Spoilerwerk für die Interserie, allerdings ohne nachhaltige Erfolge. Und dann gab es noch den von Johann Weisheidinger pilotierten Commodore, der ein Rundstreckenchampionat gewann und als erster Serientourenwagen eine Rundenzeit von unter zehn Minuten in die Nürburgring-Nordschleife brannte. Beim Fahren auf Alltagsstraßen gab sich das feurige Vorzeigeobjekt der neuen Rüsselsheimer Mittelklasse-Generation ebenfalls keine Blöße: Der 2,8-Liter-Reihensechszylinder – abgeleitet vom altgedienten Triebwerk in den Flaggschifflimousinen Admiral und Diplomat – schob über die Hinterräder fast schon brutal an.
In laut Fachmedien nur gut 8,5 Sekunden (das Opel-Datenblatt nannte konservative 9,3 Sekunden) erreichte der GS/E das 1972 neu eingeführte Landstraßen-Tempolimit von 100 km/h. Der Weg zur Höchstgeschwindigkeit von über 200 km/h gestaltete sich gleichfalls flott. Werte, mit denen der Opel damals im Revier von Porsche 911 T, Mercedes 280 CE, aber auch 350 SL und BMW CS wilderte. Autos, die teils doppelt so teuer waren und eigentlich eine andere Klientel ansprachen als der bezahlbare Kraftprotz mit Commodore-Rangabzeichen.
Deshalb wandte sich Opel 1973 in Werbeanzeigen gezielt an wohlhabende, prestigehungrige Kunden: „Auch wenn Sie eigentlich DM 20.000 für ein Auto ausgeben wollten, denken Sie trotzdem an einen Commodore. Ihn gibt es schon ab DM 13.955.“ Dazu passte die Marketing-Kampagne „Commodore. Eine Luxuslimousine, die es in sich hat.“ Schließlich sollte es auch der viertürige Commodore nicht nur mit preiswerten Massenmodellen wie dem Ford Granada aufnehmen, sondern zugleich mit teuren süddeutschen Premiumlimousinen. So gab es den Opel serienmäßig mit einem breiten Portfolio an Sechszylindern, das vom 85 kW/115 PS leistenden 2,5-Liter-Triebwerk über einen 2,8-Liter-Vergaser bis zum 160-PS-Einspritzer reichte. Gegenüber BMW 5er und Mercedes Strich-Acht-Typen mit Vierzylinder-Motoren erzielten diese erschwinglichen Sechszylinder, speziell mit großem GS bzw. GS/E-Signet, anfangs durchaus Achtungserfolge.
Tatsächlich verzichtete Opel sogar auf damals übliche endlose Aufpreislisten, der erste Preiskatalog zum Commodore begnügte sich mit nur vier Seiten für alle Varianten und Extras. Darunter die Leistungsabzeichen schwarze Motorhaube, Rallyestreifen und Fernscheinwerfer, ergänzt im Herbst um einen serienmäßigen, aber abwählbaren Frontspoiler für den GS/E. Wer auf modische Extravaganz setzte, konnte seinen Opel auch mit schickem Vinyldach und Colorverglasung bekommen. Akzente, die das im italienischen Stil klar gestaltete und großzügig verglaste Karosseriekleid mit Spannungselementen aufluden. Alles ganz im Sinn von Opel-Chefdesigner Charles M. Jordan, der „dull cars” (Langweiler) ablehnte, aber sonst bei der Formenfindung für das Duo aus Rekord und Commodore das Nachwuchstalent George Gallion walten ließ. Erfolgreich, denn sogar in Großbritannien – eigentlich Kernmarkt für die Opel-Schwestermarke Vauxhall – löste der Commodore Begeisterung aus. „The classic thoroughbred”, ein edles Vollblut, so präsentierte sich der Rüsselsheimer auf Werbeplakaten im Umfeld sportlicher Legenden á la Bentley, Jaguar und Aston Martin.
Als die Fachpresse den Commodore allen empfahl, die Spaß an preiswerten, schnellen Wagen haben, ahnte noch niemand, dass für Tempobolzer ein Tal der Tränen in Sicht war. Die erste Ölkrise brachte 1973/74 vorübergehende, strikte Tempolimits und langfristig wirkende Benzinpreis-Erhöhungen. Obwohl die Opel-Sechszylinder niedrigere Verbrauchswerte als die meisten Wettbewerber auswiesen, stürzten die Verkaufszahlen vorübergehend ab. Die Ära von Rallyestreifen, Vinyldächern und auf edel getrimmten Interieurs mit Holzdekor neigte sich jedoch ohnehin dem Sonnenuntergang entgegen. Auch sportliche Idole wie die laut Opel-Pressemitteilung „weltbeste Ski-Amazone“ und „World-Cup-Siegerin“ Rosi Mittermaier als Markenbotschafterin auf schnellem Commodore GS/E – „um Terminabsprachen sicher einhalten zu können“ – verzögerte den Abschwung nur wenig. Immerhin: Bis Sommer 1977 wurden über 140.000 Commodore B ausgeliefert, davon gut 42.000 Coupés, respektable Resultate im Konkurrenzumfeld. Deshalb riskierte Opel 1978 auch noch eine dritte Commodore-Generation, die allerdings zwischen Rekord und neuem Topmodell Senator kein eigenständiges Gesicht zeigen konnte. Kein Wunder, dass der in skulpturale Formen gegossene Commodore B bis heute besonderen Kultstatus in der Community besitzt.
Fotos: Opel