New York: Taxifahrer für einen Tag

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Gut, dass die meisten Touristen hier mit dem Flugzeug ankommen. Denn Autofahren in New York ist echt die Hölle. Nicht umsonst ist die Fahrzeugdichte in Manhattan geringer als irgendwo sonst in den USA. Wer sich den Luxus irgendwie leisten kann, der lässt das mit dem eigenen Wagen, so dick ist der Verkehr, so lange die Staus und so nervig der Weg von Downtown nach Uptown. Doch des einen Leid ist des anderen Freud. Denn was in Manhattan an Privatwagen fehlt, das machen rund 14.000 Yellow Cabs wieder wett: 50.000 Taxifahrer spulen mit ihnen im Schnitt knapp 500.000 Touren am Tag und umrunden jeder fast drei Mal im Jahr den Globus.

Bis sie soweit sind, müssen sie normalerweise zumindest rudimentäres Englisch beherrschen und sich wenigstens halbwegs in der Stadt auskennen. Und sie müssen rund 500 Dollar in eine Prüfung investieren, in der sie diese Mindeststandards nachweisen müssen. Dass die nicht sonderlich hoch sein können, weiß jeder, der schon einmal in New York Taxi gefahren ist. Und wer es nicht glauben will, dem hilft vielleicht ein Blick in die Statistik. Denn nur ein Bruchteil der Cabbies sind Amerikaner, und mehr als die Hälfte kommen aus Bangladesch, Pakistan oder Indien. Und viele von ihnen wirken auf der Fahrt von Flughafen nach Manhattan so, als seien sie selbst erst fünf Minuten vor ihren Fahrgästen am JFK-Airport gelandet.

Aber keine Regel ohne Ausnahme, und eine davon bin ich. Denn um für das „Taxi of Tomorrow“ zu trommeln, schickt mich Nissan für einen Tag als Cab Driver am Steuer des NV 200 in den Dschungel von New York. Das Auto hat gute Publicity bitter nötig. Denn nachdem die Japaner 2011 den Wettbewerb für das Taxi-Monopol in Manhattan gewonnen haben, gab es statt Applaus nur jede Menge Ärger. Die Gerichte haben die Wettbewerbsregeln etwas aufgeweicht und auch wieder andere Taxen in die Zulassung geboxt, die Fahrer wehren sich mit Händen und Füßen gegen den seelenlosen Kastenwagen und im Straßenbild setzt sich das „Taxi of Tomorrow“ nur ganz, ganz langsam durch.

Die Umstellung wird nicht ganz so vollkommen, wie es sich Firmenchef Carlos Ghosn erhofft hatte. Und ganz so schnell geht es auch nicht. Doch am Ende werden binnen zehn Jahren trotzdem 25.000 gelbe Kastenwagen durch die fünf Boroughs rollen und den Japanern bei einem Stückpreis von rund 30.000 Dollar ein erkleckliches Sümmchen in die Kasse spülen. Außerdem ist der Einsatz in Manhattan eine gigantische Werbung für das Taxi, das seit dem Votum aus Amerika auch in London, in Barcelona und in vielen anderen Städten im Einsatz ist.

In New York sind immerhin die ersten 500 Nissans mittlerweile gelb lackiert und in einem davon kurve ich gerade am Südzipfel der Insel um den Battery Park. Während die Passagiere hinten fast fürstliche Platzverhältnisse genießen, fühle ich mich zwischen der Frontscheibe und der Trennwand aus Plexiglas wie ein viel zu großer Fisch in einem viel zu kleinen Aquarium. Und dass die Fahrgäste durch ein großes Panoramadach die Skyline genießen können, ist mir gerade herzlich egal.

Denn ich habe für die Schönheit der Stadt heute keinen Blick, und kämpfe mich durch einen Verkehr, der nie zur Ruhe kommt. Die Ohren klingeln vom ewigen Hupen der Kollegen, die Sinne sirren von den Sirenen, mit denen sich immer und überall und natürlich immer auf meiner Spur ein Krankenwagen oder ein Feuerwehrtruck Bahn bricht. Die Augen laufen über in einem Meer von Rücklichtern, Ampeln und Leuchtreklamen, die rund um den Times Square zu einem gigantischen Gleißen verschmelzen und den Kopf an seine Kapazitätsgrenze bringen.

