Buchtipp – Bittrich: 99 deutsche Orte …

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Bücher sind auch dazu da, um über sie zu streiten. Dieses von Dietmar Bittrich ist eines davon. Nun ist der Autor ohnehin als Satiriker bekannt und als solcher naturgemäß nicht auf Konsens gebürstet. Aber die 99 deutschen Orte, die man knicken kann sind tatsächlich so erfrischend frech im Inhalt, wie es der Titel vermuten lässt.

Dabei ist der Grundgedanke absolut konsensfähig! Was schon Kinder nicht mögen, schätzen Erwachsene auch nicht (und geben es vielleicht nur nicht zu) – jenes vermeintliche Kulturprogramm auf Reisen, das man gesehen haben muss, um nach der Rückkehr das entsetzte Wie, du warst da und dort und hast dies und jenes nicht gesehen? aus dem Bekanntenkreis nicht hören zu müssen. Oder eben mittels reichlich Fotomaterial bei einem gemeinsamen Abend zu dokumentieren, dass man tatsächlich überall war, wo man gewesen sein muss. Das sind dann die Abende, die kein Ende zu nehmen scheinen und an denen man sich nichts sehnlicher wünscht, als mittels Handyklingeln einen Grund zu haben, das Szenario vorzeitig zu verlassen, ohne unhöflich zu wirken. Dabei wäre vielleicht der Gastgeber selbst viel lieber auf Erkundung gegangen, ohne das leidige Aneinander von Schlossführungen, Dombesichtigungen und Denkmalkunde.

Tatsächlich liest sich die Auswahl der Orte wie das kleine Einmaleins touristischen Ödnisprogramms: Heidelberg, Sylt, München, der Kölner Dom, Brandenburger Tor … vorm inneren Auge tauchen Scharen von Touristen auf, die einem die Sicht auf das versperren, was man sehen will. Wer mag schon stolz erzählen, dass er im brav absolvierten Kulturprogramm vor allem Touristen gesehen hat.

Dazu, dieses Buch als Streitschrift zu empfehlen, veranlassen mich zwei eigene Erfahrungen: Dass der Autor jenes Trier hinter der Porta Nigra sehr unfreundlich charakterisiert, ist nur die halbe Wahrheit. Okay, es gibt fassadär schönere Stadtteile, aber in den nicht so strahlend aussehenden Straßen eben auch schöne Einzelhandelsläden, Friseure und eine vorzügliche Gastronomie. Und auf dem Weg zum Brandenburger Tor kam ich vor vielen Jahren an einem unscheinbaren Laden vorbei, in dessen Schaufenster ein Wollpullover zu unglaublich niedrigem Preis hing. Das sei schon richtig, sagte der Ladner, nein, das sei kein reduzierter Preis, sondern einfach ein nicht so bekannter Hersteller. Und, nein, es sei auch keine Zweite Wahl und sonst ebenfalls kein Haken an der Sache. Der Mann hatte Recht – der Pullover leistet mir noch heute im Winter gute Dienste.

Deswegen sei Ihnen (und auch dem Autor) zugerufen: Getrost mal an die Orte gehen, die man nach Bittrichs Auffassung knicken kann. Aber ruhig in die Seitenstraßen, die nicht so strahlend aussehen. Trier besteht eben nicht nur aus Kaiserthermen und Karl-Marx-Haus und München nicht nur aus dem Hofbräuhaus …

Dietmar Bittrich: 99 deutsche Orte, die man knicken kann. Rowohlt Verlag; 9,99 Euro.

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