Mercedes: 25 Jahre S-Klasse

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Kann es ein Zuviel des Guten geben? Mercedes konnte sich so etwas nicht vorstellen und deklassierte vor 25 Jahren mit einer pompösen S-Klasse im Kingsize-Format die versammelte Konkurrenz. Die Modelle 300 SE bis 600 SEL der Baureihe W 140 waren Mercedes der Superlative, wie die Fachwelt meinte. „Das beste Auto der Welt: Der Anspruch ist wohl berechtigt“, bestätigte die Presse, denn die S-Klasse setzte sich nicht nur in Tests gegen die Wettbewerber von Audi über Lexus bis Rolls-Royce durch. Vor allem avancierten die bis 5,21 Meter langen und mit optionalen V12-Maschinen bis dahin prestigeträchtigsten Stuttgarter Sternenkreuzer zu weltweiten Bestsellern. Außer in Deutschland.

Ausgerechnet auf dem Heimatmarkt ernteten die erstmals auch mit effizientem Sechszylinderdiesel lieferbaren Luxusliner heftige Kritik. „Solche Saurier haben keine Zukunft“ oder die „Grenzen des Wachstums sind überschritten“, meinten Medien über das massige geformte Auto, mit dem die Chefs der Industrie und Bundeskanzler Helmut Kohl täglich in Nachrichtensendungen zu sehen waren. Erst als der W 140 seinem im Interieur deutlich enger geschnittenen Nachfolger Platz machte, wurde in der Presse Wehmut laut. Zu Recht, wie die zufriedenen Besitzer des Dickschiffs meinten, das überdies Langzeitqualitäten besaß und bis heute im Straßenbild präsent ist.

Tatsächlich zeigt die von Mercedes-Chefdesigner Bruno Sacco mit klaren Linien in Form gebrachte S-Klasse auch ein Vierteljahrhundert nach ihrem Debüt noch ihre repräsentativen Qualitäten. So integrierte sie sich unlängst unauffällig in die Flotte der Chauffeurslimousinen, die anlässlich des Staatsaktes für den früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher vorfuhren. Genscher selbst nutzte zwar bis zum Ende seiner Dienstzeit die graziler geformte Vorgänger-S-Klasse W 126, für Bundeskanzler Helmut Kohl aber wirkte die neue Baureihe W 140 wie maßgeschneidert. Bot sie doch ein fürstliches Raumangebot für bis zu 1,90 Meter große Passagiere.

Außerdem war der W 140 ein Technologieträger, der weit in die Zukunft wies. Nicht nur durch Serienfeatures wie das Sprachbediensystem Linguatronic und das Notrufsystem Tele-Aid, sondern auch als 500 SEL VaMP (Versuchsfahrzeug für autonome Mobilität – Pkw), der autonom im normalen Autobahnverkehr getestet wurde. Sogar durch sein Design wies der W 140 Wettbewerbern den Weg, wie der im Jahr 2000 eingeführte, ähnlich gezeichnete Lexus LS demonstrierte. Rolls-Royce dagegen griff im 1998 vorgestellten Silver Seraph sogar auf einen BMW-Zwölfzylinder zurück, um Anschluss an den 600 SEL zu finden. Dieser allerdings setzte bereits neue Maßstäbe durch eine 6,21 Meter lange Pullman-Staatslimousine. Lediglich ein Einzelstück für Papst Johannes Paul II blieb dagegen eine Landaulet-Limousine.

Tatsächlich hatte Mercedes mit dem großen Wagen am Sternenzelt seinen Führungsanspruch direkt nach dem Debüt auf dem Genfer Salon 1991 durchgesetzt. So wurden in den ersten neun Monaten nach Markteinführung global über 48.000 S-Klasse-Limousinen ausgeliefert, während BMW im ganzen Jahr nur 35.000 Siebener verkaufen konnte. Bei Jaguar waren es gerade einmal 18.000 XJ und bei Audi gar nur 3.000 V8-Limousinen. Dennoch war das erst der Anfang, denn im Jahr 1993 wurden schon doppelt so viele S-Klasse-Limousinen wie BMW 7er zugelassen.

