Tradition: 40 Jahre Erweiterung der französischen Oberklasse

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Sie erheben Führungsanspruch, genau so wie ihre präsidialen Passagiere von Valéry Giscard d’Estaing bis François Hollande. Die Flaggschiffe von Citroën (und seit diesem Jahr DS als Edel-Division von Citroën) sowie von Renault und Peugeot finden sich seit 40 Jahren paritätisch im Fuhrpark des Pariser Élysée-Palasts. Waren es bis 1975 vor allem Citroën DS und SM, in denen sich die französischen Staatsoberhäupter chauffieren ließen, gab es nun neue Sechszylinder von Peugeot und Renault, die adäquate Repräsentation für politische und gesellschaftliche Prominenz ermöglichten. Sei es als Peugeot 604 in elegantem Pininfarina-Design oder als avantgardistischer Fließheckfünftürer Renault 30. Wer weiterhin die Marke im Zeichen des Doppelwinkels bevorzugte, für den fuhr dagegen der futuristische Citroën CX vor. Dieser begnügte sich zwar mit einem Vierzylinder, wurde jedoch mit dem damals wichtigsten Medienpreis „Auto des Jahres 1975 und dem begehrten Designpreis „Prix de Style ausgezeichnet. Erstmals seit 1945 präsentierte sich so ein Topmodell-Trio im Zeichen der Trikolore, das aber kaum unterschiedlicher sein konnte, auch was den Erfolg betraf.

Das galt auch für Deutschland, wo die gallische Extravaganz eine begehrenswerte Alternative zu BMW und Mercedes sein wollte. Mit dieser Mission startete der Citroën CX hierzulande im Februar 1975 und damit exakt zwei Monate vor dem Produktionsende der göttlichen DS, die vom stromlinienförmigen Cw-Weltmeister CX (steht im französischen für Cw-Wert) beerbt wurde. Der Peugeot 604 SL folgte im Juni und passend zur Frankfurter IAA stand der revolutionäre Renault 30 TS bereit, der die Sechszylinder-Klasse mit seiner riesigen Heckklappe erobern wollte. Gerade rechtzeitig, bevor der ebenfalls fünftürige Rover 3500 V8 für noch mehr Furore sorgte und der erste Audi 100 Avant beiden Vorbildern folgte. Während die neue automobile Haute Société in Frankreich an das Goldene Zeitalter vor dem Zweiten Weltkrieg erinnerte, als die meisten wirklich prestigieusen Autos noch Kinder der Grande Nation waren, zählten die Siebziger-Jahre-Spitzenmodelle von Citroën, Peugeot und Renault östlich des Rheins nie wirklich zur High Society. Begann diese doch nach deutschen Maßstäben erst in der Leistungsliga von Mercedes S-Klasse, BMW 3,0-Liter-Limousinen oder Opel Diplomat V8. Und selbst in der Auseinandersetzung mit den mittelgroßen BMW 5er, Mercedes-Benz 200 bis 280 oder Opel Commodore und Ford Granada hatten es alle Importeure nie wirklich leicht. Es sei denn, sie konnten durch Individualität und Futurismus begeistern, so wie es erstmals dem Citroën DS gelungen war.

Eine gute Ausgangssituation also für den neuen Citroën CX, die er zu nutzen wusste. Seine Erfolgsformel: Profane, dafür preiswerte Vierzylindermotoren, dazu feine Pallas-Ausstattung und das alles verpackt in spektakuläre Formen. Tatsächlich hatte Designer Robert Opron ein skulpturales automobiles Kunstwerk entworfen, das sich nicht hinter dem Citroën DS verstecken musste. Diesen sensationellen automobilen Eigensinn honorierten sogar die deutschen Käufer. Schon 1976, im ersten vollen Verkaufsjahr, gelangen dem CX knapp 10.000 Zulassungen, während Peugeot vom 604 nur 4.155 Einheiten absetzen konnte und sich Renault gar mit 3.679 verkauften 30 TS zufrieden geben musste. Zahlen, die aber ganz nach dem Geschmack der süddeutschen Premiumhersteller waren. Schließlich war den französischen Marken noch im März 1975 der Coup gelungen, mit ihren großen Limousinen die absoluten Stars des Genfer Salons zu enthüllen und so die Titelseiten der Medien zu erobern. Zumal sich die Sechszylinder Peugeot 604 und Renault 30 mit Preisen präsentierten, die um bis zu 35 Prozent unter den deutschen Platzhirschen lagen.

