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Heute sind es vor allem schicke Minis wie der Fiat 500, die mit der italienischen Volumenmarke verbunden werden. Ganz anders im Dezember 1985. Damals wartete die Autowelt gespannt auf die Enthüllung des jüngsten Fiat-Flaggschiffs, mit dem die Turiner ihre Tradition großer Limousinen fortsetzen wollten. Eine stattliche Berlina war der neue Fiat Croma tatsächlich, aber mit klassisch gezeichneten direkten Vorgängern wie Fiat 130 oder Argenta hatte er nichts gemeinsam. Setzte der Croma doch trotz kurzen Stufenhecks auf eine praktische Heckklappe, ganz so wie die wenige Monate zuvor eingeführten großen Renault 25, Ford Scorpio und Saab 9000.

Mit dem Schweden verband den Fiat sogar weit mehr als nur die fünfte Tür, denn der Croma war in Zusammenarbeit zwischen Saab, Fiat, Lancia und Alfa Romeo entwickelt worden. Ein Markenquartett, das kaum unterschiedlicher sein konnte, und doch geeint wurde durch eine klamme Kassenlage und den unbedingten Willen, mit neuen Flaggschiffen zu frischen Erfolgen zu fahren. Gesagt, getan. Die Konzerne kooperierten und schoben das Gemeinschaftsprojekt Tipo 4 (Saab 9000, Fiat Croma, Lancia Thema und Alfa 164) in die Entwicklungspipeline. Wobei der Fiat Croma mit damals satten 2,66 Meter Radstand nicht nur auf dem Heimatmarkt verlorene Marktanteile in der Businessclass zurückerobern sollte, sondern sich mit starken Benzinern und schnellen Dieseln auch fit fühlte für einen Angriff aufs deutsche Establishment. Zu Recht, weshalb sogar die deutsche Fachpresse dem Turiner völlig überraschend das Zeug zum Bestseller attestierte.

Testresümees wie „größtes Raumangebot seiner Klasse“, „geringster Verbrauch und bessere Fahrleistungen“ oder „im Fahrverhalten vollauf überzeugend“ verfassten die Medien sonst über Reiselimousinen von Opel und Ford oder von süddeutschen Marken. Nicht aber über einen Fiat, der je nach Version obendrein bis zu 10.000 Mark billiger war als die teutonische Konkurrenz. Presselob, das Früchte trug. Denn das allererste Fiat-Spitzenmodell mit Frontantrieb und quer eingebauten Motoren schrieb eine Erfolgsstory fort, die in der oberen Mittelklasse Anfang der 1950er Jahre von der 1400/1900-Serie begonnen worden war und mit Einstellung der im Trapezdesign geformten 1.800- bis 2.300-Reihe im Jahr 1969 abriss. Wie diese legendären Vorfahren setzte sich der neue Croma in Deutschland nun sofort an die Spitze seines Importsegments und übertraf auch auf dem Heimatmarkt alle bereits hoch gesteckten Erwartungen. Mit dem Croma fand Fiat eine neue und zugleich letztmalige Bestätigung als erfolgreicher Generalist – als Massenhersteller, der auch gehobene Modellreihen begehrenswert machte.

Nach faden Interims-Flaggschiffen wie Fiat 132 und Argenta wirkte der für die technikaffinen 1980er Jahre konstruierte Croma geradezu charismatisch, zumal er als turboaufgeladene Topversion ein Brandstifter war, wie Fiat-Kunden noch keinen erlebt hatten. 215 km/h Höchstgeschwindigkeit und eine Sprintzeit von nur 7,9 Sekunden für das Erreichen der 100-km/h-Marke ermöglichte der bis 116 kW/158 PS starke 2,0-Liter-Vierzylinder. Nach heutigen Maßstäben keine Werte, die der Rede wert wären. Vor 30 Jahren aber beschleunigte nicht einmal der Porsche 944 S rasanter und in der Vmax konnte es der Fiat-Familienjet sogar mit einem Maserati Biturbo Coupé aufnehmen. Selbst ein vom Wind geglättetes Aerodynamikwunder wie der Ford Scorpio mit mächtigem 2,8-Liter-V6 sah beim Sprintderby die Rückleuchten des Croma Turbo i. e. am Horizont entschwinden. Raketengleich hoben auch die Verkaufszahlen des Fiat ab, obwohl im Alltag dann doch die schwächeren und billigen Vierzylinder-Benziner gefragt waren.

