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Dafür kleidete sich der kompakte R19 in eine Couture, die der Schöpfer des ersten Volkswagen Golf geschneidert hatte, Giorgetto Giugiaro. Wie den VW gab es den Renault in den Karosserieformen drei- und fünftüriges Schrägheck, als viertürige Limousine und als kultiges Cabriolet – letzteres gebaut beim niedersächsischen Karossier Karmann. Also genau dort, wo auch der offene Golf entstand. Tatsächlich gelang der französischen Kompaktklasse im italienischen Design kurzzeitig, wovon fast alle Konkurrenten vergeblich träumten: Einmal den Wolfsburger Leitwolf unter den Volksfahrzeugen schlagen. Und das sogar in dessen heimischen Revier, denn direkt nach der deutschen Wiedervereinigung war der R19 in den neuen Bundesländern populärer als der Golf. Ein Triumph, für den sich Renault beim deutschen Publikum auf spezielle Art bedankte. So erhielt der Renault 19 als Stufenhecklimousine im Jahr 1993 in Deutschland die Bezeichnung „Bellevue“ nach dem neuen Berliner Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten und als Referenz an die Kunden in den östlichen Bundesländern. Weniger Glück hatte allein der Renault 19 16V, der einen wilden Rock´n‘Roll mit dem Golf GTI wagte, aber rasch unterlag.

Für Europas dominierenden Autobauer Renault war der R19 ein Rettungswagen in schwerer Zeit, Schlussstrich unter wirtschaftlich verlustreichen Jahren und deshalb als letzter Renault mit einer Zahl im Typencode ausgestattet. Zudem war Nummer 19 als erster Franzose nach japanischen Qualitätsmaßstäben finalisiert worden, denn fast wäre aus der ursprünglich geplanten Modellpräsentation des Nachfolgers der Typen R9 (Stufenheck) und R11 (Schrägheck) ein Desaster geworden. VW Golf, Opel Kadett, Peugeot 309, Citroën BX, aber auch Toyota Corolla & Co sollte der Renault 19 ab Ende 1987 das Leben schwer machen. Allerdings fehlte es ihm dafür an der erforderlichen Fertigungsqualität, weshalb Renault-Chef Raymond H. Lévy im letzten Moment alle Signale auf Halt setzte. Stattdessen besserte das neu installierte Renault-Institut für Qualität den Renault 19 so erfolgreich nach, dass die deutschen Medien das Mitte 1988 lancierte Fastbackmodell als „Japaner aus Frankreich“ lobten.

Tatsächlich erwiesen sich die Japaner als gute Lehrmeister, konnte sich der Renault 19 in Qualitätsrankings und Pannenstatistiken doch weit besser platzieren als seine Vorgänger. Schon das Exterieurdesign mit präzisen Spaltmaßen nach Wolfsburger Vorbild und ein hochwertiges Interieur ohne französisches „Laissez-faire“ verblüfften – und sorgten dafür, dass die Kunden bereitwillig mehr Geld für einen Renault 19 bezahlten als die Konkurrenz für ihre Kompakten berechnete. Verkaufsfördernd wirkte allerdings auch die ungewohnt straffe Fahrwerksabstimmung des Franzosen nach deutschem Vorbild. Hinzu kamen die durchzugsstarken, sparsamen Motoren mit einem breiten Leistungsband zwischen 43 kW/58 PS und 99 kW/135 PS sowie Details wie der große Kofferraum mit asymmetrisch umklappbarer Rücksitzlehne, damals noch eine Seltenheit. Nicht zu vergessen die elegante Formensprache des Renault, der sich in seinen stattlichen Abmessungen (Länge 4,16 Meter und damit fast 20 Zentimeter mehr als der Golf) am oberen Rand der Kompaktklasse positionierte.

