Bugatti: 100 Jahre „vive la vitesse“

Bugatti – wohl kein Hypersportwagen-Hersteller ist mit mehr Mythen, Legenden und Geheimnissen besetzt.

Weshalb die 1909 von Ettore Bugatti im elsässischen Molsheim gegründete Manufaktur auch den eigens zum 110-Jahre-Jubiläum entwickelten Vmax-Boliden „La Voiture Noire“ mit einer Aura geheimnisumwitterter Superlative inszeniert. So gilt das „schwarze Auto“ von Bugatti als teuerster Neuwagen aller Zeiten, verlangt die heutige VW-Tochtermarke doch elf Millionen Euro für diesen als Einzelstück entwickelten 16-Zylinder-Renner. Einen Käufer hat der kostbarste jemals gebaute Sportwagen trotzdem (oder gerade deshalb) gefunden, nur dass dieser – typisch Bugatti – geheim bleibt. Bester Nährboden für Mutmaßungen und Mythen: Ob wirklich der frühere VW-Konzernpatriarch Ferdinand Piech neuer Eigner des Unikats ist?

Immerhin weckte Piech die zuvor in den Jahren 1956 und 1995 bereits zweimal untergegangene Marke Bugatti 1998 dauerhaft aus dem Dornröschenschlaf und stilisierte sie zur ultimativen Speed- und Luxus-Ikone des VW-Imperiums. Der Vertrieb von Serienautos mit siebenstelligen Euro-Preisen und Vmax-Werten jenseits der 400-km/h-Marke, auch dieser Streich gelang erstmals unter Ferdinand Piech. Automobilpionier Ettore Bugatti hätte gewiss applaudiert, denn für ihn waren fast unbezahlbar luxuriöse Limousinen und kunstvoll karossierte Coupés sowie Rennwagen mit furioser Vitesse eine Herzensangelegenheit. So erzielten Ettores Sportwagen in den 1920er Jahren die Rekordzahl von 2.000 Rennsiegen und mit dem von seinem Sohn Jean entworfenen Coupé Bugatti Atlantic feierte die Kunst des Art déco ihren automobilen Höhepunkt. Tatsächlich ist die Traditionspflege einer der Erfolgsfaktoren der modernen Marke Bugatti. So zitieren etwa die beiden aktuellen 1103 kW/1.500PS starken Boliden Bugatti Chiron und Divo die Namen legendärer Grand-Prix-Piloten, die ihre größten Triumphe in der Vorkriegszeit auf blau lackierten Rennwagen aus Molsheim errangen.

Dagegen bildet das Bugatti-Jubiläumsmodell „La Voiture Noire“ eine andere Brücke zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Erinnert der edle Zweitürer doch in Farbgebung und durch stilistische Details an den berühmtesten Bugatti der 1930er Jahre, das skulptural geformte und damals unglaubliche 220 km/h schnelle Sportcoupé Type 57 SC Atlantic. Mit einem erzielten Auktionspreis von bis zu 40 Millionen US-Dollar gilt dieser Bugatti seit 2013 als teuerster „Gebrauchtwagen“ der Welt. Stoff für Spekulationen und spannende Mysterien liefert der in nur vier Einheiten gebaute Atlantic aber auch in anderer Hinsicht, denn Jean Bugatti nutzte einen Atlantic als Privatwagen. Während des Zweiten Weltkriegs verschwand das Auto spurlos, sollte es jedoch irgendwann wiederauftauchen, könnte es nach Expertenmeinung bis zu 100 Millionen Dollar wert sein.

Zurück ganz auf Anfang. Ebenso illuster wie die Geschichte des elitären Unternehmens verläuft die Vita von Ettore Bugatti, jenes kunstsinnigen Konstrukteurs, der schnelle Luxus-Autos liebte. Als Sohn einer Künstlerfamilie baute Bugatti im Alter von 18 Jahren sein erstes, noch dreirädriges Motorvehikel, den Typ 1. Mit dem ersten „richtigen“ Auto, dem Quadricycle Typ 2, gewann Ettore Bugatti 1901 den Grand Prix des Autosalons Mailand. Nun ging es im Eiltempo: Bugatti wurde im selben Jahr vom Elsässer Autohersteller de Dietrich als Chefkonstrukteur engagiert und 1907 von der Gasmotorenfabrik Deutz AG nach Köln abgeworben. Keine zwei Jahre später wagte der junge Familienvater Ettore Bugatti – sein Sohn Jean wurde im Januar 1909 geboren – den Schritt in die Selbstständigkeit mit eigenem Werk in den Hallen einer ehemaligen Färberei im elsässischen Molsheim. Den finanziellen Rückhalt dafür verdankte er Abfindungen von Deutz und de Dietrich, bei beiden galt Bugatti als gleichermaßen genial wie eigensinnig.

