Renault: 60 Jahre Dauphine

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Mit dem Heckmotor-Mini Renault 4 CV hatte Frankreich in den frühen Nachkriegsjahren erstmals mehr als eine Million Autofahrer mobilisiert. Ein schweres Erbe für die nachfolgende Limousine, die vor 60 Jahren als formvollendete Renault Dauphine vorgestellt wurde. Sollte doch „La Dauphine“, also die Thronfolgerin, nicht nur die Gallier begeistern, sondern den ganzen Globus erobern und so Devisen für Frankreich erwirtschaften.

Eine Mission, die der Heckmotor-Viertürer zeitweise sogar erfolgreicher durchführte als sein ewiger Gegner aus Wolfsburg. Immerhin brachte die staatliche Régie Renault Ende der 1950er Jahre in Amerika mehr Autos unter das Volk als Volkswagen. Auch auf dem Heimatmarkt des Käfers konnte die verführerische französische Prinzessin sich mit einem Preis von 4.750 Mark in die Herzen der Deutschen schmeicheln. Dazu trug der französische Fahrkomfort ebenso bei wie der bequeme Einstieg durch vier Türen und die Vorteile des wassergekühlten, kultivierten 0,85-Liter-Vierzylinders gegenüber dem vergleichsweise lärmigen, luftgekühlten VW-Boxer. Andererseits war der Käfer konstruktiv langlebiger und zuverlässiger. Dies sollte sich ausgerechnet auf dem amerikanischen Markt zeigen, wo die weniger robuste Dauphine Anfang der 1960er Jahre von ihrem Höhenflug jäh abstürzte und ein Desaster hinterließ. Trümmer, die Renault im Bewusstsein der Kunden vergessen machte durch Motorsporterfolge und noble Ondine-Typen. Als die Dauphine im Heimatland ihren Abschied gab, war sie mit über 2,1 Millionen Einheiten das bis dahin meistgebaute französische Auto aller Zeiten.

Mit fast schon coupéhafter Erscheinung war die nur 3,95 Meter lange Renault Dauphine bei ihrem Debüt im Jahr 1956 eine elegante und fortschrittliche Alternative zu Konkurrenten, die teils sogar noch auf Vorkriegskonstruktionen zurückgingen wie VW Käfer, DKW und Morris Minor. Vor allem verfügte die Dauphine serienmäßig über vier Türen, anders als Saab 93, Ford Taunus 12 M, Goliath GP 900 oder Austin A30. Hinzu kam: Die moderne Pontonform der Dauphine war prestigeträchtig und verkörperte die damals weltweit gefragte optische französische Leichtigkeit. Schließlich sollte der kleine Vierzylinder auf allen Kontinenten gebaut werden. Fast federleicht waren auch die 600 Kilogramm, die der Fünfsitzer auf die Waage brachte. So genügten der Limousine bescheidene 19 kW/26,5 PS für eine autobahntaugliche Vmax von 115 km/h. Flotter war ab 1957 die Renault Dauphine Gordini, der von dem PS-Magier Amédée Gordini 24 kW/33 PS entlockt wurden. Genug Leistung um mit 126 km/h Spitzengeschwindigkeit sogar repräsentative Mercedes 180 zu scheuchen. Vor allem aber garantierte Gordini spektakuläre Erfolge im Motorsport.

Entsprechend beeindruckend war die gewaltige Trophäensammlung, die der Renault bei der Mille Miglia, der Tour de France oder der Rallye Monte Carlo zusammentrug. Kaum ein Rennen von Rang, bei dem die Dauphine nicht Lorbeer sammelte. Auch der Geschwindigkeitsweltrekord eines anderen kompakten Renault-Prototypen beflügelte die Karriere der Dauphine, die in Deutschland fortan beworben wurde mit dem Slogan: „Schneller zu fernen Zielen!“. Dabei war es doch die turbinengetriebene Renault Etoile Filante, die im Herbst 1956 auf einem amerikanischen Salzsee mit 308 km/h verdeutlichte, zu welchen Leistungen Renault in der Lage war. Im Land der Straßenkreuzer gewann die winzige Dauphine in der Folge verblüffend viele Fans, die sogar Lieferzeiten akzeptierten und die das von der renommierten Künstlerin Paule Marrot in modisch bunte Farbtöne gesetzte Designjuwel vorübergehend inniger liebten als den Wolfsburger Love Bug.

