#Nachgefragt: Robert Schulze und Tobias Tönnies über ihren Einsatz bei der Weltmeisterschaft 2021

Robert Schulze und Tobias Tönnies leiteten im Januar bei der Männer-Weltmeisterschaft 2021 insgesamt sechs Partien - darunter das Eröffnungsspiel von Gastgeber Ägypten gegen Chile sowie das Halbfinale zwischen Frankreich und Schweden. Das Gespann aus dem Elitekader des Deutschen Handballbundes zieht in der aktuellen Folge von #Nachgefragt ein positives Fazit von seiner zweiten Männer-WM.

Robert, Tobias, wie fällt eure Bilanz von der Weltmeisterschaft aus?

Robert Schulze: Unser Fazit ist durchweg positiv. Wir sind mit einem gewissen Stolz und einer gewissen Freude zurückgekommen – nicht nur, weil wir gesund geblieben sind, sondern natürlich auch, weil unsere sportlichen Zielsetzung aufgegangen ist. Das Highlight war sicherlich die Nominierung für das Halbfinale zwischen Frankreich und Schweden – dieses Spiel leiten zu dürfen, hat uns mehr als glücklich gemacht

Wenn du sagst, dass die Zielsetzung aufgegangen sei: Was bedeutet das konkret? Mannschaften nehmen sich eine Platzierung vor – wünscht man sich als Schiedsrichter ein bestimmtes Spiel?

Tobias Tönnies: Es kann nie die Zielsetzung sein, ein bestimmtes Spiel pfeifen zu wollen, denn das kann man gar nicht beeinflussen. Wenn man als Schiedsrichter jedoch ein Turnier bis zum Ende begleiten darf – so, wie es jetzt bei uns der Fall war – ist das eine Benchmark, die dafür spricht, dass du dich gut präsentiert hast.

Neben dem Halbfinale habt ihr auch das Eröffnungsspiel geleitet – inwiefern waren das zwei besondere Ansetzungen?

Robert Schulze: Ein Eröffnungsspiel hat immer ein ganz besonderes Flair. Es ist als Schiedsrichter auch eine mentale Herausforderung: Wir wussten, dass wir in diesem Moment die Verantwortung hatten, die Weltmeisterschaft mit unserer Spielleitung zu eröffnen. Wir haben die Linie stellvertretend für den kompletten Kader vorgegeben. Mit einem miesen Eröffnungsspiel würdest du den Schiedsrichtern der WM einen Stempel aufdrücken, den die Kollegen erstmal korrigieren müssten – das will man natürlich vermeiden.

Tobias Tönnies: Und die Bedeutung, ein Halbfinale leiten zu dürfen, ist klar. Der Weltverband vertraut uns diese Partie, in der es um den Einzug in das Finale geht, an – das ist eines der drei schwierigsten Spiele in einem Turnier. Besser, als so ein Spiel zu erhalten, kann es eigentlich nicht laufen.

Über den Alltag und die Stimmung im Kader

Eins der großen Themen während der Weltmeisterschaft war die Corona-Problematik. Welche Auswirkungen hatte das auf den Alltag abseits der Spiele?

Tobias Tönnies: Wir hatten tägliche Meetings, in denen die Spiele vom Vortag ausgewertet und Tendenzen aufgezeigt wurden, die sich im Turnierverlauf entwickeln. Die IHF-Analysten haben uns ihre Analysen zu Verfügung gestellt, sodass wir uns optimal vorbereiten konnten. Außerdem stand jeden Tag Training auf dem Programm; auch Physiotherapeuten waren vor Ort.

Robert Schulze: Ansonsten war es – neben den Aufgaben, die Tobias genannt hat – trist. Wir Schiedsrichter waren zwar alle in einem Hotel, aber es saß jeder in seinem Zimmer. Die Meetings und Analysen wurden über Zoom abgehalten. Wir hatten zum Glück einen kleinen Balkon, sodass wir frische Luft genießen konnten. Ansonsten war die klare Vorgabe, außer zum Essen, zum Training und zu den Spielen auf dem Zimmer zu bleiben! Da wir das vorher wussten, hatten wir eine Playstation dabei (schmunzelt).

Wie war die Stimmung im Schiedsrichterkader? Auf der einen Seite sind es Kollegen, auf der anderen Seite wollen alle möglichst gute Ansetzungen …

Tobias Tönnies: Natürlich ist die Konkurrenz immer da – und das ist auch gut so, weil du so dein Bestes gibst. Ansonsten blendet man das weitestgehend aus, weil wir alle im Schiedsrichter-Kader gleich „bekloppt“ sind (lacht). Man freut sich daher für die Kollegen, wenn sie gute Spiele leiten können. Auch, wenn sie ein Spiel gut geleitet haben, freut man sich miteinander – und wenn es mal nicht so gut gelaufen ist, baut man sie wieder auf und spricht ihnen Mut zu.