Beide Gallier blieben letztlich aber schon zu Lebzeiten Geheimtipps, im Rückblick zählen sie sogar zu den vergessenen Größen. Gesamt-Produktionszahlen von nur etwa 150.000 Einheiten liefern da eine leicht erkennbare Erklärung. Woran lag es? Der Renault 30 übertrug das erstmals beim Renault 16 von 1965 präsentierte Konzept einer eleganten Fließhecklimousine mit praktischer Heckklappe in die Oberklasse, wo es außerhalb Frankreichs schlicht nicht akzeptiert wurde. Ein Schicksal, das übrigens auch den Audi 100 Avant von 1977 ereilte. Vorübergehend europäischer Standard wurde die fünftürige Karosserieform erst Mitte der 1980er-Jahre, da hatte der Renault 30 das Feld bereits seinem Nachfolger Renault 25 überlassen, der nun immerhin die Früchte ernten konnte, die einst der R 30 gesät hatte.

Zumal der R 25 solider gebaut war. Zeigte Renaults erster Nachkriegs-V6 doch noch Qualitätsmängel, die zumindest für kritische deutsche Käufer jenseits der Toleranzgrenze waren und sogar Dauertestwagen der Fachpresse zu oft in die Werkstatt zwangen. Derartige Defizite plagten den Citroën CX übrigens noch massiver, ein Pressefahrzeug verbrachte während seines 18-monatigen Dauertests sogar 65 Tage mit Werkstattaufenthalten. Dennoch wurde dieses Laissez-faire für Citroën-Fans durch das Faszinationspotential der großen Limousinen und riesigen Kombis aufgewogen. So brachte es das Citroën-Topmodell bis 1991 auf eine Gesamtstückzahl von stolzen 1,2 Millionen Einheiten. Mit der damals oft zitierten Panzerschranksolidität eines Mercedes konnte übrigens nicht einmal der in gediegenem Design vorfahrende Peugeot 604 aufwarten. Dafür garantierte wenigstens Frankreichs erster moderner V6 sowohl im Peugeot wie im Renault 30 standesgemäßen Vortrieb. Den Leistungszenit reklamierte dabei die Löwenmarke, denn der Peugeot 604 hielt etwa im Jahr 1977 stolze 100 kW/136 PS bereit, während es beim R 30 TS nur 92 kW/125 PS waren und sich der Vierzylinder im Citroën CX 2400 lediglich 85 kW/115 PS entlocken ließ.

Nicht zu vergessen das Verdienst unserer westlichen Nachbarn um den Selbstzünder, war es doch vor allem der Peugeot 604, der den Diesel endgültig gesellschaftsfähig machten. So bot der 604 ab 1979 nicht nur den ersten in Europa verfügbaren Turbodiesel, er wurde auch zur ersten Selbstzünder-Staatslimousine mit verlängertem Radstand. Zuvor aber setzte der Citroën CX noch einen Diesel-Meilenstein. Nach einem Anfang 1978 erfolgten Facelift präsentierte sich der CX 2500 D nicht nur in nobler Pallas-Ausstattung, sondern auch mit 55 kW/75 PS Leistung. Genügend Kraft für das Cw-Wunderauto, um mit einer Vmax von 156 km/h den Titel der schnellsten Diesel-Limousine der Welt zu reklamieren. Exakt ein km/h schneller als der Mercedes 300 D mit Fünfzylinder-Diesel war der Vierzylinder-Franzose, mit einem Normverbrauch von 6,1 Liter bei 90 km/h jedoch zugleich über 20 Prozent sparsamer als der Sternträger. Auch der Renault 30 wurde als Turbodiesel lieferbar, konnte aber die Verkaufszahlen des Fünftürers nicht mehr befeuern. Manchmal genügt es nicht, seiner Zeit vorauszufahren. Weshalb die 2014 gegründete französische Avantgarde-Marke DS Automobiles stets ihre Vergangenheit zitiert, auch wenn die göttliche DS noch stolz das Citroën-Logo zur Schau stellte.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Hersteller/SP-X

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