Genau genommen war das vor 50 Jahren nicht mehr als eine gründliche Modellpflege des damals bereits „antiken“ Kult-Coupés P1800 mit verchromten Heckflossen, so wie sie in den 1950er Jahren angesagt waren. Volvo-Chefdesigner Jan Wilsgaard gelang es jedoch, die Flossen zu miniaturisieren und so schwungvoll zu inszenieren, dass diese den 1800 ES im Zusammenspiel mit einem neu kreierten flachen Kombiheck und lang gestreckten hinteren Seitenfenstern schon im Stand schnell aussehen ließen.

Dazu passte die mächtige Motorhaube, die ein Triebwerk mit viel Leistung versprach. Unter den Rufnamen „Schneewittchensarg“, „fliegender Kofferraum“ und gläserne „Rakete“ wurde der Volvo 1800 ES aber aus anderem Grund legendär: Hinter einer gigantisch groß wirkenden Glasklappe offenbarte der Shootingbrake das damals größte Gepäckabteil im ganzen Sportwagen-Reich. Eine rahmenlose Heckklappe mit ins Glas integrierten Chromscharnieren und glänzendem Griff, das wagte nur Volvo mit diesem Traumwagen, der wie gemacht schien für eine Märchen-Prinzessin und zu fantastisch hohen Preisen unglaublich viele Fans fand.

Besonders die Amerikaner gerieten geradezu in Euphorie über dieses „Sports Car that really hauls“, das also wirklich etwas transportieren kann. Bis zu 1.020 Liter Gepäck oder die obligatorischen Golfbags fasste die mit feinen Teppichen ausgekleidete Vitrine namens Laderaum. Alternativ passten Wasserski, eine Tauchausrüstung oder Surf-Accessoires hinter die Glasklappe, für die es übrigens kein Sichtschutz gewährendes Gepäckrollo gab, so wie es heute Standard ist. Stattdessen standen im Zubehörkatalog Dachträger, etwa für Surfboards oder Kajak – tatsächlich wurde die Serienversion des Volvo 1800 ES aus einem Prototyp namens Volvo „Beachcar“ entwickelt. Andere Serienentwürfe, darunter einer mit dem Namen „Raketen“, setzten sich nicht durch.

Für den Ehrentitel „flying trunk“, wie die US-Werbung textete, qualifizierte sich der Volvo 1800 ES auch durch raffiniert versteckte Stauräume im Reserverad und in Nischen unter dem Laderaumboden sowie umlegbare Rücksitze. Lichte und edle Lackierungen, etwa in Hellblau-Metallic, Grünblau-Metallic, Hellgelb oder Weiß, so wie sie Schweden und Nordamerikaner gleichermaßen liebten, betonten die generöse Verglasung der grazil gestalteten Kabine des Shootingbrakes. Was 1971 noch niemand ahnte: Die weit unter die Gürtellinie reichende Glas-Heckklappe bescherte dem zuerst von deutschen Medien „Schneewittchensarg“ genannten Vorbild vieler Kombi-Coupés einen bis heute wirkenden märchenhaften Mythos.

Der Volvo 1800 S gehörte zur TV-Kultserie „The Saint“ (Simon Templar), Hauptdarsteller Roger Moore erwarb auch privat ein 1800 Coupé. Zum Erfolgsrezept des technisch noch mit dem Volvo Amazon verwandten Coupés gehörte aber auch die Zuverlässigkeit. Tatsächlich gelang dem amerikanischen Volvo-Kunden Irvin Gordon im September 2006 der ultimative Nachweis für die Langlebigkeit des Coupés: Nach vier Millionen Kilometer mit seinem 40 Jahre zuvor gekauften 1800 S reichte es zum in dieser Art einzigartigen Eintrag ins „Guinness Buch der Rekorde“. Im selben Jahr hatte Volvo mit dem C30 einen dem „Schneewittchensarg“ zumindest ein wenig ähnlichen Kompakten lanciert.

Zum Kummer aller Volvo-Fans tanzte Schneewittchen, anders als das Coupé, aber nur zwei Sommer lang, denn schon 1973 kommunizierte Volvo das Aus für das Glaskunstwerk namens 1800 ES. Der Kombi-Sportler war konstruktiv so betagt, dass er sich nicht mehr fit machen ließ für kommende US-Sicherheitsbestimmungen.

Fotos: Volvo

Scroll to Top