Ford: 60 Jahre Taunus 17 M

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Elvis Presley brachte es auf den Punkt: „All Shook Up“, lautete sein Nummer-eins-Erfolg in den Rock'n'Roll-Charts des Jahres 1957 und ebenso shook up bzw. aufgewühlt war damals die Autowelt. Wollte sich doch Ford mit gleich zwei neuen, aber geradezu verstörend gegensätzlichen Modellreihen diesseits und jenseits des Atlantiks neu erfinden – und so den Erzrivalen General Motors überholen. Waren es in Amerika vermeintlich avantgardistische europäische Formen, die den Ford Edsel zur Lifestyle-Insignie gesellschaftlicher Aufsteiger machen sollten, setzte die Kölner Ford-Filiale für ihr neues Flaggschiff Taunus 17 M (P2) auf klassischen Chrom-Glamour amerikanischer Art.

Dieser erste 17 M war ein Mini-Straßenkreuzer mit ausladenden Karosserieüberhängen, Peilkanten und Heckflossen, der barocke Pracht zu kleinem Preis bot. Ein aus dem Ford-Hauptquartier in Dearborn angeordnetes Design, das bei deutschen Wohlstandsbürgern der Wirtschaftswunderjahre ankam, die den in zahlreichen Karosserieformen angebotenen Kölner 1,7-Liter-Vierzylinder zum Shootingstar der Mittelklasse machten. Daran konnten auch Spottnamen wie Gelsenkirchener Barock für die De-Luxe-Variante in vollem Chrom-Glitter oder Niehler Nacktarsch für die ungeschmückte Basisversion nichts ändern. Der amerikanisierte Taunus wurde ein Bestseller – unter dem Slogan „It's German-Made!“ sogar im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Dagegen fiel dem Ford Edsel die Rolle eines tragischen Helden zu, für einige Fachleute ist er sogar der größte Flop der Automobilgeschichte. Zu kurios waren vor allem die Konturen des V8-Cruisers, der vergeblich versuchte, vertikale europäische Kühlergrills zu kopieren.

So kam für den Edsel trotz rekordverdächtig hoher Entwicklungskosten nach nur zwei Jahren das Aus, während sich Ford Deutschland durch den Taunus 17 M dauerhaft in der anspruchsvollen Mittelklasse verankerte. Tatsächlich verkörperte der Taunus 17 M den Traum vom Wohlstand nach amerikanischem Vorbild so vollkommen, dass er die Ford-Verkaufszahlen schneller als erhofft aus einem Formtief befreite, denn Ford war 1956 hierzulande hinter Fiat zurückgefallen. Bis die Kölner Autobauerzum härtesten Herausforderer der damaligen General-Motors-Tochter Opel aufstiegen, sollten zwar noch viele Jahre vergehen, aber der Anfang war gesetzt.

Schon die zweite Generation des Taunus 17 M lieferte sich das erste Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Opel Rekord. Eine Konkurrenz, die von Beginn an sogar in Nordamerika ausgetragen wurde, wo Mercury-Händler den Vertrieb des Ford übernahmen und Buick den Opel anbot. Immerhin gelang es Ford und GM mit diesen Europäern in amerikanisiertem Design, gegen die anstürmenden Compacts aus Schweden, Frankreich und Großbritannien sowie den VW Käfer Achtungserfolge zu erzielen. Besonders bemerkenswert ist dabei die Begeisterung, die der als „großer Reisewagen neuen Stils“ beworbene Taunus 17 M erzielte. Diese modische Heckflosse trug ihr Markensignet mit den Kronen der Heiligen drei Könige, deren Schrein sich im Kölner Dom befindet, in 87 Länder auf alle Kontinente.

„Die Welt wählte den Taunus 17 M!“, feierte Ford Deutschland die Verdreifachung seiner jährlichen Exportzahlen in großformatigen Anzeigen. Auch in Deutschland ging es in der Absatzstatistik steil bergauf, vor allem aber in den Marktanteilen. Waren es bei Einführung des 17 M noch 7,8 Prozent, kletterte dieser Wert bis 1960 auf 10,2 Prozent. Beste Basis für die beiden folgenden Generationen des Ford-Flaggschiffs den Marktanteil auf 18,5 Prozent zu treiben. Eine Zahl für die Ewigkeit, denn damit wäre Ford heute härtester Rivale von VW.

