Liebe Leserin!
Lieber Leser!

Nach alle den trüben Schreckensnachrichten aus dem Automobil-Lager in den vergangenen Woche über Tricksereien, über Behörden- und Verbrauchertäuschungen und über die existenzielle Bedrohung eines der größten deutschen Industrie-Unternehmen tut es mir heute mal richtig gut, über ein Thema zu reden, das erstens so nicht zu erwarten war und sich zweitens (Gott sei Dank mal wieder) ausschließlich mit den schönen Seiten des Automobilbaus beschäftig.

Der Hintergrund: Einer der größten und anerkanntesten Blechkleid-Schneider der Geschichte ist aus dem Ruhestand, der scheinbar zum Unruhestand mutierte, zurück auf die Bühne, die sein Leben war. Die Rede ist von Giorgetto Giugiaro. Der Italiener, der wahre rollende Schönheiten kreierte, hatte sich eigentlich aus dem so genannten Alltagsgeschäft zurück gezogen. Jetzt kam zu Beginn dieser Woche die Nachricht, dass er gemeinsam mit seinem Sohn Fabrizio mit einem neuen Designstudio noch einmal einen Neuanfang wagen möchte. „Ich fühle mich für das Rentnerdasein einfach noch nicht alt genug“, erklärte er der Fachzeitung „Automotive News“. Und: Er werde weiterhin das tun, was er nach eigenen Worten einigermaßen gut könne – „Autos entwerfen“.

Seine Demission war also nur von kurzer Dauer gewesen. Noch nicht einmal drei Monate nachdem er seine restlichen Anteile von 9,9 Prozent an dem von ihm gegründeten Unternehmen Italdesign an Audi und damit an den Volkswagen-Konzern verkauft hatte, wusste er offenbar nicht mehr wohin mit seinen Plänen und Ideen. Schon sein Name ist wie eine Sinfonie der Designkunst: Giugiaro. Der italienische Gestaltungs-Aristokrat, der schon mit 17 Jahren seine ersten Skizzen entwarf, arbeitete lange für die legendären Designschmieden Bertone und Ghia. Bevor er sich dann mit seiner eigenen Firma Italdesign selbstständig machte.

Aus der Feder und der Hand des Maestros entstanden unzählige Pracht-Fahrzeuge. Eine unüberschaubare Anzahl an Karosserie-Studien gehörten dazu, vor allem mehr als 100 kunstvoll geschneiderte Automobile, die in Serienproduktion gingen. Neben den so genannten Alltagsautos Audi 80, Volkswagen Golf oder VW Passat, entstanden auch so seltene Schönheiten wie der BMW M1 oder der Ferrari 250 GT Bertone. Nicht zu vergessen, ein Automobil, das vielen seiner Landsleute erst zu einer preis- und machbaren Automobilität verhalf: Der Fiat Panda.

Giugiaro ist ein von rastloser, aber nicht ratloser kreativer Unruhe getriebener Geist. Einer, der Illusionen zur Realität verhalf und das Bild unseres mobilen Miteinanders auf ganz eigene, unverwechselbare Art und Weise prägte. Und er ist ein Paradebeispiel für all Jene, die Angst vor dem Rentner-Dasein, vor der scheinbaren Nutz- und Bedeutungslosigkeit haben. Es gibt auch ein sinnvolles Weiterleben nach der Renten- oder Pensionsgrenze. Kreativität und Schaffenswille sind an kein Geburtsdatum gekoppelt und beides erlischt nicht automatisch an einem bestimmten Tag im Kalenderblatt. Giugiaro ist das beste Beispiel dafür. Er ist jetzt 77 Jahre alt.

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.

Ihr Jürgen C. Braun

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