Essen Motor Show: Alles andere als „vom Aussterben bedroht“

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Nirgendwo wird dem Verbrennungsmotor – dessen Aussterben ja angeblich schon längst beschlossen ist, mehr gehuldigt als hier. Die Essen Motor Show, in diesem Jahr zum 50. Mal als weltweit größte Tuningmesse für die wahren Freunde der Auswüchse einer Entwicklung gefeiert, die scheinbar dem Aus entgegen dümpelt. Unweigerlich. Scheinbar alles nur noch eine Frage der Zeit. Einer Zeit, in der Autos noch laut sein durften (mussten), schrill und schräg daher kamen und alles andere als normal waren. Eine jährliche Tempel-Schau des guten wie schlechten Geschmacks rund um das Automobil, in der niemand nach Verbrauchszahlen, nach Wirtschaftlichkeit, Vernunft, Ressourcenschonung reflektierte. Die „EMS“, die Frage darf an dieser Stelle erlaubt sein, ist sie angesichts der aktuellen Diskussionen um Dieselskandal, um mögliche Fahrverbote, noch zeitgemäß?

Menschen, die in 50 Jahren Essen Motor Show noch nie da waren, und vielleicht kein ganz so ausgeprägtes Verhältnis zum Automobil haben, wie die üblichen Besucher dieser Veranstaltung, sei gesagt. Geht hin. Gerade weil ihr noch nie da wart und vielleicht auch weil ihr es nicht verstehen könnt, dass man daran seine kindliche Freunde haben kann. Wer sich den „Schock in Reinkultur“ gleich zu Anfang seines Rundgangs zu eigen machen möchte, der sollte nach Essen gehen, Benzingeruch einatmen und den Leuten in die Augen schauen, die fast andächtig vor einem Ausstellungsstück stehen, dessen Nutzwert gegen null entsteht.

Nirgendwo entzücken sündhaft teure Dinge, die kein Mensch braucht, die Betrachter aller Altersschichten aller sozialen Adressen offenbar mehr, als bei der Gala der Unvernunft. Hier darf das Auto noch Auto sein, darf sich herausputzen, feinmachen und man darf ihm dabei zuschauen. In den riesigen weiten Hallen des Gruga-Geländes stehen die „schrägsten Vögel“, residieren jene bunten, schreiende Ausstellungsstücke, die man überall erwarten darf, nur da nicht, ein Auto eigentlich hingehört: auf die Straße nämlich.

Doch Essen ist nicht nur die Spitze der Unvernunft, sondern auch eine Schaukel zwischen dem Machbaren, an Maß und Ziel, an dem was der Geldbeutel und die Ratio vorgeben. Essen zeigt auch die ganz kleinen, versteckten, ja fast schon wieder vernünftig zu nennenden Möglichkeiten, ein rundum gebrauchsfähiges und keines unansehnliches Automobil einfach ein wenig aufzuhübschen und ihm eine persönliche Note zu verpassen.

Stolz sein auf etwas bedeutet nicht im Umkehrschluss, es dann nicht mehr dort einsetzen zu können, wo der „natürliche Lebensraum“ des Automobils ist. Deswegen sind auch die Stände der Automobil-Hersteller an denen diese ihre besonders sportlichen Modelle präsentieren, nicht weniger umlagert, als jene lauten Bühnen, auf denen der Veitstanz des Unnötigen und Unmöglichkeiten in Optik und Leitungsboom gefeiert wird.

Es muss nicht unbedingt der nagelneue Lamborghini Aventador S aus Halle 1 für 492.000 Euro sein, den man in Essen – das nötige Kleingeld vorausgesetzt – zum persönlichen Beuteprofil machen muss. Junge Leute, die sich ihren Golf, ihren Fiesta, ihren Polo, Corsa oder was auch immer, mit ein paar flotten Radkappen, einem angedeuteten Spoiler und ein paar Recaro-Sitzen aus der Masse der Angebote heraus heben wollen, können genau so zufrieden gestellt werden. Und sind – weil sie es vom eigenen Ersparten immer bezahlen müssen – vielleicht noch glücklicher als der Besitzer des neuen „Lambos.“

Und so lange das so ist, so lange „mild tuning“ und die Spitze der crazy cars nebeneinander auf einem gemeinsamen Ausstellungsgelände residieren, so lange hat die Essen Motor Show auch noch ihre Daseinsberechtigung. Auch noch ab dem 50. Jahr, nach der „Goldenen Hochzeit“ mit jährlich rund 300.000 Besuchern.

Text und Fotos: Jürgen C. Braun

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