Stromlinien-Geburtstag: 50 Jahre Citroën SM

Der Flug zum Mond war fast Alltag, die Concorde überwand Distanzen überschallschnell, die psychedelischen Wohnlandschaften des Dänen Verner Panton gingen in Serie und der Italiener Ettore Sottsass räumte Designpreise für Computer und Addiermaschinen ab: Waren wir 1970 in der Zukunft angekommen?

Der Citroën SM ließ daran keinen Zweifel, zumindest, was die Beiträge Frankreichs und Italiens für eine schöne neue und schnelle Autowelt betraf. Angetrieben von einem furiosen Sechszylinder des Sportwagen-Spezialisten Maserati und gekleidet in extravagante Stromlinien-Couture des Kultdesigners Robert Opron präsentierte sich der Citroën SM seinem Premierenpublikum auf dem Genfer Automobilsalon vor 50 Jahren als erstes wegweisendes Supercar eines neuen Jahrzehnts. Nicht einmal die ebenfalls am Lac Leman enthüllten Speed-Ikonen Alfa Romeo Montreal, Monteverdi Hai oder Lamborghini Jarama konnten dem futuristischen Citroën-Flaggschiff die Show stehlen. Zu verdanken hatte der exorbitant teure SM das weniger seinem Status als schnellster Frontantriebs-Pkw der Welt, als vielmehr raffinierten Komfortfeatures, mit denen sich der glamouröse Gran Turismo in noch höheren Sphären etablierte als die legendäre „Göttin“ Citroën DS. Nicht nur Künstler und Prominente, auch Präsidenten und Majestäten wussten die Transporttalente dieses Prestigemodells mit Doppelwinkel zu schätzen.

Tatsächlich schien der Citroën SM das goldene Zeitalter der frühen Nachkriegsjahre wiederzubeleben, damals, als französische Marken wie Bugatti, Delage oder Facel Vega ultimativen Luxus, Lifestyle und auch Vmax verkörperten. Allerdings endete die Karriere des Citroën SM ebenso rasch und tragisch wie die der früheren großen Marken. Vielleicht beschleunigt durch Preise, die den Porsche 911 ebenso übertrafen wie Mercedes SL und sich fast auf Ferrari-Dino-Niveau etablierten. Es ging aber noch mehr: Karossier Henri Chapron präsentierte 1971 das Citroën SM Mylord Cabriolet, das gut ausgestattet das Doppelte eines konventionellen Citroën SM kostete und sich auf einem Niveau mit Aston Martin bewegte.

Noch exklusiver waren die vom Pariser Élysée-Palast bestellten viertürigen Repräsentationscabriolets vom Typ SM Présidentielle. Damit wurden nicht nur alle französischen Präsidenten von Georges Pompidou bis Jacques Chirac chauffiert, sondern auch Queen Elizabeth II. oder Papst Johannes Paul II. Hinzu kam Politprominenz wie der Schah von Persien, UdSSR-Staatsführer Leonid Breschnew oder Äthiopiens Kaiser Haile Selassie: Sie alle orderten nicht protzige V12 oder V8, sondern den progressivsten Gran Turismo der Grande Nation. Auch Sportstars wie Fußballer Johan Cruijff und Motorrad-Racer Mike Hailwood oder Rock-Legenden wie Carlos Santana und Rolling-Stones-Drummer Charlie Watts nutzten den Citroën als avantgardistisches automobiles Accessoire.

„La reine de la Route“ (die Königin der Straße) wurde der französische Gran Turismo mit dem italienischen Herzen von Fachmedien und Fans genannt, ein Ehren-Titel, der zuvor nur einmal vergeben worden war, in Vorkriegsjahren an den Citroën La Traction 15 Six. Welche Geschichte und welche Gene machte den Citroën SM zu einem solchen Mythos, dass er als einziges Luxus-Automobil auf Pressebildern gemeinsam mit dem französisch-britischen First-Class-Überschalljet Concorde beworben wurde – und sogar von Concorde-Piloten als Privatfahrzeug genutzt wurde?

