Buchtipp – Alphons Silbermann: Verwandlungen

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Es muss Mitte der 90er gewesen sein. Während einer Tagung nutzte ich die Pausen, um eine Zigarette zu rauchen. Das Rauchen habe ich später aufgegeben, ein Erlebnis an dem Tag aber nicht vergessen: Während ich noch in der Hosentasche nach einem Feuerzeug kramte, flammte plötzlich eines vor meiner Zigarette auf.

Der alte Herr, der mich freundlich anlächelte, war Alphons Silbermann, damals schon Mitte 80, und er verblüffte mich im kurzen Gespräch mit Schlagfertigkeit, Witz und Herzlichkeit. Seine Autobiographie, 1989 erstmals erschienen, ist nun vom Berliner Nicolai Verlag neu aufgelegt worden.

Es ist ein Leben voller Höhen und Tiefen, das er offenlegt. Dass dem Juden Silbermann das Thema Antisemitismus sehr am Herzen lag, zeigt sich in klaren Worten, die auch gerne unbequem sein dürfen, ja, sein müssen. Als Soziologe hat es sich ebenfalls alles andere als bequem gemacht. Diese Wissenschaft, in der sogar prominente Vertreter oft genug ziemlich unverständlich schreiben, hat er für ganz alltägliche Phänomene geöffnet. Fachkollegen haben ihn dafür belächelt – Silbermann durfte das herzlich egal sein. Aber wenn man nachliest, wie kühl und kurz die Universität Köln ihn 1974 (mit Erreichen der Altergrenze) als Professor verabschiedete, wirkt das noch gut 40 Jahre später sehr beschämend.

Eines seiner späten Werke sicherte ihm zuverlässig noch einmal sehr viel Aufmerksameit: Von der Kunst der Arschkriecherei hieß es, und der Tenor war: Es gehört zum Menschsein, bloß verschweigt man's nur zu gerne schamhaft. Das allerdings galt nicht, solange der Wissenschaftler zum Thema Alphons Silbermann hieß. Das ph im Vornamen gehörte übrigens zu den vielen kleinen Eitelkeiten, die er sich gönnte – und das sehr freimütig zugab.

Er war schon 80, als er seine Autobiographie vorlegte. Entsprechend umfangreich ist sie geworden, und der Autor gönnt sich neben den Eitelkeiten auch die Lust am Fabulieren. Das macht die Lektüre manchmal anstrengend, aber nicht weniger vergnüglich. Nicht zuletzt hat Alphons Silbermann, der 2000 im Alter von 91 Jahren starb, nachfolgenden Generationen viele Impulse mitgegeben, was die gesellschaftlich besser machen können. Und sollten.

Alphons Silbermann: Verwandlungen. Nicolai Verlag; 39,90 Euro.

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