Buchtipp – Lehmkuhl: Nico

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Ich war selbst noch Hospitant beim Rundfunk, als im August 1988 eine Meldung durch die Redaktion ging: Nico ist tot, gestorben mit 49 Jahren.

Wer sich bei dem Namen an die berühmte Sängerin aus den Sechzigern erinnerte, mag sofort gedacht haben: Ein Opfer der harten Drogen. Tatsächlich aber erlag sie einem Aneurysma, dem ein Fahrradunfall vorausgegangen war. Viele mochten freilich mit dem Namen schon damals nicht mehr anzufangen wissen: Die letzten Jahre ihres Lebens hatte die Nico, tatsächlich schwer heroinabhängig, unter unwürdigen Bedingungen verbracht und sich mit Auftritten über Wasser gehalten, die in vieler Hinsicht unter ihrem Niveau waren. Umso erstaunlicher, dass sie noch Veröffentlichungen zustande brachte (z.B. Camera obscura von 1985).

Es ist faszinierend, wie Tobias Lehmkuhl seine Nico-Biographie mit einer geradezu erschreckenden Schilderung der fünfziger Jahre beginnt. Christa Päffgen, Jahrgang 1938, konnte sich in dieser Welt nicht zuhause fühlen. In keiner Weise entsprach sie dem, was sich damals für Frauen schickte. Der Haushalt als Zuständigkeitsbereich, Erwerb der Fahrerlaubnis nur mit Einverständnis des Ehemannes, zweckmäßige Organisation des Alltags ohne übertriebenen Tribut an die Eitelkeit. Dagegen die junge Christa Päffgen, die später zu Nico wurde: Mit ihrem Äußeren auch als Model gefragt, im Umfeld von Andy Warhol und Velvet Underground rasch innerlich zuhause, soweit sie das irgendwo sein konnte, eine prägende Figur der Pop Art. Und die Stimme! Eher einprägsam und faszinierend als schön im Sinne des Wohlklangs, viel zu tief, um zur akustischen Konfektionsware zu taugen. Parallelen zu Marianne Faithfull drängen sich geradezu auf. Was beide Frauen eint: Der Kontrast zwischen der Zeit, in der sie aufwuchsen und der Gesellschaft, in der sie schließlich zu Ikonen wurden, könnte größer nicht sein.

Genau von diesem Kontrast, den er mit großem – angemessenem – Respekt vor der Person beschreibt, lebt Lehmkuhls Biographie. Zahlreiche Fotos zieht er unterstützend hinzu, nicht aus sprachlichem Unvermögen, sondern, um tatsächlich zu illustrieren, was er schreibt. So wird er der Berühmtheit und der Tragik einer Frau gerecht, die von der Sensationspresse nur zu gerne zur puren Sensation herangezogen wurde. Das galt übrigens auch noch Jahre nach ihrem Tod.

Fette Schlagzeilen allein taugen aber nicht, um einem Künstler, einer Künstlerin wirklich gerecht zu werden. Die pure Sensation kommt den wirklichen Rätseln nicht auf die Spur. Das war bei Nico alias Christa Päffgen nicht anders, und so ist auch der Untertitel Biographie eines Rätsels exzellent gewählt.

Tobias Lehmkuhl: Nico. Biographie eines Rätsels. Rowohlt Berlin; 24 Euro.

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