Buchtipp – Calsow: Atlas – frei zum Abschuss

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Das Haus lag direkt am Kanal, an einer Stelle, die die Deutschen das nasse Dreieck nannten. Von den Anwohnern hier schien keiner mehr über die fade Doppeldeutigkeit zu lachen. Der Holländer aber amüsierte sich königlich über diese Ortsbezeichnung, als ihm sein alter Kumpel die Adresse am Telefon genannt hatte.

Kees Vermeer hatte ihn angerufen, um ihm von seinen Plänen zu erzählen, und war prompt eingeladen worden. »Du kannst hier gern wohnen, es ist gerade sehr ruhig. Ich freue mich auf dich.« Ein merkwürdiger Unterton in der Stimme des Gastwirts hatte Vermeer etwas beunruhigt. Er kannte Hans Blind aus der Zeit beim niederländischen Militär. Beide hatten die gleichen Geister aus Srebrenica mitgebracht, hatten den tausendfachen Tod zugelassen, waren verhöhnt und bespuckt worden, hatten aber auch später vom niederländischen Staatschef einen Orden erhalten. Kees hatte eine Stelle bei der Polizei gefunden, Hans Blind war nach Deutschland gegangen. Aber immer noch sahen die beiden jede Nacht die Gesichter jener Männer, die sie preisgegeben hatten damals in dem heißen bosnischen Sommer. Nicht nur Angst verbindet, auch Feigheit.

Dann und wann fanden die Kameraden noch zusammen. So wie jetzt Blind und Vermeer, kurz hinter der Grenze an einem Kanal in Deutschland.

Westfalen gilt als eher beschauliche Gegend, die Nähe zu den Niederlanden wird als Gewinn empfunden, nicht nur bei Touristen. An dem Image haben auch die Tatort-Krimis um Thiel und Boerne nichts geändert, fügen sich vielmehr in das Image hinein.

Ein ganz anderes Bild zeichnet Martin Calsow: Sein Ermittler, Andreas Atlas, muss um sein Leben fürchten. Mitten im Teutoburger Wald. Das liegt nicht nur daran, dass er mit dem mexikanischen Drogenkartell so ziemlich den worst case als Gegner hat. Sein eigenes Leben ist nicht frei von Komplikationen, was die Sache nur noch gefährlicher macht. Und ganz so gesetzestreu war Atlas auch nicht.

Atlas – frei zum Abschuss ist kein klassischer Schwarz-Weiß-Krimi oder die typische Tätersuche, sondern zeigt, dass es zwischen dem Schwarz und Weiß etliche Graustufen gibt.

Martin Calsow: Atlas – frei zum Abschuss. Grafit Verlag; 9,99 Euro.

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