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Es war das Jahr der Fastbacks ohne Fortune. Längst vergessen sind deshalb heute Renault 14, der erste Audi Avant und letztlich sogar der zum „Auto des Jahres 1976“ gekürte Simca 1307. Wen wundert es da, wenn Unwissende auch den Volvo 343 in diese Loser-Liste aufnehmen wollen. War dieser erste kompakte Schrägheck-Schwede doch anfangs tatsächlich ein erfolgloser Langweiler, der nur durch seine niederländische Daf-Vergangenheit von sich reden machte. Weshalb es der Volvo 343 – ursprünglich konzipiert als Daf 77 – auch nicht an der Riemenautomatik fehlen ließ, die bereits den betulichen Daf-Kleinwagen den Ruf der Rentner- und Frauenautos eingebracht hatte.

Als dann auch noch kostspielige Kinderkrankheiten die Erfolgskurve des ersten Volvos in der Kompaktklasse beeinträchtigten, grenzte es an ein Wunder, als das Mauerblümchen wider Erwarten zu einem Millionseller mutierte. Was war geschehen? Die Schweden hatten ihren Holländer mit allem aufgerüstet, was bereits die großen Volvos begehrenswert machte. Also mit knackigem Schaltgetriebe, Zuverlässigkeit und vielen Karosserievarianten für die fortan Volvo 340 und 360 genannten Modelle. Einen Imagewandel hin zum fliegenden Holländer konnten zwar nicht einmal Titelgewinne wie die Rallyecross-Europameisterschaft oder Weltrekordfahrten bewirken, aber zu Top-Ten-Platzierungen in den Verkaufscharts wichtiger europäischer Märkte brachten es die 340er und 360er nun doch. Vor allem verankerten die kleinen Niederländer ihre schwedische Muttermarke fest in der Kompaktklasse. Am Ende fanden die über 15 Jahre gebauten Volvo 340/360 so viele Fans, dass sie noch lange parallel zu ihrem Nachfolger verkauft wurden. Loser waren die 340/360 also nicht, eher liebenswerte Longseller.

Neue Besen kehren gut, sagt die Redensart. Ähnlich war es im Volvo-Vorstand als im Jahr 1971 Pehr Gyllenhammar den Chefposten übernahm und sehr ehrgeizige Ziele ausgab. Wachstum auf 300.000 Autos pro Jahr lautete die Devise und dazu wurden neue Werke und Modelle benötigt. Schließlich war Volvo mit den Modellen 140/160 nur in der oberen Mittelklasse präsent, Volumenzuwächse verhieß aber vor allem die aufstrebende Kompaktklasse. Gyllenhammar griff deshalb zu, als sich die holländische Industriellen-Familie van Doorne von ihren kaum noch lebensfähigen Daf-Kleinwagenfabriken trennen musste.

Schließlich hatten die Niederländer neben dem erst 1972 eingeführten kleinen Daf 66 noch einen größeren Typ mit Heckklappe in Vorbereitung, der als Daf 77 gegen Golf & Co. antreten sollte. Dies zwar mit Hinterradantrieb, dafür mit sparsamem und robustem, 47 kW/64 PS leistendem Renault-Motor unter der Haube. Ganz so, wie es in den Jahren nach der Ölkrise angesagt war. Als Volvo 343 sollte das dreitürige Daf-Flaggschiff – sicherheitstechnisch nachgebessert – für Furore sorgen. Das hausbackene Design mit angedeuteter Stufe im Schrägheck stammte nicht etwa wie oft kolportiert von Bertone oder Michelotti, sondern vom Daf-Designer John De Vries. Formen, die von Volvo-Chef-Designer Jan Wilsgaard nur noch durch die Sicherheitsstoßfänger und den charakteristischen Kühlergrill ergänzt wurden, obwohl Wilsgaard keineswegs wirklich glücklich war mit dem Entwurf. Zu eng war der Zeitplan, um noch viel zu ändern, weshalb den 343 anfangs auch viele Qualitätsdefizite plagten, besonders in der Innenausstattung. Andererseits war der 4,19 Meter lange Volvo 343 perfekt geeignet für Montagebetriebe in Malaysia und Indonesien – getreu Gyllenhammars Grundsatz „Volvo muss ein internationaler Autokonzern werden“.

