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„Opel geht es so gut wie nie“, „Der Blitz ist einfach Spitze“ oder „Victory für den Vectra“, schrien die Schlagzeilen – vor 30 Jahren katapultierte der neue Vectra die deutsche GM-Tochter auf Pole Position in der Dienstwagenklasse. Und das als klassische viertürige Limousine und als flottes fünftüriges Fließheck, aber eben nicht als Kombi, wie ihn die Deutschen sonst so liebten. Damit nicht genug an Überraschungen. Die Marke mit dem Blitz galt plötzlich als Muster an Profitabilität mit einer rekordverdächtigen Umsatzrendite. Verwundert rieben sich die Konkurrenten die Augen, war Opel doch gerade noch in der Krise mit einem angestaubten Ascona in der Mittelklasse und einem großen Omega, dessen Ruf von Kinderkrankheiten angekratzt war. Nun aber machte der Vectra alles neu und besser als der Wettbewerb, wie auch die Fachpresse in Vergleichstests bestätigte. Und das sollte erst der Anfang sein, denn auch die anderen Opel-Modelle wurden von dem frischen Wind belebt, der mit dem Start des Vectra durch die gleichfalls erneuerten Werkshallen wehte. Mit anspruchsvoller Technik – darunter Allradantrieb, starke Turbos, effiziente Diesel, exklusive V6 und innovative 16-Ventiler – wurde der Vectra Marktführer bei den Mittelklasselimousinen und eroberte mit rund 2,5 Millionen Einheiten in siebenjähriger Produktionsdauer Platz eins als bis dahin meistgebauter Opel dieses Segments. Nicht einmal der ebenfalls neue VW Passat (B3) mit voluminösem Stufenheck konnte es mit dem Vectra aufnehmen.

Wie souverän der 4,35 bis 4,43 Meter lange Vectra war – der Kunstname klang in den Ohren des Opel-Marketings moderner als die abgelöste Modellbezeichnung Ascona – zeigte sich, als die ersten Wettbewerber debütierten, die optisch einer Vectra-Kopie glichen. Nissan etwa präsentierte mit dem in England gebauten Primera einen Herausforderer, der in Form und Format dem Vectra so nahe kam, dass manche Medien einen Zufall ausschlossen. Zumindest unter dem Blech war jedoch eine Verwechslung mit dem europäisierten Japaner ausgeschlossen, denn hier bot der Vectra Spezialitäten, die sonst fast nur bei Premiummodellen wie BMW 3er, Audi 80 quattro oder Mercedes 190 zu finden waren und auf die besonders die anvisierte Zielgruppe der Yuppies abfuhr.

Jene jungen gesellschaftlichen Aufsteiger der 1980er Jahre, die nicht nur finanzkräftig waren, sondern auch als Helden in TV-Serien Trends lostraten. Und trendy sollte der Vectra sein, anders als der abgelöste, stets etwas altbacken-bürgerlich auftretende Ascona. So überraschte der frontangetriebene Vectra mit frischen technischen Features wie 125 kW/170 PS starkem 2,5-Liter-V6, über 240 km/h schnellen Turbo-Benzinern, temperamentvollem, aufgeladenem Diesel und Allradantrieb mit Verteilergetriebe und Viskokupplung des österreichischen 4×4-Spezialisten Steyr-Puch. Wobei Opel dieses breite Band der technischen Möglichkeiten geschickt nach und nach in die Serie einfließen ließ, es aber schon zu Beginn nicht an Knallbonbons fehlen ließ. Dazu zählte auch der serienmäßige Drei-Wege-Katalysator, bei dessen Einführung Opel eine Vorreiterrolle einnahm, zur Verwunderung vieler zurückhaltender agierender Wettbewerber. Hatten sich die Rüsselsheimer doch zuvor so wie fast alle anderen Hersteller heftig gesträubt gegen eine gesetzliche Pflicht zum Einbau von Katalysatoren.