An Mut zu visionären, finanziell hochriskanten Entwicklungen zugunsten des Fortschritts hat es Citroën nie gefehlt. Ab Beginn der 1960er Jahre trieben die Franzosen gleich mehrere kühne Projekte voran: die neue Mittelklasse GS, Wankelmotoren und ein Flaggschiff mit dem Codenamen „Projekt S“, um das ikonische Image der visionären DS ins Prestigesegment zu transferieren. Aus dem Projekt S wurde SM, ein kryptischer Buchstabencode, der inoffiziell sofort als „Sa Majesté“ interpretiert wurde. Schließlich vertraute der Citroën auf einen majestätischen Motor „Made in Modena“, mit dem der viersitzige SM eine Vmax von fast 230 km/h erreichte. Das war damals Supersportwagen-Niveau und typisch Maserati, immerhin hatten die Italiener gerade den Quattroporte als rasantesten Viertürer der Welt in Serie gebracht. Dem aufwendigen Voll-Aluminium-4-Nockenwellen-V6 im Citroën genügten 125 kW/170 PS für bessere Fahrleistungen als sie etwa die V8 in den Speed-Ikonen Jensen Interceptor (239 kW/325 PS) oder Mercedes 300 SE 6.3 (147 kW/200 PS) bereithielten. Nicht einmal der Porsche 911 konnte dem natürlich hydropneumatisch gefederten SM wirklich enteilen – solange der Citroën-Pilot auf die kräftezehrende Getriebeautomatik verzichtete.

Ingenieurverliebtheit ist jedoch teuer und so verdiente Maserati ähnlich wie Citroën nie genug Geld. Im Jahr 1968 war es wieder so weit: Citroën war einmal mehr dringend auf finanzielle Unterstützung angewiesen, diesmal sogar aus dem Ausland. Staatspräsident Charles de Gaulle musste sein Plazet geben zu einer Minderheitsbeteiligung des Fiat-Konzerns am französischen Erzrivalen. Für Citroën war es der rettende Befreiungsschlag – auch um die Mehrheit von Maserati zu übernehmen und damit den fast fertigen V6 für den SM. Trotzdem endete das Maserati-Engagement für Citroën sieben Jahre später mit tief roten Zahlen – und nun unter dem rettenden Konzerndach des Rivalen Peugeot. Für Maserati wurde Konkurs angemeldet und der Citroën SM sofort eingestellt, die letzten Rohkarossen gar verschrottet.

Schneller reisen in jenen frühen 1970ern ohne strenge Tempolimits, dafür bot der SM sechs strahlend helle Scheinwerfer inklusive Kurvenlicht. Tatsächlich benötigte das Flutlicht des Franzosen in Deutschland sogar eine Ausnahmegenehmigung des Bundesverkehrsministers, ein damals einmaliges Politikum. Hinzu kam die vollkommen neue, sehr sensible Lenkung des SM. Dank eines am Ende des Getriebes montierten hydraulischen Reglers wurde die Rückstellkraft bei zunehmender Geschwindigkeit erhöht. Diese sogenannte Diravi-Lenkung war besonders leichtgängig und direkt in der Stadt, bei höherem Tempo hingegen stabiler. Überaus gewöhnungsbedürftige Details, die von anderen Marken kommende Kunden oft erst nach vielen Kilometern goutieren konnten.

Zum richtigen Problem wurde jedoch die exaltierte Motor- und Fahrwerkstechnik dieses Citroën-Maserati, wie das Marketing den SM anfangs nannte. Als zuverlässiger Langstreckenjet bewährte sich der Citroën nur bei fachgerechter Wartung durch Spezialisten, was sich in der Pannenstatistik und einem Rufschaden niederschlug. Neben den Folgen der Ölkrise gleich mehrere Gründe, die 1975 zum vorzeitigen Aus für den SM führten. Eines Autos, dessen luxuriöser Esprit sich heute angeblich in den Spitzenmodellen von DS findet, der neuen Premiummarke des PSA-Konzerns. Immerhin fährt Frankreichs Präsident bereits DS. Entsprechend groß zelebriert DS den 50. Jahrestag des Citroën SM in diesem Jahr am 10. März.

Fotos: PSA

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