Wenigstens die Angst vor den anderen Autos verliert man nach wenigen Minuten: Denn Taxifahrer, das merkt man schon an der ersten Kreuzung, haben Narrenfreiheit in New York – oder nehmen sie sich zumindest. Erst noch ein bisschen zögerlich und später mit einer fast diebischen Freude, wechselt man ebenso rücksichtslos wie unvermittelt die Spuren, schneidet an Kreuzungen bedenkenlos die ganze Schlange der Linksabbieger, bleibt stehen wo man will und dreht auf den wenigen Straßen ohne Einbahnregelung ohne Rücksicht auf Verluste. „Hup doch, in deinem ärmlichen Geländewagen“, wirft man den erbosten Hintermännern im Geiste zu und schickt ein mitleidiges Lächeln hinterher: Ich bin schließlich Cabbie und damit King of the Road. Und überhaupt: Wie soll man auch auf Verkehrsschilder und andere Autos achten, wenn man die ganze Zeit an den Straßenrand starrt, ob dort vielleicht gerade jemand die Hand hebt und „Taxi“ ruft?

Allein auf der Fahrt bis hinauf zum Times Square hätte ich heute ein kleines Vermögen machen können. Allerdings hätte ich dafür vorher auch ein großes Vermögen in die TLC-Medaille investieren müssen, die meinen Nissan zu einem echten Taxi machen würde. Das ist die offizielle Lizenz der Behörde, die jedes Cab stolz wie ein Kriegsveteran seine Orden auf der Motorhaube trägt. Und weil die „Taxi and Limousine Commission“ davon nicht einmal 14.000 Stück ausgibt, kann man diese Blechschilder nicht einfach kaufen, sondern muss sie für aktuell rund 800.000 Dollar ersteigern.

Gut, dass ich mich damit nicht beschäftigen muss. Mir reicht der Kampf mit meinem Nissan und mit den miserablen Straßen der Stadt. Mag ja sein, dass der Vierzylinder kaum mehr halb so viel säuft wie der 4,6 Liter große V8-Motor des Crown Victoria und meine Kollegen deshalb nicht mehr 50, sondern nur 20 Dollar pro Schicht in den Tank schütten. Aber dafür muss ich jetzt mit 188 Nm und 131 PS auskommen und mich obendrein mit einer stufenlosen Automatik herumschlagen, die jeden Funken Fahrfreude im Keim erstickt. Kurz vor Rot über die Ampel huschen, mal eben einen Kollegen abhängen oder schnell in die Lücke auf dem Joe DiMaggio-Highway einscheren – das ist mit dieser Antriebskombination eine echte Mutprobe.

Und selbst wenn die Nissan-Ingenieure eigens für die Fahrwerksabstimmung eine Straße aus Manhattan auf ihrem Testgelände nachgebaut haben und die Lenkung überraschend direkt agiert, ist der Kampf gegen die Schlaglöcher und Kanaldeckel in dieser Stadt aussichtslos. Nicht nur die Kunststoffe im Auto knirschen und quietschen auf jedem Kilometer, sondern auch meine Knochen. Da ist auch der sechsfach verstellbare Sitz mit dem atmungsaktiven Kunstleder-Polster nur ein schwacher Trost. Und wer hat den Entwicklern bloß eingeredet, dass sie eine leisere Hupe einbauen und stattdessen auf ein zusätzliches Blinklicht setzen sollten? Man stutzt einem Cowboy schließlich auch nicht den Colt.

Aber ich habe gut lachen. Die Knochen tun zwar weh, der Schädel raucht, die Ohren klingeln und außer dem zu gigantischer Größe gewachsenen Ego als König von Manhattan gibt es nichts mehr, was meinen geschundenen Körper nach diesem Tag noch Halt gibt. Aber meine Schicht endet nach sechs Stunden später draußen am Flughafen und keine zwei Stunden danach räkele ich mich in einem Jumbo auf dem Weg zurück nach Europa. Doch meine Kollegen müssen Tag für Tag aufs Neue ran und sich irgendwann mit ihrer Rolle hoch auf dem Gelben Wagen arrangieren.

Aber das wird schon werden, selbst wenn jeder Einzelne natürlich immer von seinem letzten Auto schwärmt und auf sein neuestes schimpft. Das war schon so, als der Crown Victoria das Checkers verdrängt hat. Und als die ersten Hybride kamen, haben die Taxifahrer genauso gejammert. Diesmal allerdings könnte es anders laufen und sie werden froh sein, dass sie überhaupt noch im Taxi sitzen. Denn viel mehr Sorgen als ein gelb lackierter Kastenwagen eines japanischen Herstellers aus einer mexikanischen Fabrik machen ihnen kunterbunte Limousinen und SUV: Der Fahrdienst Uber hat seit kurzem erstmals eine größere Flotte auf der Straße als die Yellow Cabs.

Text: Spot Press Services/Benjamin Bessinger
Fotos: Nissan/SP-X

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