Citroën: 50 Jahre Cityflitzer aus Frankreich

Bereits beim legendären 2 CV bewiesen die Gallier ihr Gespür für günstige, minimalistische Autos. Diese Beschränkung aufs Unverzichtbare führte die Marke mit dem Doppelwinkel zu ultrakurzen Cityflitzern, vom modischen Mini-Zup über knausrige LN, gewagte AX und C2 bis zum neuen Ami.

Alter Name, komplett neuer Auftritt: Der gerade vorgestellte, 2,41 Meter kurze Citroën Ami erinnert bei flüchtigem Blick nur durch den Modellnamen an seinen legendären Vorgänger, die viertürige Familienlimousine Ami6 aus dem Jahr 1961. Bei genauem Hinsehen entdecken Citroën-Fans dann aber doch eine verblüffend enge Verwandtschaft zwischen den Konzepten des originellen neuen City-Stromers und dessen Urahn in skurriler Z-Form aus der Feder des Stardesigners Flaminio Bertoni. Beide Freunde – das französische Wort „Ami“ steht für Freund – teilen die Idee minimalistischer und bezahlbarer Mobilität in extravaganter Couture, die Citroën schon seit dem 1922 eingeführten, zitronengelben Kleinwagen 5 HP antreibt. Der größte gallische Schritt in Richtung Demokratisierung des Autos erfolgte 1948 durch den Citroën 2 CV, jenen unkonventionellen Kleinwagen, der seinen Status als bis heute meistgebauter Citroën dem Mix aus minimalistischer Konstruktion, skurriler Form und lässigem Komfort verdankte. Nach diesem Coup war der radikal aufs Wesentliche reduzierte und ebenso wie der 2 CV von kleinem Zweizylinder-Boxern beschleunigte Ami6 nur noch eine Fingerübung für die Citroën-Konstrukteure. Ganz anders die Minis für den Großstadtboulevard, die ab 1970 Pariser Chic in raffinierter Reduktion bieten sollten, aber nicht alle reüssierten. Davon kündeten ultrakurze Typen wie Mini-Zup, LN, C2 oder C-Zero.

Für den aktuellen elektrischen Ami Ansporn, die Micro-Cars mit neuem Charme aufzuladen. Dabei orientiert sich der Ami am Ansatz der vor rund 50 Jahren präsentierten City-Car-Familie Citroën Urbain I und Mini-Zup. Diese warfen alles Überflüssige wie Fondsitze oder Kofferraum über Bord und kamen so auf eine Länge von nur 1,98 Meter. Damit passten die Zweizylinder-Boxer – eine Batterie-betriebene Version war ebenfalls in Vorbereitung – in Parklücken, die sonst nur Motorrädern und Rollern genügten. Perfekt für das Pariser Verkehrsgewühl und den stilsicheren Auftritt vor schicken Modegeschäften waren Urbaine bzw. Mini-Zup auch dank individualisierbarer, edel schimmernder Metalliclackierung und spektakulär verschiebbarer Cabrio-Dachkonstruktion. Zumindest die Farbenfreude mit Deko-Elementen hat sich bis zum neuen Ami übertragen. Warum Urbaine und Mini-Zup Anfang der 1970er trotzdem nur ein schöner Traum blieben? Die Kreativität von Citroën – gespiegelt in kühnen Serienmodellen wie dem majestätischen SM oder dem gescheiterten Wankel-Typ GS – führte zur existenziellen Krise, in denen kein finanzieller Spielraum für neue automobile Experimente blieb.

Stattdessen war es der 3,38 Meter kurze „Spatz aus Paris“, den das Citroën-Marketing 1976 als neuen Parkplatzkönig propagierte. Dieser Citroën LN mit fröhlich trällerndem Zweizylinder-Boxer á la Ente bzw. 2 CV war tatsächlich eine Überraschung, den anfangs nicht einmal die Erlkönig-Jäger der Fachpresse auf ihrer Abschussliste hatten. Dabei schien der nur 5,9 Liter Benzin konsumierende LN („trinkt wie ein Spatz“) die für Citroën typische Philosophie des Verzichts auf Überflüssiges perfekt auf einen Mini für das Dickicht der damals wuchernden Metropolregionen zu übertragen. Allerdings gelang den LN-Konstrukteuren dieser Entwicklungs-Schnellschuss nur, weil der Kleine ein Kind der Krise war. Im April 1976 wurde der PSA Peugeot Citroën Konzern gegründet und der Citroën LN als Klon des Peugeot 104 Z avancierte zum ersten modellpolitischen Ergebnis des neuen französischen Automobilgiganten. Formal fehlte es dem Spatz zu sehr an eigenständigen Konturen, weshalb seine Karriere auch als LNA (ab 1978) mit kräftigem Vierzylinder nie richtig abhob.