Gleich mit den ersten Autos aus Molsheim gelang es Bugatti, Automobilgeschichte zu schreiben: Der 1911 für Peugeot konstruierte Kleinwagen BP11 „Bébé“ („Baby“) ging als erster Peugeot in Volumenfertigung, und er bescherte Bugatti das Geld für motorsportliche Sieger in Serie wie den 1914 eingeführten Typ 13 mit damals futuristischem Vierventil-Motor. Noch im Jahr 1921 belegte der Bugatti Typ 13 beim Grand Prix von Brescia die Plätze 1 bis 4, was die französische Rennfarbe blau zum inoffiziellen Markenzeichen von Bugatti machte. Der markante Bugatti-Kühlergrill in Hufeisenform fand sich inzwischen sogar auf den Sportseiten amerikanischer Gazetten, was das Geschäft mit Lizenzen förderte. So baute das US-Unternehmen Duesenberg Bugattis riesigen 16-Zylinder-Motor nach.

Ein Marketingcoup gelang Ettore Bugatti, indem er seine extrem schnellen und kostspieligen Rennwagen von Beginn an auch an Privatiers verkaufte. Diese erregten mit den durchaus alltagstauglichen Racern im Straßenverkehr Aufmerksamkeit, vor allem aber sammelten die Privatfahrer mit jedem Rennsieg zugleich Lorbeer für die Marke Bugatti. Dank dieser Strategie erlebte Bugatti von 1924 bis 1930 seine glanzvollste Ära, gilt der damals eingeführte Achtzylinder-Typ T35 doch noch heute als erfolgreichster Grand-Prix-Wagen aller Zeiten. Bis zu 800 Siege pro Saison sammelten die Bugatti T35. Geld hatte Bugatti nun genug in der Kasse. So konnte er sich nicht nur 1930 die Entwicklung des Typs 50 mit erstem Achtzylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen leisten, sondern auch 1926 einen monumentalen Luxusliner, den Typ 41 Royal für gekrönte Häupter.

Mit 12,7-Liter-Motor, fast 300 PS für 200 km/h und stolzen 6,50 Meter Länge übertraf der Royal seine etablierten Rivalen Rolls-Royce und Hispano-Suiza bei weitem. Sogar die Kühlerfigur – ein von Ettores Bruder Rembrandt Bugatti entworfener tanzender Elefant – war gigantisch. Doch Hochadel und Königshäuser verweigerten sich dem Royal. So wurden bis 1932 nur sechs der majestätischen Kolosse gebaut, dies übrigens unter der Aufsicht von Jean Bugatti. Ettores Sohn, ein talentierter Karossier, nahm in den 1930er Jahren entscheidenden Einfluss auf die Entwicklungen in Molsheim und brachte die berühmten Supersportwagen Bugatti Typ 57 Atalante und Atlantic in Form. 1936 übernahm Jean Bugatti sogar die Geschäftsführung und als er drei Jahre später in einem Rennwagen tödlich verunglückte, war dies ein erstes Zeichen an der Wand für das Schicksal der spektakulär schnellen und teuren Autos aus Molsheim. Ettore Bugatti starb 1947 und nun fanden sich keine Familienmitglieder mehr, die der Luxusmarke zu neuem Schwung verhalfen. Die Rüstungsgruppe Hispano-Suiza-Mericier übernahm 1956 das Werk Molsheim, aber um die Sportwagen blieb es still. Erst 1991 fand sich der Südtiroler Finanzmakler Romano Artioli, der Bugatti revitalisierte. Im italienischen Modena baute er den Bugatti EB 110 als damals schnellsten Seriensportwagen der Welt – bis ihm nach vier Jahren das Geld ausging. Sparen ist auch beim unter Strom stehenden VW-Konzern, dem heutigen Bugatti-Eigner, angesagt. Ob die Wolfsburger für Bugatti ebenfalls eine elektrische Zukunft planen?

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