Egal ob mit bescheidenem 2,8-Liter-Sechszylinder, knausrigem 3,0-Liter-Diesel (nur 8,1 Liter Normverbrauch), kraftvollen 4,2- und 5,0-Liter-V8 oder protzigem 6,0-Liter-V12 (bis 24,5 Liter Normverbrauch), in Deutschland waren die Vorstandsflaggschiffe umstritten wie bis dahin kein Prunkwagen. Vielleicht lag es daran, dass die Folgekosten der gerade erreichten deutschen Wiedervereinigung nach äußeren Symbolen der Bescheidenheit verlangten und große Fahrzeuge dem zunehmenden Umweltbewusstsein widersprachen.

Spott und Häme hagelte es für die Mercedes-Dickschiffe bei jeder Gelegenheit, etwa als sich herausstellte, dass die Hamburger High Society nicht mehr per Autozug nach Sylt fahren konnte, weil die S-Klasse dafür mit knapp 1,90 Metern zu breit war. Ebenso belächelt wurden die automatisch ausfahrenden hinteren Peilstäbe, die das Einparken zwar erleichterten, aber an Fahrhilfen der Vergangenheit erinnerten. Ganz im Gegenteil zur Ultraschall-Parkhilfe „Parktronic“, die als Weltneuheit 1995 im Rahmen eines S-Klasse Facelifts eingeführt wurde. Neu waren in jenem Jahr auch ein Navigationssystem und das serienmäßige ESP. Eine Sicherheitsausstattung, die zwei Jahre später die beim Elch-Ausweichtest in Schweden ins Schlingern geratene A-Klasse stabilisieren sollte. Premiere feierte das heute selbstverständliche ESP übrigens im 600 SEC Coupé, der seit 1992 teuersten Art Sonderklasse zu fahren.

Die großen Coupés, neben dem 600er gab es auch den 500 SEC und ab 1994 zusammen mit einer neuen Nomenklatur das S 420 Coupé, genossen im Segment der weltweit edelsten Zweitürer fast eine Alleinstellung. Positioniert zwischen den SL-Sportwagen und den Limousinen suchten die zuletzt CL genannten Coupés ihre Rivalen eher bei Rolls-Royce, Bentley und Aston Martin als beim BMW 8er und Jaguar XJ-S. Egal ob als Coupé- oder Limousine, alle Riesen mit Stern konnten trotz ihres XXL-Formats fast schon supersportlich bewegt werden. Für den 300 kW/408 PS starken 600 SE etwa ermittelten Testfahrer wie Niki Lauda 6,0 Sekunden für den Sprint auf Tempo 100 und die Vmax ohne serienmäßige Abregelung lag angeblich bei 290 km/h. Damit hätte der V12-Benz den Maserati Quattroporte als weltweit schnellsten Viertürer entthront. Übrigens soll ursprünglich sogar ein 800 SEL mit V16-Machine geplant gewesen sein.

Mehr noch als die Kraftwerke faszinierte die kritische Fachpresse, vor allem aber alle S-Klasse-Käufer eine bei Mercedes neu entdeckte Liebe zur Finesse bis in kleinste Details. So verfügten die Luxuslimousinen erstmals über 60 Elektromotoren für Komfortfunktionen. Der Faltenwurf des feinen Leders galt als ebenso unübertrefflich wie die Verarbeitung der Holzdekore, die automatisch, sanft schließenden Türen, die Stille im dahin gleitenden Auto dank Doppelscheiben und ein Memory-System, das sogar die Spiegelposition umfasste. Features, die es fast alle auch für die Sechszylinder-Selbstzünder gab, die damit den Diesel in der Nobelklasse etablierten.

Bei den Mächtigen der Welt waren dagegen die gepanzerten Sonderschutzversionen und der S 600 Pullman so beliebt, dass deren Produktion über das Jahr 1998 hinaus fortgeführt wurde. Denn in jenem Jahr startete die nächste S-Klasse unter dem Werkscode W 220. Optisch wirkte sie eine halbe Klasse kleiner, was besonders die Liebhaber der Sechs- und Achtzylindertypen durch wesentlich höhere Bestellzahlen honorierten. Dagegen warteten so manche Geldmagnaten auf neuen Glanz und Gloria durch die für 2002 angekündigten Maybach Modelle, die technisch noch mit der W-140-Reihe verwandt waren.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Daimler/SP-X

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