Tradition: 50 Jahre Peugeot 504 vs. Renault 16

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1968 durchdrangen noble Sechszylinder die europäische Mittelklasse und Wankelmotoren gingen auf die Barrikaden gegen konventionelle Verbrenner. Veränderungen, die Peugeot, Citroën und Renault als französische Protagonisten der Avantgarde nicht unberührt ließen. Bis zum ersten eigenen Nachkriegs-V6 sollte es noch sechs Jahre dauern, deshalb probten die neuen Vierzylinder Peugeot 504, Renault 16 TS sowie der aufgefrischte Citroën DS 21 die Revolution mit extravaganter Couture, technischer Raffinesse und außergewöhnlichem Komfort.

Die DS, auf französisch gesprochen Déesse, also „Göttin“, hatte sich seit 1955 in die Geschichte von Technik und Kultur eingeschrieben wie kein anderes Automobil. Mit einem verwegenem Facelift konterte das Citroën-Flaggschiff deshalb neue Individualisten der 68er Bewegung wie NSU Ro 80, Volvo 144/164 oder Saab 99. Dagegen erhielt der Renault 16 als Vorreiter aller fünftürigen Fastbacklimousinen eine kräftige PS-Leistungsspritze samt prestigieusem TS-Signet. Sogar komplett neu war der Peugeot 504, mit dem die Löwenmarke in eine höhere Liga startete.

Als erstem Vertreter der Peugeot-5er-Serie gelang es dem 504 einen Innenraum mit Oberklasseabmessungen auf das äußere Karosserieformat der Mittelklasse zu reduzieren. Während der Radstand mit 2,74 Metern das Niveau der Mercedes S-Klasse erreichte, maß der Peugeot 504 in der Länge nur 4,49 Meter, deutlich weniger etwa als Audi 100 oder auch BMW 2000. Die dick gepolsterte Sesselgarnitur im Gallier garantierte trotzdem Wohnzimmerkomfort. Technisch punktete der Peugeot überdies mit Delikatessen wie Einzelradaufhängung und einer Vierrad-Scheibenbremsanlage. Sicherheitsfeatures, die nicht einmal der schnelle und kostspielige BMW mitbrachte. Dafür mangelte es dem Franzosen anfangs an Leistung, musste er sich doch mit 61 kW/83 PS begnügen, ehe eine Benzineinspritzung für mehr PS und eine seinem Rang angemessene Autobahnhöchstgeschwindigkeit von gut 170 km/h sorgte. Schließlich waren Autos 1968 allen Umbrüchen zum Trotz noch Statussymbole. Große Peugeot genossen in Deutschland sogar ein Prestige ähnlich dem vergleichbarer Mercedes, seit Pininfarina den 404 zu Beginn des Jahrzehnts in ultraschicke Trapezlinienform verpackt hatte.

Alles anders machte nun der neue Toptyp 504. Dessen Formen präsentierten sich als Fusion aus französischer Haute Couture und italienischer Alta Moda. Star-Stylist Pininfarina hatte die Grundform des größten Peugeot gezeichnet. Die Front jedoch blieb Peugeot-Hausdesigner Paul Bouvot vorbehalten, der mit trapezförmigen Hauptscheinwerfern und Löwe im Kühlergrill ein neues Familiengesicht prägte, das in Frankreich ähnlichen Respekt erntete wie hierzulande die Mercedes-Kühlermaske. Rund 3,7 Millionen Einheiten des auch im Motorsport erfolgreichen Peugeot 504 liefen insgesamt in rekordverdächtig langer, 37-jähriger Bauzeit von den Bändern. Dies als stilprägende Limousine, familienfreundlicher Kombi und praktischer Pick-up sowie als unvergänglich schönes Coupé und Cabriolet für jeden Concours d'Elegance.

Zum Millionenerfolg wurde Peugeots erste Nummer fünf aber auch durch lautstark arbeitende und zugleich fast unverwüstliche 2,0- bis 2,3-Liter-Dieselmotoren, die die Mittelklasse zum Liebling der Taxizunft machten. Tatsächlich avancierte Peugeot durch den 504 sogar zum führenden Dieselmotorenproduzenten der Welt, eine Position, die PSA bis heute für sich reklamiert. Auch in Deutschland gelang Peugeot mit dem 504 der ganz große Durchbruch – obwohl dessen Fertigungsqualität laut Fachpresse hinter der Verarbeitung deutscher Rivalen zurück blieb.