Aber auch hier konnte Fiat Besonderes bieten. Etwa den neuen 2,0-Liter-Magermix-Motor Croma CHT, der im Stadtverkehr rund 20 Prozent Verbrauchsersparnis bewirkte und sich im Normzyklus mit 5,5 Liter Verbrauch begnügte. Wer lieber zu noch etwas sparsameren Selbstzündern griff, hatte die Wahl zwischen konventionellen 2,5-Liter-Vierzylindern mit mageren 55 kW/75 PS und 2,4-Liter- oder 2,5-Liter-Turbo-Vierzylindern mit 74 kW/100 PS bis 87 kW/118 PS. Tempo war für Fiat Trumpf, gerade bei den in Italien populären Turbo-Dieseltriebwerken. Und so spurteten die vernehmlich nagelnden Vierzylinder-Croma mit einer Vmax von fast 200 km/h auch den schnellen deutschen Sechszylindern BMW 524 td und Mercedes 300 D (W 124) mühelos davon. Hierzulande allerdings nur auf der Straße und nicht in den Verkaufszahlen, denn dafür fehlte es Fiat dann doch an Markenfaszination. Umso faszinierender war der Meilenstein, mit dem sich der Croma 1.9 TD i.d. im Jahr 1987 in die Geschichtsbücher eintrug. Der weltweit erste in einem Pkw eingesetzte Diesel-Direkteinspritzer leistete 68 kW/92 PS und glänzte mit dem sensationell niedrigen Normverbrauch von 3,9 Liter/100 km bei 90 km/h. Ein Rekordwert, kein Auto war sparsamer, selbst der kleine Panda konsumierte gut 20 Prozent mehr!

Ein Liebling der deutschen Dieselkäufer wurde aber nicht einmal dieser Knauserkönig, der Croma brillierte hierzulande nur als Benziner. Über 1.200 Fiat-Händler gewährleisteten eine Distribution bis in entlegenste Dörfer und profitierten davon, das Fiat zur Croma-Markteinführung Anfang Mai 1986 ohnehin gerade stärkster Importeur in Deutschland war. Nicht einmal die damals auch in Deutschland den Alltag bestimmenden Sorgen um den Reaktorunfall von Tschernobyl konnten die Partylaune der Croma-Premierengäste beeinflussen. Die Fiat-Händler freuten sich über volle Auftragsbücher und die Italiener hatten anfangs Mühe, genügend Exemplare ihres Topmodells nach Germania zu liefern. Ein Nachfrageboom, der mehrere Jahre anhielt, zumal der Fiat ebenso wie die Entwicklungsgeschwister Lancia Thema, Saab 9000 und Alfa 164 solide verarbeitet und gut gegen Rost geschützt war. Erst in den 1990er Jahren kam es zu einem dramatischen Absturz in den Verkaufszahlen, an denen auch Modellpflegemaßnahmen nichts mehr ändern konnten. Zum einen geriet der Croma durch ein schlechtes Crashtest-Resultat vorübergehend in die Negativ-Schlagzeilen, zum anderen hatten die Konkurrenten mit neuen Modellen nachgelegt. Nur in Italien bewahrte sich der große Fronttriebler den Ruf einer Undercover-S-Klasse, die es nun sogar mit einem prestigeträchtigen 2,5-Liter-V6 gab. Die im Fond des Sechsenders chauffierten italienischen „Direttori“ sollen sich ähnlich wohl gefühlt haben wie in der längst verblichenen Direktionslimousine Fiat 130.

Als der Croma nach 450.000 Einheiten im Dezember 1996 still und leise aus dem Fiat-Programm gestrichen wurde, verabschiedete sich Fiat endgültig aus der oberen Mittelklasse. Daran änderte auch der von 2005 bis 2010 angebotene Croma zweiter Generation nichts. Waren die früheren Croma-Käufer doch längst zu anderen Marken gewechselt. Zudem basierte das neue Modell auf der kleineren Mittelklasse-Plattform des Opel Vectra. Die Volksmarke Fiat leuchtete nun nur noch durch Minis mit Kultstatus wie die neue 500-Familie und den Panda.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel

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