„Lieben Sie flotten Foxtrott? Der große Ford kommt aus der amerikanischen Styling-Kiste, weicht aber auf kurvigen Strecken keinen Fingerbreit vom Weg ab“, fasste ein Fachjournalist seine Eindrücke von der Pressefahrvorstellung des 17 M (P2) zusammen. Enthüllt wurde das mit 4,38 Meter Länge überraschend kurz ausgefallene Ford-Flaggschiff bei einer Show im Kölner Stadtwald-Restaurant. Trotz der Designanleihen von den US-Modellen Ford Custom und Fairlane natürlich ohne aufrührerischen Rock'n'Roll der Jugend, dafür mit gesellschaftsfähigem Foxtrott, den die Schlagersängerin Gitta Lind in einem eigens getexteten Song vortrug: „Fahren auch Sie den neuen Taunus“. Tatsächlich gab es als Pressegeschenk sogar eine Single, die das Fahrverhalten des ersten deutschen Ford mit vorderen McPherson-Federbeinen lobte. Und der technische Direktor von Ford, Jules A. Gutzeit, prägte den Slogan vom „Fliegenden Teppich“. Waren doch die Limousinen und Kombis nicht nur weich abgestimmt, sie mussten auch Vier-Meter-Weitsprünge von einer Schanze bewältigen.

Die Medien waren zufrieden und die Rennfahrerlegende Hans Stuck resümierte, dass er die Ford-Schlaglochteststrecke mit keinem Sportwagen der Welt schneller fahren könne. Harte Zeiten für Opel Olympia Rekord, Borgward Isabella und die in Deutschland langsam beliebter werdenden Importe wie den Peugeot 403, prophezeiten verschiedene Experten, zumal der 17 M auch bei der Kraftübertragung durch die Optionen automatische Kupplung „Saxomat“ und Borg-Warner „Overdrive“ mondänen amerikanischen Lifestyle bot. Ebenfalls aus den USA kam die Idee des schicken Kombis für Familie und Freizeit, die der Ford 17 M deutlich stylisher umsetzte als der bereits etablierte Opel Caravan. Und wer die Extravaganz eines Cabriolets schätzte, konnte seine „de-Luxe“-Limousine beim Karossier Deutsch öffnen lassen. Wohlstand für alle Aufsteiger, das sollte dieser Ford verkörpern, weshalb er als eines der ersten Fahrzeuge überhaupt im Fernsehen beworben wurde.

Wirklich preiswerter Luxus, wie ihn damals amerikanische Kaufhausketten à la Woolworth anboten, dafür stand der 44 kW/60 PS leistende und gerade einmal 125 km/h schnelle Taunus 17 M allerdings nicht. So war er deutlich teurer als der zeitgleich erneuerte Opel Olympia, der deshalb Messlatte in den Mittelklasse-Verkaufscharts blieb und dessen Design trotz zeitgeistiger Panoramascheiben eine höhere Halbwertzeit hatte als der zerklüftete gezeichnete Kölner Chromkreuzer. Zumal diesem obendrein ein zu hoher Benzinverbrauch nachgesagt wurde. Ford besserte nach, spendierte nach nur zwei Jahren eine flottere Dachlinie und einen modifizierten Zylinderkopf für niedrigere Verbrauchswerte, die nun mit acht Liter pro 100 Kilometer Klassenstandard erreichten. Als Viertürer fand der 17 M jetzt vermehrt beim Taxigewerbe Fans, während die Verkehrspolizei den geräumigen Taunus Kombi schätzte, um die sperrigen ersten Radaranlagen zu tarnen.

Nach nur drei Sommern und rund 240.000 Einheiten war die Zeit 17 M (P2) vorüber. Mit vollkommen neuem Stromliniendesign beendete der Ford Taunus 17 M (P3) – die sogenannte „Badewanne“ – im Herbst 1960 die Ära amerikanischer Karosseriewülste und etablierte Ford als drittgrößten Automobilhersteller in Deutschland. Der Gelsenkirchener Barock wurde zum Ladenhüter – in den Ford-Gebrauchtwagenabteilungen ebenso wie in den Möbelhäusern.

Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Ford

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