Liebe Leserin!
Lieber Leser!

Alle zwei Jahre ist es das gleiche Procedere: In Frankfurt am Main lockt die Internationale Automobilausstellung (IAA). Mit ihren zahlreichen Weltneuheiten, Konzept- und Designstudien sowie Vorstellungen und Angeboten zur Mobilität von (über)morgen ist sie weltweit eine der bedeutendsten Messen ihrer Art. Kein Wunder, dass sich die Hersteller im Vorfeld der IAA, die ihre Tore in drei Wochen für den Publikumsverkehr öffnen wird, gegenseitig mit dem Aussenden von Pressemitteilungen überbieten. Jeder lädt ein, jeder sagt, was er zu zeigen und zu erklären hat und wen er als höchst kompetenten Gesprächspartner mit am Stand hat.

Kein Wunder, dass es andere öffentliche Veranstaltungen, die sich ebenfalls mit dem Thema Mobilität und individueller Fortbewegung befassen, in dieser Hype-Blase rund um den Frankfurter Messeturm schwer tun. Dabei sind sie in ihrem – zugegeben durchaus engeren und speziellen – Meinungsumfeld von nicht geringerer Bedeutung als das große Industrie-Schaufenster in der Bankenmetropole.

Umso mehr war ich überrascht, als ich mich in dieser Woche als leidenschaftlicher Hobbyradler die Fachmesse „Eurobike“ in Friedrichshafen am Bodensee ansah. Denn erstens gibt es auch in der Fahrradbranche viele neue, interessante Entwicklungen zu entdecken und zweitens verbindet die von der menschlichen Zugkraft bewegte Zweirad-Branche eines mit den SUV im Automobilbereich: Sie boomt.

Zwar ist der Absatz trotz eines weitestgehend schönen Fahrrad-Sommers leicht gesunken, der Umsatz hingegen gestiegen. Das liegt am Trend, der zu qualitativ hochwertigen und damit auch höherpreisigen Rädern führt. Was der Geschäftsführer des deutschen Zweirad-Industrieverbandes Siegfried Neuberger ausführte und dabei von etwa zwei Prozent Rückgang sprach. Was auch daran liege, dass das Rad zunehmend von denen bevorzugt werde, die über ein Mehr an Kapital verfügen. Von den sogenannten „Silver Agern“, jungen und jung geblieben Senioren, Vorruhe-Ständlern oder einfach Leuten im fortgeschrittenen Alter, die sich fit halten wollen. Zudem gilt auch: je besser die Verarbeitung der Bikes, umso höher deren Haltbarkeit und Verweildauer beim Besitzer.

Fahrrad fahren, und damit meine ich sowohl Drahtesel, die von reiner Muskelkraft, als auch hilfsweise von Elektromotoren zusätzlich mit Vortrieb versorgt werden, sind inzwischen zum Lifestyle-Produkt geworden. Lange galt es als ein Zeichen mangelnden Wohlstandes, Strecken mit dem Fahrrad zurückzulegen. Wer kein Geld für ein Moped oder gar ein Auto hatte, der musste zwangsläufig das Rad nehmen. Aus dieser Denkschublade sind wir mittlerweile (Gott sei Dank) längst hinaus. Denn Bewegung tut nicht nur not und gut, sie bereitet zudem auch Freude.

Zudem wird es immer schwieriger, in verstopfte Innenstädte mit dem eigenen Automobil zu fahren und dort auch noch einen Parkplatz für den fahrbaren Untersatz zu finden. Und was rund um die Diskussionen möglicher Fahrverbote für Diesel-Autos noch alles auf uns zukommt, ist noch gar nicht abzusehen. Da findet bei vielen Individual-Mobilisten mittlerweile ein Prozess des Umdenkens und auch des Umsteigens statt.

Ich jedenfalls habe mir in Friedrichshafen nicht nur viele Anregungen rund um das Rad geholt, sondern auch meine Bereitschaft gestärkt, mich in knapp zwei Wochen wieder durch die Hallen auf der IAA zu zwängen. Denn an befriedigter Neugierde ist noch niemand dümmer geworden.

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.

Ihr Jürgen C. Braun

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