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Den Durchbruch zum Volumen- und Volksautohersteller verdankt Volvo der berühmten „Buckel-“Familie PV444 und PV544 mit Fastbacklinien im Vorkriegsdesign. Der Aufstieg zum global erfolgreichen Hersteller eleganter Limousinen und früher Familienkombis gelang den Skandinaviern aber erst mit einem aufregenden Auto, dessen Name bei der ersten Vorstellung im Februar 1956 noch nicht verraten wurde. Was auch daran lag, dass die vorgesehene Modellbezeichnung Amazon nicht auf allen Märkten verwendet werden durfte, lagen ihre Markenschutzrechte doch etwa in Deutschland bei Motorradbauer Kreidler und Landmaschinenhersteller Amazone. So startete die neue Volvo-Mittelklasse außerhalb Skandinaviens unter dem profanen Typencode P120, bekannt wurden die Vierzylinder dennoch als Amazon. Oder wie in der amerikanischen Werbung als unverwüstliches „Family Sports Car with the 100.000 Mile Reputation“.

Wobei der Antrieb des Amazon im Alltag sogar gut war für mehrere Millionen Meilen, wie ein Volvo 1800 S mit B18-Motor bewies, der sich so einen entsprechenden Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde sicherte. Seine sportlichen Qualitäten wiederum beschleunigten den Amazon an die Spitze der Tourenwagenchampionate der 1950er- und 1960er-Jahre. „Schnell wie ein Raketenstart“, jubelte der Formel-1-Weltmeister Mike Hawthorn bei seiner ersten Testfahrt im Amazon und in Deutschland hatte Volvo sogar eigens eine Kundendienststation-Adresse „Nürburgring Start und Ziel“. Diese Talente waren es, die den mit Sicherheitsinnovationen wie gepolstertem Armaturenbrett und Dreipunkt-Sicherheitsgurten auftrumpfenden Amazon bis 1970 frisch hielten. Allein der zeitgleich eingeführte Citroën DS blieb länger aktuell – aber nicht auf den Straßen präsent. Dagegen befinden sich dort die zähsten Amazon noch heute im Alltagseinsatz.

Seinen größten Verkaufserfolg feierte dieser Volvo erst im fortgeschrittenen Alter von elf Jahren. Da hatte er die meisten seiner zeitgenössischen Konkurrenten längst überlebt und sein designierter Nachfolger, die Volvo-Reihe 140, war schon ein Jahr auf dem Markt. Dennoch setzte sich der Amazon 1967 noch einmal auf Platz eins der schwedischen Zulassungscharts und auch im sonst so modebewussten Nordamerika trieb der Oldie die Volvo-Absatzzahlen auf ein neues Allzeithoch. Dazu beitragen konnte auch der Amazon Kombi P220, der mit seiner geteilten Hecktür ganz dem amerikanischen Geschmack entsprach. Anders als der kastenförmige erste Volvo Duett oder Konkurrenten mit Lieferwagencharme, setzte der Amazon mit Ladeluke auf den Charakter eines Familienfahrzeugs mit einem Hauch Lifestyleflair.

Womit er dem später noch erfolgreicheren Volvo 145 Kombi den Weg bereitete, zumal die Bänder des Amazon P220 im Jahr 1969 stoppten, um Kapazitäten für den Nachfolger frei zu machen. Am 3. Juli 1970 fuhr dann die letzte Amazon Limousine direkt vom Werk Torslanda ins Volvo-Museum. Das nicht ohne noch im finalen Jahr Zeichen gesetzt zu haben durch serienmäßige Sicherheitsgurte für die Rücksitze und die Etablierung des Slogans „Sicherheit durch Schwedenstahl“ in Deutschland. Auf die folgende lange Karriere des Amazon als kultiger Gebrauchtwagen deutete damals bereits eine offizielle schwedische Statistik, die dem Volvo das Doppelte der üblichen Pkw-Lebenserwartung bescheinigte.