Vielleicht wäre etwas mehr Volvo-Finish für den 343 aber doch gut gewesen, zumal der Riemen-Vollautomat von den Medien als phlegmatisch (Vmax 145 km/h, 0-100 km/h in knapp 20 Sekunden) und trinkfreudig (über 12 Liter pro 100 Kilometer) kritisiert wurde. Das Ganze zu Preisen, die nicht dem Golf, sondern dem größeren Passat entsprachen. Beste Voraussetzungen für einen Fehlstart des neuen Volvos aus Born. Und tatsächlich: Statt der avisierten 100.000 Volvo 343 pro Jahr produzierten die Niederländer zunächst maximal 54.500 Einheiten. Nun war Holland so in Not, dass die Gewerkschaften schon eine kurzfristige Werksschließung befürchteten. Gyllenhammar handelte aber rasch: Dynamischere Antriebe, qualitativer Feinschliff und große Modellvielfalt waren der Schlüssel zum Erfolg, nach dem die Niederländer anfangs vergeblich gesucht hatten. Damit wurden sogar Peinlichkeiten vergessen gemacht wie vergebliche Anfahrversuche der Fachpresse mit CVT-Modellen an starken Steigungen. Oder der nur noch minimale Preisabstand des kompakten 343 DL zum klassischen Panzerkreuzer 242 L, der als billige Einstiegsversion das ebenfalls lahmende Geschäft mit den großen Volvo 240/260 in Schwung bringen sollte.

Erkennbar war der Neustart des Volvo 343 auch an einer anderen Nomenklatur: Erst gesellte sich zum Dreitürer 343 der Fünftürer 345, dann entstand daraus die Volvo-340-Familie mit konventionellem Schaltgetriebe und einer breiten Motorenpalette. Selbst der zum Nebendarsteller degradierte 1,4-Liter-Benziner leistete nun agilere 51 kW/70 PS. Hinzu kamen aus dem Renault-Programm ein 1,7-Liter-Benziner mit 59 kW/80 PS und schließlich im 340 DL ein Diesel mit 40 kW/54 PS. Dieser Selbstzünder erwies sich mit einem Normverbrauch von 4,7 Litern als echtes Sparwunder, knauserte er doch erfolgreicher als der Golf Diesel. Seine Vielseitigkeit demonstrierte der Volvo 340 zudem als Van, waren doch City-Lieferwagen mit abgedeckten hinteren Fenstern in vielen europäischen Ländern beliebt.

Einen Imageschub sollte dagegen der 1982 vorgestellte Volvo 360 mit leistungsstarkem 2,0-Liter-Motor bringen, zumal es ihn auch als repräsentativere Stufenhecklimousine gab. Noch wichtigerfürs Prestige waren nur die motorsportlichen Siege, die der Volvo 360 in Europa und Australien erntete. Sogar eine Weltrekordfahrt war darunter: Auf dem Göteborger Flughafen Landvetter erreichte 1978 der Volvo (343) XD-1 mit Dieselmotor von Volkswagen zwischen startenden und landenden Linienjets 211 km/h – Dieselbestwert in der Klasse bis zwei Liter Hubraum. Sport auf der Straße gab es ebenfalls, etwa mit dem Volvo „R-Sport“, der es durch zwei Doppelvergaser und eine schärfere Nockenwelle auf 90 kW/123 PS Leistung brachte. Genug, um beim Sprintduell dem Golf GTI Paroli zu bieten. Dagegen schafften es zwei Concept Cars zur Freude der Konkurrenz nicht in die Serienfertigung: Das von Marcello Gandini für die Carrozzeria Bertone gezeichnete Coupé-Concept Tundra lieferte deshalb 1979 die Blaupause für den Citroën BX und der 1978 von Fiore gebaute Volvo 343 Van ist ein früher Vorläufer des Renault Espace.

Als der Volvo 340 im Jahr 1988 mit dem Sondermodell „Millionaire“ in den Club der Produktions-Millionäre einzog, stand der nachfolgende Volvo 440 schon in den Schauräumen. So wie im richtigen Leben hält aber auch eine automobile Liebe auf den zweiten Blick oft länger, weshalb der Volvo 340 noch bis 1991 Basismodell im Volvo-Programm blieb.

Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Volvo/SP-X

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