LML Star Lite 125 Automatica: Die „indische Vespa“

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Es gibt nicht viele Marken, die es geschafft haben, synonym für eine ganze Produktgattung zu stehen – Vespa ist ganz ohne Zweifel eine davon. Das geht auf den genialen Konstrukteur Corradino D'Ascanio und Firmenboss Enrico Piaggio zurück, die mit der allerersten Vespa von 1946 die Kategorie der Roller überhaupt begründeten. In dieser 70-jährigen Geschichte gibt es kaum ein Modell, das den Kult um diese italienische Rollermarke mehr verkörpert wie die Vespa PX – mehr als drei Millionen Exemplare wurden seit Produktionsstart 1977 verkauft. Und nun stehen wir hier vor einem Roller, der wie eine moderne Version der PX daherkommt, mit durchgehender Stahlblechkarosse als Rückgrat, Vorderradführung per Kurzschwinge und der typischen Linienführung. Nur steht nicht Vespa, sondern LML auf dem Typenschild. Was das soll?

Die Antwort findet sich in der wechselhaften Geschichte von Vespa. LML steht für Lohia Machinery Limited: Die in Kanpur/Indien ansässige Firma erhielt von Vespa 1983 die Lizenz zum Bau der Vespa PX für den indischen Markt. LML stieg zu einem der führenden Roller- und Motorrad-Produzenten in Indien auf und löste sich 1999 durch den Aufkauf der Piaggio-Anteile am Joint Venture inklusive der Konstruktionspläne vom damals immer tiefer in die Krise rutschenden italienischen Partner.

Nach Beendigung der Zusammenarbeit bauten die Inder allerdings weiter Schaltroller mit Namen Star nach den PX-Bauplänen, die sie seit 2008 auch auf dem europäischen Markt anbieten – nicht gerade zur Freude des Piaggio-Konzerns. Der schickte daraufhin die eigentlich schon in Rente geschickte Vespa PX leicht modernisiert wieder an den Start. Die Inder aber passten die LML Star modernen Bedürfnissen an und entwickelten einen benutzerfreundlichen Roller mit Viertaktmotor und stufenlosem automatischen CVT-Getriebe, die Star 125 Automatica.

Mit der „Lite“ steht nun eine modernisierte Version parat, die etwas schmaler baut. Dabei unterscheiden sich die Maße gegenüber der Ausgangsversion nur geringfügig, selbst große Fahrer fühlen sich gut untergebracht. Die Sitzposition fällt vespa-like aufrecht etwas erhöht und mit ausreichend Bewegungsfreiheit für Knie und Fuß aus. Gestartet wird per E- oder notfalls Kickstarter, auf Chokeknopf und Benzinhahn wie bei echten Klassikern wird verzichtet. Der luftgekühlte 125er-Viertakter erwirtschaftet bei kurzhubiger Auslegung maximal 9,2 PS und ein Drehmoment von 8,7 Newtonmetern. Das automatische CVT-Getriebe mit Riemenscheiben, Keilriemen und Fliehkraftkupplung steuert der Südtiroler Getriebespezialist Adler bei. Auch die Vergasereinheit kommt aus dem Mutterland des Rollers: Dell’Orto liefert den elektronisch geregelten Mischer mit Drosselklappensensor sowie das passende Steuergerät.

Zum Anfahren braucht man nur Gas geben, schon setzt sich die 125er in Bewegung – die Variomatik sorgt schon bei recht niedriger Drehzahl für maßvollen Vortrieb. Stadtgerecht fallen die Fahrleistungen aus, ohne die LML gleich zum Ampelkönig zu machen. Gleichmäßig, gut kontrollierbar und vergleichsweise kultiviert braust der indische Scooter durch die City. Verglichen mit den klassischen Vorbildern sitzt der Motor – gut zugänglich über die abnehmbare linke „Backe“ – mittiger im Chassis, was der Automatica ein vergleichsweise ausgewogenes Fahrverhalten verleiht. Dennoch bleiben die Fahreigenschaften typisch Vespa PX, perfekten Geradeauslauf nach heutigen Maßstäben sollte man nicht erwarten. Hinzu kommt eine gewisse Kippeligkeit der kleinen Zehnzollrädchen in Kurven und ein nur geringer Abrollkomfort – das Fahrwerk bietet den Komfort eines Bobbycars. Andererseits präsentiert sich das trocken nur 103 Kilo wiegende Gefährt besonders wendig, und auch das Aufbocken gelingt kinderleicht.

Gebremst wird wie bei jedem anderen Automatik-­Roller: Der rechte Bremshebel betätigt die vordere Scheibe, die hintere Trommel wird vom linken Hebel aktiviert. Die Wirkung ist ausreichend, lässt aber bei der Dosierung zu wünschen übrig. Die LML besitzt keinen Sitzbank-Stauraum, unter dem hochklappbaren Polster sitzt der Tank und darunter der Motor. Kleinere Dinge lassen sich wie bei der PX im Frontfach verstauen.

Klassik-Puristen werden die neue LML vermutlich ablehnen, auch wegen des neuen, nicht mehr klassisch analogen, sondern digitalisierten Cockpits. Auch dass unter der rechten Backe kein Ersatzrad mehr sitzt, sondern nur eine Kunststoffblende einen Reifen imitiert, wird Traditionalisten die Nase rümpfen lassen. Wer aber einen ordentlich verarbeiteten Retro-Roller mit Blechkarosse und nutzerfreundlicher Technik sucht, wird von der LML Star Lite angetan sein – auch wegen des interessanten Preises von 2.500 Euro.

Text: Thilo Kozik/SP-X
Fotos: KSR Group/SP-X

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