Noch eine andere Überraschung hatte Opel im Gepäck: GL wie Grand Luxe hieß die Basisausstattung des Vectra und sie umfasste bereits vieles, was bei anderen nur gegen Aufpreis zu haben waren. Die Abkehr vom verlockend billigen, aber nackten Einstiegsmodell war ein Wagnis, sollte sich aber auszahlen. So startete die Vectra-Preisliste bei 22.700 Mark für den 55 kW/75 PS leistenden 1.6i und lag damit bis zu 20 Prozent über direkten Rivalen wie Citroën BX, Ford Sierra, Peugeot 405 oder Renault 21. Tatsächlich aber honorierten die Opel-Kunden diese All-Inclusive-Preispolitik ähnlich wie früher eine vergleichbare Aktion von Ford und der Vectra wurde in GL-Spezifikation ein Millionenerfolg. Andererseits fehlte es den höher positionierten Vectra-Typen, gleich ob Turbo, V6 oder 4×4, an Faszination oder Prestige, um ebenfalls als Bestseller abzuheben. Da nützte es auch nichts, dass Opel etwa für den Vectra 2000 4×4 nur 31.920 Mark berechnete, was den Allrader im 4×4-Umfeld von Subaru 1800, VW Passat oder Audi 80 quattro zu einem echten Schnäppchen machte.

War einst der Rekord Deutschlands populärstes automobiles Erfolgsattribut für Aufsteiger, wurde nun der Vectra zumindest für Familien und Firmenkunden zum Maßstab in der Mittelklasse. Dies verdankte der Vectra nicht zuletzt seiner ebenso dynamischen wie repräsentativen Formensprache, die mit einem cw-Wert von 0,29 glänzte. Damit stand der windschlüpfrige Vectra dem damals amtierenden cw-Weltmeister Omega kaum nach. Sehr nahe kam der Vectra dem äußerlich bis zu 40 Zentimeter längeren Omega auch in der Innenraumgröße. Sogar Oberklasseformat hatte das Kofferraumvolumen des viertürigen Vectra, das mit 530 Litern gleichzog mit Opel Senator oder Mercedes S-Klasse.

Dagegen bot der Fließheck-Vectra mit weit aufschwingender Heckklappe bis zu 1.290 Liter Volumen, was für sich genommen zwar respektabel war, sich aber keineswegs mit den etablierten Mittelklassekombis messen konnte. Trotzdem: Die Kunden störte das Fehlen eines Lademeisters im Vectra-Programm nicht, wie über 50.000 Vorbestellungen für den Ascona-Nachfolger demonstrierten. Damit hatte die Opel-Händlerschaft in ihren kühnsten Träumen nicht gerechnet, zumal die Qualitätsprobleme beim vorausgegangenen Omega-Anlauf in der Öffentlichkeit noch nicht vergessen waren. Der Vectra aber zeigte sich grundsolide und war in Vergleichstest der Fachpresse ebenso auf Sieg abonniert wie bei der Vergabe internationaler Medienpreise. Überrascht wurde Opel auch vom lang anhaltenden Hype um die Fließheckversion, bei der die Kunden sogar stattliche Lieferzeiten in Kauf nahmen, wie sie sonst nur bei Mercedes üblich waren. Vielleicht profitierte der Opel auch davon, dass im Portfolio des fast gleichzeitig erneuerten VW Passat (B3) kein fünftüriges Fließheck mehr angeboten wurde.

Als Opel im März 1990 in der DDR mit dem Produzenten der Wartburg-Pkw, dem Automobilwerk Eisenach, eine Kooperation einging, war dies der Grundstein für die Rolle des Vectra als inoffizieller Wartburg-Nachfolger. Rollte doch der Opel nur zwei Tage nach der deutschen Wiedervereinigung auch in Eisenach vom Band und in diesem, ihrem zweiten vollen Verkaufsjahr vermochten es die Vectra Limousinen sogar, den VW Passat einschließlich Variant zu schlagen.

Einen Caravan genannten Kombi gab es beim Vectra erst in der zweiten, 1995 vorgestellten Generation. In dritter Auflage und deutlich größerem Abmessungen ersetzte der Vectra gemeinsam mit der Steilheckversion Signum sogar das 2003 eingestellte Opel-Flaggschiff Omega. Unerreichter Champion in der Mittelklasse war aber nur der Vectra A, der deshalb heute zu den wichtigsten Neuzugängen im Club der H-Kennzeichen-Klassiker zählt.

Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Opel

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