Im Mai 1950 in Madrid gegründet und sein Stammwerk in Barcelona einrichtend, machte Seat die iberische Halbinsel mit zunächst mit Fiat-Lizenzprodukten mobil. So waren es nicht nur italienische Derivate vom winzigen Fiat 600 bis zum exklusiven Lancia, sondern vor allem selbst konstruierte, verlängerte Viertürer wie Seat 600 D und 800 Sedan oder temperamentvolle Sportler á la Seat 1430 sowie Bocanegra, mit denen die spanischen Konstrukteure ihre Marke unter die Top Ten der größten europäischen Autobauer katapultierten. Nicht nur in Spanien, auch in anderen europäischen Ländern wie Finnland wurden Seat-Modelle die meistverkauften Volksfahrzeuge. Allerdings mit Fiat-Signet, denn so hielten die Turiner ihre iberische Wahlverwandtschaft unter Kontrolle. 1980 war damit Schluss, Fiat vollzog die Trennung und überließ die kapitalschwachen Spanier dem Untergang. Seats Retter in der Not wurde Volkswagen: Unter dem Dach der Wolfsburger erzielte Seat mit Modellen wie Ibiza, Arosa oder Cordoba bald große Erfolge.

Der Autobauer aus Barcelona hat es von Beginn an verstanden, die Vorzüge der Volumenmodelle von Fiat und VW mit spanischer Raffinesse und katalanischer Akkuratesse in der Fertigungsqualität zu vereinen. Angefangen hat das alles am 9. Mai 1950, als die „Sociedad Espanola de Automóviles de Turismo S.A“, kurz Seat, gegründet wurde. Ein symbolträchtiges Datum, wurde doch am gleichen Tag der Gedanke der Europäischen Union aus der Taufe gehoben. Allerdings ging es den Seat-Gründern, also der staatlichen INI (Institución Nacional de Industria) unter dem spanischen Staatschef Franco, sowie sechs Banken und dem italienischen Fiat-Konzern nicht um Exporte in europäische Nachbarländer, sondern um die automobile Unabhängigkeit Spaniens, das vorläufig wirtschaftlich isoliert war. Seat sollte zuerst die Behörden und dann die Bevölkerung motorisieren und dafür rollten ab 1953 im Werk Zona Franca bei Barcelona modische Pontonlimousinen des Typs Seat 1400 vom Band.

Bis auf die Markenlogos diente der Fiat 1400 als Vorlage, aber die Bauteile des Seat wurden von Beginn an fast ausschließlich in Spanien gefertigt. So kostete der – allerdings subventionierte – Seat 1400 nach heutigem Kurs nur 705 Euro, während die Kopiervorlage von Fiat gut fünf Mal so teuer war. Knapp 100.000 Einheiten dieses ersten Seat wurden bis 1964 ausgeliefert, mehr gaben die Produktionskapazitäten nicht her. Darunter waren bereits eigenständig entwickelte Kombis und Lieferwagen, denn Seat sollte nach dem Willen der Katalanen mehr sein als ein Copyshop. Und das bewies Seat auch mit dem zweiten Modell, dem Seat 600. Abgeleitet vom gleichnamigen Fiat-Kleinwagen, war der Seat 600 für die meisten Spanier fast zwei Jahrzehnte lang das Symbol für Mobilität und Freiheit – auch von der Lizenzgeberin Fiat. So motorisierte die Eigenschöpfung Seat 600 Furgoneta Comercial Handwerk und Händler, während Seat 600 D Sedan und Seat 800 als repräsentative viertürige Varianten des Winzlings reüssierten.

Dagegen leitete der Seat 1430 ab 1969 die emotionale Emanzipation von der italienischen Übermutter Fiat ein. Die sportlichen Doppelscheinwerfer-Limousinen standen für adrenalinhaltige Fahrfreude ähnlich der Alfa Giulia oder den BMW Typen der Neuen Klasse – und als betont sportive Lifestyle-Kombis entdeckten die Seat sogar Neuland in der Mittelklasse. Ein endgültiges Signal in Richtung Sport und spanischer Emoción setzte 1975 die Eigenentwicklung Seat 1200/1430 Sport. Die Sportcoupés mit mattschwarzer „Bocanegra“-Kunststoffnase dienten europaweit als Markenbotschafter für Seat, so auch 1977 in Deutschland. Bis dahin mussten sich die meisten für den Export bestimmten Seat mit einem Fiat-Zeichen tarnen wie der Seat 600 D, der vor 40 Jahren unter der Bezeichnung Fiat 770 S ins Programm von Fiat Deutschland aufgenommen wurde. Ab 1975 zeigte Seat international Flagge, ein Meilenstein, an den im 21. Jahrhundert Bocanegra-Versionen des Seat Ibiza erinnerten.

In den 1970ern übernahm Seat das Werk des Konkurrenten Authi und in Europa avancierten die Spanier mit fast einer Milliarde Dollar Umsatz zum achtgrößten Automobilhersteller. Dann passierte die Katastrophe: 1980 entschloss sich der Fiat-Konzern, Seats Kapitalerhöhungspläne zur Finanzierung einer Restrukturierung nicht mitzutragen. Seat stürzte in eine Krise, war man doch gezwungen, in kürzester Zeit eine komplett eigenständige Produktpalette aufzubauen. Waren es zuerst Derivate von Fiat Modellen wie der Ronda als spanischer Ritmo, mit denen sich Seat freischwamm, kam 1982 frisches Kapital von VW, seit 1990 hält Volkswagen hundert Prozent des Seat-Firmenkapitals.

Da stand Seat schon sechs Jahre lang auf eigenen Rädern, denn der Ibiza erhielt einen Motor von Porsche, das Design von Giorgio Giugiaro und eine Sicherheitsfahrgastzelle von Karmann. 1991 folgte dann der Toledo, die erste Modellreihe, die Seat unter der Ägide von Volkswagen entwickelte. Weiter ging es mit Baureihen wie Leon oder Alhambra, die Golf oder Sharan ins Spanische übersetzten, aber auch iberische Besonderheiten waren dabei: Etwa der Seat Cordoba als Stufenheck-Derivat des VW Polo und mutiger Kleinwagen-Kombi, der Seat Altea als betont sportiver Kompaktvan oder eben die Cupra-Typen mit südeuropäischem Feuer. Von der inzwischen erlangten Seat-Eigenständigkeit zeugt neben Cupra  als kürzlich etablierter hauseigener Marke auch der vollelektrische el-Born, angelegt als dynamischeres Schwestermodell des VW ID3.

Fotos: Seat

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