„Das beste Auto der Welt“: Mit diesem selbstbewussten Anspruch warb 1968 nicht Mercedes oder Rolls-Royce – sondern Renault. Der neue Renault 16 TS beanspruchte dieses Prädikat. Revoluzzer durch große Heckklappe und Frontantrieb war das mit dem Medienpreis „Auto des Jahres“ ausgezeichnete futuristische Familienfahrzeug bereits seit 1965. Was fehlte, war angemessenes Temperament für das Topmodell der Marke mit dem Rhombus. „Erleben Sie die Zukunft in der schnellen und sportlichen Version Renault 16 TS“, versprach der Konzern aus Billancourt. Denn TS bedeutete laut Werbung „Tempo plus Sicherheit“ mit 61 kW/83 PS für über 160 km/h und einem „schnellen Cockpit mit Rundinstrumenten nebst Drehzahlmesser“ statt bisher verbreitetem Bandtacho. Purer Luxus wie sonst nur in europäischen Repräsentationswagen waren die optionalen elektrischen Fensterheber und das später ergänzte elektrische Schiebedach.

Die eigentliche Sensation fand sich jedoch im Format des Renault 16: Auf minimalistischer Außenlänge von 4,26 Meter bot das Fastback (Radstand 2,65 Meter) seinen Fahrgästen ein Platzangebot fast wie in der Oberklasse plus die Variabilität eines Freizeitkombis. Erst im Januar 1980 endete nach rund 1,8 Millionen Einheiten die Fertigung dieses wegweisenden Fünftürers. Wie weit der Renault seinen Rivalen enteilt war, zeigen etwa Ford oder Opel: Der R16 überlebte fünf bzw. vier Generationen der deutschen Konkurrenz, ehe er selbst einen Nachfolger benötigte.

Mitlenkende Fernscheinwerfer, diese innovative Idee wurde bereits in den 1920er Jahren geboren, aber erst durch die automobile Göttin zum Inbegriff der Avantgarde. Kurz vor Auslieferung der einmillionsten DS revitalisierte Citroën sein Flaggschiff durch eine in dieser Form einzigartige Doppelscheinwerferfront. Besonders die Versionen DS Pallas und DS Prestige ließen damit repräsentative Limousinen anderer Fabrikate einmal mehr wie Relikte einer vergangenen Epoche erscheinen – und selbst neben dem „Wunder-Wankelautomobil“ NSU Ro 80 wirkte die französische Front kühn.

Konzernbosse und Staatschefs ließen sich im „Wagen von morgen“ und in der „Intelligenz auf Rädern“ (Citroën-Werbeslogans) weiterhin gerne chauffieren, denn die legendären 3,13 Meter Radstand und der sänftenartige Fahrkomfort durch die hydropneumatische Federung fanden sich laut Fachmedien sonst allenfalls im Mercedes-Benz 600. Diese Staatskarosse kostete allerdings mehr als vier Citroën DS 21, den sich deshalb neben frankophilen Künstlern und Freidenkern sogar gutsituierte Familien gönnten. Damit die DS ihre Position im Umfeld neuer europäischer Individualisten wie des Ro 80, des Volvo 164 oder des Rover P6 V8 absicherte, arrangierten die Citroën-Marketingexperten für ihr Flaggschiff spektakuläre Begegnungen mit anderen technischen Leuchtturmprojekten wie dem Überschalljet Concorde. Erfolgreich, wie die bis 1975 andauernde Karriere der Göttin zeigte.

„Vive la différence“, damit zeigte das automobile Trio im Zeichen der Trikolore, was Frankreich 1968 unter einer bürgerlichen Revolution verstand: Drei Vierzylinder, die es im Luxus sogar mit Sechs- oder Achtzylindern aufnehmen konnten.

Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Citroën, Renault

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