Während erste Entwürfe für den Renault 19 noch vom Hausdesigner Alain Jan stammten, entschied sich die Konzernführung letztlich für ein Designkonzept, das der italienische Starcouturier Giorgetto Giugiaro 1985 präsentierte. Vielleicht lag es daran, dass Giugiaro zuerst den Golf und dann eine ganze Reihe von Golf-Rivalen koreanischer und italienischer Marken erfolgreich in Form gebracht hatte. Wie Renault-Ingenieure bei der Pressevorstellung des designierten Bestsellers verrieten, fanden Giugiaros Linien aber auch deshalb Zustimmung, weil sie kraftvoll wirkten und von einer Produktqualität kündeten, die dem VW Golf vergleichbar sein sollte. Bis sich der Renault in die Höhle des Löwen bzw. Wolfsburgers wagte, dauerte es jedoch weitere sechs Monate. Die Marke mit dem Rhombus wollte jene Fehler vermeiden, die den Vorgängern des R19 zum Verhängnis geworden waren, also dem kurios geformten Renault 14 von 1976 und zuletzt dem Renault 11 von 1983. Beiden mangelte es vor allem an der erforderlichen Verlässlichkeit und deshalb musste sich der Renault 19 in aufwändigen Straßentests bewähren, ehe er endlich im Januar 1989 als Drei- und Fünftürer in Allemagne antrat. Als im September auf der Frankfurter IAA 1989 die Stufenheckversion Chamade vorgestellt wurde, war der Renault 19 hierzulande schon meistgekauftes Importauto der Kompaktklasse.

Vor allem aber hatten die Franzosen mit dem Renault 19 den richtigen Pfeil im Köcher, um nach dem Mauerfall am 9. November 1989 die Bürger der untergehenden DDR ins automobile Herz zu treffen. Früher als andere begann Renault dort mit dem Aufbau eines Vertriebs- und Servicenetzes und der R19 errang 1990 gemeinsam mit dem Clio einen sensationellen Marktanteil von bis zu zwölf Prozent in den neu hinzukommenden Bundesländern. Renault-Präsident Lévy ließ es sich deshalb zum Jahresbeginn 1990 nicht nehmen, in Bonn unverblümt zu politischen Fragen ob der offenen Grenzen Stellung zu nehmen. Ein für Unternehmensführer damals höchst ungewöhnlicher Vorgang, für den Lévy viel Beifall erntete. Levy erklärte das Auto zum Instrument der Freiheit und er betrachtete die deutsch-französische Freundschaft als Schlüsselelement im damaligen europäischen Geschehen. Die Freiheit im Osten äußere sich nicht nur politisch und Befürchtungen, Frankreich sträube sich gegen eine deutsche Wiedervereinigung seien vollkommen unbegründet. Renault feierte den Wendegewinner vom Typ R19 anschließend mit dem Sondermodell „Champion“ und die Zulassungszahlen des Kompakten hoben jetzt erst richtig ab.

Dazu beitragen konnte wenig später der in Kooperation mit Karmann realisierte Frischluftstar R19 Cabrio. Das Besondere des Sonnengotts: Im Gegensatz zum Golf benötigte der Franzose keinen störenden, feststehenden Überrollbügel, was diesem Bestseller bis heute eine Fanszene sichert.

Täglich wurden in vier Werken 1.800 Renault 19 gebaut und fast passgenau zum offiziellen Tag der Deutschen Einheit im Herbst 1990 wurde bereits der millionste Renault 19 an einen deutschen Kunden ausgeliefert. Vier Jahre in Folge war der Kompakte nun meistverkauftes deutsches Importauto und auch auf dem französischen Heimatmarkt ging es dank des R19 aufwärts. Die finanzielle Krise der bis dahin staatlichen Régie Renault wurde überwunden und der Konzern konnte privatisiert werden. Der Renault 19 machte die Bahn frei für einen Neuanfang, den der 1995 nachfolgende Mégane mit ersten Crossover-Typen fortführte.

Fotos: Renault

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