Auf dem Höhepunkt des Hypes verteilten 900 amerikanische Renault-Händler jährlich mehr als 100.000 Dauphine, die via Le Havre mit alten Liberty-Schiffen in die Neue Welt transportiert worden waren. Dieser Transportweg gefiel den Amerikanern, hatten doch genau diese Schiffe der Liberty-Klasse im Zweiten Weltkrieg Truppen und Material geschickt, um Europa und Frankreich zu befreien. Alles lief bestens für Renault Ende der 1950er Jahre und mit dem Werbeslogan „Le Monde dit oui à Renault“ („Die Welt sagt ja zu Renault“) feierten sich die Franzosen nicht zu Unrecht selbst. In Europa beteiligte sich die Dauphine an der spanischen Volksmotorisierung durch eine Produktion bei Fasa. Außerdem entstanden Rechtslenker in Irland und Großbritannien, wo sogar Königin Elisabeth ein Exemplar der französischen Thronfolgerin übernahm. Alfa Romeo baute derweil die schöne Gallierin bei Mailand als Dauphine-Alfa Romeo und lieferte zum Ausgleich Alfa-Modelle an den französischen Renault-Vertrieb. Auch in Südamerika, Afrika und Australien bereicherte die Dauphine das Straßenbild und in Japan entstand sie bei Hino. Allein der Start in Indien wollte nicht gelingen.

Trotzdem ähnelte die Erfolgskurve der Dauphine kurzzeitig der des ebenso weltgewandten VW Käfer. Mit der fast unkaputtbaren Mechanik des Wolfsburger Krabbeltieres konnte sich der kompakte Renault allerdings nicht ganz messen, wie sich auf den endlos langen amerikanischen Highways zeigte. Letztlich waren es keine wirklich schlimmen Pannen, aber die US-Autolobby nutzte ihre Chance zu propagandistischen Gegenschlägen, die den Ruf der kleinen Renault in den USA ruinierten. Zumal Detroit ab 1960 eigene Compacts lancierte. Die Folge waren zehntausende unverkaufte Renault Dauphine, die ungeschützt auf Halde standen und teils in Häfen zu rostigen Ruinen mutierten. Im Stammwerk Flins mussten daraufhin über 1.200 Arbeiter entlassen werden. Eine Kette katastrophaler Nachrichten, aus denen sich Renault jedoch glücklich befreien konnte. Möglich machten das der neue Renault 4 – und frische Erfolge der Dauphine außerhalb der USA.

So glänzten die neuen Luxusversionen Ondine („Nixe“) und Ondine Gordini mit Ausstattungsdetails vom Juwelier Jacques Arpels und die sportive Dauphine R 1093 mit einer Leistungssteigerung auf 36 kW/49 DIN-PS. Optisches Erkennungszeichen der 140 bis 150 km/h schnellen R 1093 – der geheimnisvolle Zahlencode bezog sich auf die Entwicklungsnummer 1093 – waren zwei blaue, seitliche Zierstreifen. Dadurch wussten etwa die überraschten Piloten großer Citroën ID 19 und Peugeot 403, welcher flinke Flitzer sie gerade überholt hatte. Für entsprechende Verzögerung der rasantesten Dauphine sorgten ab 1963 vier serienmäßige Scheibenbremsen, die auch bei den schwächeren Typen Standard wurden.

Die 1,5 Millionen-Marke in der Produktionsstatistik passierte die Dauphine 1961, davon waren rund 60 Prozent in den Export gegangen. Entsprechend zufrieden zeigte sich Frankreichs Führung über die Erfolge der staatseigenen Régie Renault. Zumal auch noch 100.000 Einheiten aus internationalen Montagewerken hinzukamen. Ein Ende fand die französische Fertigung der Dauphine erst im Dezember 1967 und in anderen Ländern lief die Montage sogar noch bis 1971. Fast hätte es die ewig jugendliche wirkende Thronfolgerin so geschafft, ihren Nachfolger zu überleben, den bereits 1962 lancierten Renault 8.

Text: Wolfram Nickel/SP-X
Fotos: Renault/SP-X

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