Verstärkung im kleinsten Segment war angesagt und die sollte 1984 ein rekordverdächtig schnell realisierter Knauser-König aus rumänischer Produktion bringen: Der Axel war ein 3,73 Meter langes dreitüriges Derivat des Olcit, mit dem Citroën in Osteuropa Erfolge erntete. Trotz schicken Designs im Stil des Citroën Visa und billiger Preise sogar unterhalb des 2 CV fehlte es dem Axel mit Zweizylinder-Boxern an Fortune, was vor allem an nachlässiger Fertigungsqualität lag, die Citroën außerhalb des Heimatmarktes keinen Kunden zumuten wollte. So bewies erst der 1986 spektakulär auf der Chinesischen Mauer präsentierte Citroën AX das Gespür der Franzosen für minimalistische Mobilität, die große Auftritte garantiert. Mit insgesamt rund 2,6 Millionen Einheiten avancierte der 3,52 Meter kleine, drei- oder fünftürige Cityflitzer zum bisher meistgebauten Citroën nach dem 2 CV. Dazu beigetragen hat neben stilistischer Haute Couture im Kleinstformat auch eine damals einzigartige Antriebsvielfalt in diesem Segment. Den AX gab es als Benziner und winzigen Diesel-Pionier, als furiosen GTI, mit Allradantrieb und sogar als AX Electrique mit 20 kW/27 PS leistendem Elektromotor und genügend Reichweite für Fahrten durch Metropolregionen. Aber auch als Diesel setzte der AX Sparrekorde, denn dessen Normverbrauch bezifferte Citroën 1992 mit nur 3,3 Litern.

Während die Concepts Citroën Citela und Tulip in den frühen 1990er Jahren neue Visionen für originelle elektrische Stadtfahrzeuge verkörperten, die auch per Carsharing genutzt werden können und so als fröhliche, frühe Vorboten des heutigen Ami zu verstehen sind, zeigte sich der 1996 eingeführte AX-Nachfolger Citroën Saxo eher ernst und erwachsen. Vor allem das biedere Design verriet die Verwandtschaft mit dem bereits fünf Jahre früher vorgestellten Peugeot 106. Trotzdem brachte es dieser auf den ersten Blick konventionelle Kleinwagen auf 1,8 Millionen produzierte Einheiten, vielleicht, weil er sich im Alltagsbetrieb als Sparer bewies. Ganz besonders galt das für den in Serie gebauten Saxo Electrique, dessen Batterie 80 Kilometer Reichweite ermöglichte, und für den Saxo Dynavolt, ein Hybridfahrzeug-Konzept, das sich mit 2,5 Liter Benzin pro 100 Kilometer begnügte.

Eigenwillig heißt nicht zwangsläufig erfolgreich, selbst mit dem Doppelwinkel auf der designverliebten Karosserie. Diese Erfahrung machte ab 2003 der Citroën C2 aus der Feder des Couturiers Donato Coco, dessen exaltierte Konturen derart polarisierten, dass der 2005 folgende Citroën C1 aus neuer PSA-Konzern-Kooperation mit Toyota fast schon wie ein Befreiungsschlag wirkte. Trotz der Nähe zu den Paralleltypen von Toyota (Aygo) und Peugeot (107/108) versteht es der Citroën C1 bis heute, vor allem Frauen mit lässigem Charme und fröhlichen Farben zu gewinnen. Genau das vermochte der Citroën C-Zero nie, denn das Konzept dieses von einem elektrischen Mitsubishi-Kei-Car abgeleiteten ultraschmalen und spartanischen Stromers passte eigentlich nur in die Hochhausschluchten Tokios und nicht auf Champs-Élysées oder Kurfürstendamm. Ein völlig neuer Ansatz musste her und diesen feierte Citroën 2019 zum 100. Unternehmensgeburtstag mit dem Ami One Concept. Jetzt geht der Elektriker in Serie, als raffiniertes Auto für wirklich alle, so wie es André Citroën immer vorschwebte: Dank Reduktion auf 45 km/h darf der Zweisitzer auch von 15-Jährigen gefahren werden.

Fotos: autodrom, Citroën, Patrick Legros

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