Robert Schulze: Außerdem kann man voneinander lernen, denn wir sind individuell alle verschiedene Typen. Ein Gespann, mit dem wir uns unterhalten haben, kennt noch zwei Generationen von deutschen Top-Schiedsrichtern vor uns. Wenn du dich mit ihnen bei einer Tasse Kaffee unterhältst, nimmst du eine Menge mit – für deine Spielleitung, aber auch für dich als Mensch.

Es ist wichtig, dass untereinander nicht Neid und Missgunst entstehen, sondern jeder die Stärke hat, sich gegenseitig aufzubauen. Das erhoffen wir uns ja alle: Wenn wir ein blödes Spiel haben, wollen wir keinen Kollegen haben, der mit dem Finger auf uns zeigt, sondern einen – metaphorisch gesprochen – in den Arm nimmt.

Natürlich fiebern wir mit.“

Das ist eine gute Überleitung: Das Viertelfinale zwischen Dänemark und Ägypten war das vielleicht irrste Spiel bei dieser Weltmeisterschaft – ein Wechselfehler in der Schlussphase, zwei Verlängerungen, zwei rote Karten und Strafwürfe, die Entscheidung im Siebenmeterwerfen. Wie erlebt man so ein Spiel als Schiedsrichter: Leidet man mit den Kollegen, wünscht man sich, auf dem Feld zu stehen oder ist man erleichtert, dass man gerade nicht da steht?

Robert Schulze: Du drehst durch bei so einem Spiel! Natürlich fiebern wir mit, denn wir gucken so ein Spiel ja aus Schiedsrichtersicht.

Tobias Tönnies: Das Spiel war wirklich spektakulär! Wir saßen in unseren Hotelzimmern und haben am Fernseher mitgefiebert. Es ist – aus Spielersicht – alles schief gelaufen, was schief gehen konnte. Mikkel Hansen muss den Ball nur hinlegen, dann passiert nichts – aber er wirft ihn weg. Regeltechnisch ist das eine rote Karte und Strafwurf, Punkt. Und dann macht der Ägypten den Fehler, es gibt noch einmal rote Karte und Strafwurf – das war Wahnsinn!

Robert Schulze: Wir waren für die Kollegen einfach nur froh, dass es im Siebenmeterwerfen entschieden wurde. Es gab so viele knifflige Entscheidungen, aber in dem Moment war klar: Matija und Boris sind durch, jetzt liegt es allein bei den Mannschaften. Da haben wir uns einfach für die beiden gefreut. Dieses Viertelfinale war ein Spiel, nach dem du auch direkt zum Flughafen fahren könntest.

Im Gegensatz zur Bundesliga gibt es bei Großturnieren wie der Weltmeisterschaft den Videobeweis. Eure Meinung dazu?

Tobias Tönnies: Als der Videobeweis aufkam, war ich sehr skeptisch, weil das Spiel dadurch verlangsamt bzw. unterbrochen wird. Mittlerweile bin ich komplett anderer Meinung. Es ist ein wirklich gutes Hilfsmittel in entscheidenden und wichtigen Situationen, damit das Spiel nicht aufgrund eines schwerwiegenden Schiedsrichterfehlers entschieden wird.

Robert Schulze: Der Handball wird – auch mit Blick auf die angedachte Regeländerung zur schnellen Mitte – immer schneller; zudem bekommen die Kreisläufer immer mehr Aktionen. Wenn am Kreis etwas passiert, muss man als Schiedsrichter ehrlich zugeben: Das kann man – gerade bei ballabgewandten Aktionen – gar nicht immer sehen. Insofern ist der Videobeweis sicherlich eine positive Unterstützung. Es ist allerdings wichtig, dass die Anwendung klar reguliert ist

Das bedeutet konkret?

Robert Schulze: Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass es nur die Schiedsrichter oder – wie bei der Weltmeisterschaft – der Supervisor eine Szene beobachten können. Man sieht in anderen Sportarten, zu welchen Diskussionen es ansonsten führen kann. Außerdem muss klar sein, in welchen Situationen der Videobeweis angewandt werden darf; das muss für alle transparent sein – wie zum Beispiel irreguläre Tore zu verhindern.

Zusammengefasst: Was war – für jeden von euch – der schönste Moment bei dieser Weltmeisterschaft?

Tobias Tönnies: Kurz und knapp: Die Ankunft am Hauptrundenspielort in Gizeh und ein Frühstück vor den Pyramiden im Sonnenschein. Außerdem das Einlaufen zum Halbfinale – und dann das Spiel geil zu Ende pfeifen.

Robert Schulze: Darf ich drei nennen? Die Pyramiden live zu sehen. Der Abpfiff vom Halbfinale, weil wir in dem Moment wussten, dass es ein geiles Spiel war. Und der dritte Moment war der letzte Coronatest in Kairo, der negativ ausfiel, sodass wir wussten: Wir können ausreisen und nach Hause fliegen!

Foto: Wolf Sportfoto – Marco Wolf

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