Tatsächlich war der Volvo Amazon von Anfang an ein Spätstarter, denn seine Erfolge als am Ende 667.000-fach verkaufter Welteroberer schienen ihm nicht in die Wiege gelegt. So wurden in den ersten neun Monaten nach Baubeginn nur 1.600 Autos auf dem Heimatmarkt verkauft, während vom altgedienten Volvo PV444 im gleichen Zeitraum 19.000 Fahrzeuge abgesetzt wurden. Auch der Export begann nur zögerlich, dabei fand die Publikumspremiere der vom Volvo-Chefdesigner Jan Wilsgaard gezeichneten Limousine 1956 gezielt im feinen London Earls Court statt. Zeitlos schöne Formen als repräsentativer Viertürer in aktueller Zweifarblackierung, ein Interieur im Format der damaligen Mercedes S-Klasse bei nur 4,45 Meter Außenlänge und das Ganze zu günstigen Mittelklassepreisen, woran lag die Zurückhaltung der Käufer?

Die Antwort fand sich 1958. Volvo spendierte der bisher bescheidene 44 kW/60 PS leistenden 1,6-Liter-Limousine einen optionale 63-kW-/85-PS-Version mit Zweifachvergaser und dazu ein neues Vierganggetriebe als Ersatz für die antiquierte Dreigangbox. Zugleich begann 1958 der werbewirksame Bau eines modernen Werks bei Göteborg, die Fabrik Torslanda sollte Volvo fit machen für die Liga der europäischen Massenhersteller. Nun hoben die Verkaufszahlen für den Amazon ab, zumal zeitgleich auch Prominente wie die dänische Thronfolgerin Prinzessin Margarethe auf die Stärken des Amazon vertrauten.

Nachdem die schwedischen Ordnungshüter im Kampf gegen Verkehrssünder seit 1958 auf die warnende Wirkung des rallyeerprobten Amazon Sport mit damals aufsehenerregender zweifarbiger Polizei-Lackierung setzten, bestellten sogar viele Polizeibehörden außereuropäischer Staaten wie Peru, Chile oder Nigeria spurtstarke Amazonen. Zwar gab es werksseitig Sportmotoren mit bis zu 94 kW/128 PS, aber bei allen Marathonläufen wie der kanadischen 4.000-Meilen-Rallye triumphierte der Volvo trotz leistungsmäßiger Unterlegenheit gegenüber Porsche, Pontiac GTO oder Ford Falcon. Auch seiner Rolle als Frauenauto wurde der Volvo gerecht. Schließlich sollte der Name Amazon an jenes Volk kriegerischer Frauen aus der Antike erinnern, weshalb zumindest in frühen Werbeaufnahmen waffenbewehrte Damen neben dem Volvo posierten. Für Volvo wichtig war der damals relativ hohe Anteil weiblicher Käufer und die imagefördernden Erfolge von Rennfahrerinnen wie Sylvia Osterberg, die gleich mehrere Rallye-Championate auf dem Amazon gewann. Dies übrigens bereits mit einer zweitürigen Limousine, die erst im Oktober 1961 eingeführt wurde.

Während der Viertürer nun seine markante, aber modisch überlebte zweifarbige Lackierung einbüßte, sorgte unter der Haube der Amazon-Familie fortan das neue B18-Triebwerk aus dem Sportcoupé P1800 für Furore. Noch mehr Aufsehen erregten jedoch Coupéstudien auf Amazon-Basis und das vom belgischen Karossier Jacques Coune 1963 auf dem Brüsseler Salon präsentierte Amazon Cabrio. Zur Enttäuschung vieler Frischluftfans gab es das formschöne Cabrio jedoch nur in einer limitierten Auflage. Dies galt sogar für den im August 1966 vorgestellten Amazon/123 GT mit potentem 76-kW-/103-PS-Kraftwerk. Mit diesem 1.500-mal gebauten sportlichen Leistungsträger feierte die Amazon-Reihe ihren Karrierehöhepunkt.

Nachdem Ende 1967 der letzte Amazon Viertürer gebaut worden war, gab es Zweitürer und Kombi ab August 1968 noch mit dem auf 2,0-Liter-Hubraum vergrößertem B20-Motor und einem innovativen Abgasreinigungssystem. Aber der junge und deshalb technisch bessere Volvo 144 wurde des Volvo Amazon Feind. So überraschte es kaum jemanden, als im August 1969 das Ende für den Kombi kam und der Zweitürer zu Beginn des neuen Jahrzehnts seinen Abschied gab.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Volvo/SP-X

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