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Wenn William Lyons über seine Werksanlagen in Coventry berichtete, geriet er gern ins Schwärmen. So erklärte der Gründer von Jaguar einmal, dass ein Automobil das Nächste zu einem Lebewesen sei, das man produzieren könne. Weshalb Lyons seine ebenso extravaganten wie leistungsstarken Fahrzeuge auch nach einem besonderen Lebewesen, nämlich dem kraftvollsten Jäger unter den schnellen Wildkatzen benannte. Bedeutet doch „Jag War“ in der südamerikanischen Heimat des Jaguars soviel wie „Der, der im Fliegen jagt“.

Und über entsprechendes Temperament verfügten die am 21. September 1935 im feinen Londoner Mayfair-Hotel vorgestellten Modelle SS Jaguar 2.5 Saloon und Tourer dank 2,7-Liter-Sechszylinder reichlich. Gleiches galt für den folgenden legendären Roadster SS 100, dessen Typenziffer zu Recht atemberaubende 100 mph (160 km/h) versprach und der deshalb wenig später ebenfalls den Namenszusatz Jaguar erhielt. Bis die Modellbezeichnung Jaguar zur Marke mutierte, dauerte es allerdings noch zehn Jahre: Erst mit Vorstellung der Nachkriegsneuheiten Jaguar 1.5-, 2.5- und 3.5-Litre verschwand das Kürzel SS, unter dem William Lyons – damals noch mit Partner Bill Walmsley – schon 1931 die Fertigung eigenständiger Automobile begonnen hatte. Was die Buchstaben SS bedeuteten, bleibt übrigens bis heute offen: Eine Hommage an die 1922 durch Lyons und Walmsley gegründete Swallow Sidecar Co, die mit dem Bau von Motorrad-Seitenwagen zur Keimzelle von Jaguar wurde? Oder stand SS für „Swallow Standard“, weil die Firma Standard Motoren und Chassis an SS lieferte? Egal, zur Ikone wurden die Autos aus Coventry erst durch die fauchende Katze am Kühlergrill.

Und durch das Markenmotto „Value for money“, denn mit erschwinglichem Luxus gelang Jaguar der Einstieg in die Eliteliga prestigeträchtiger Marken. War es vor dem Zweiten Weltkrieg der SS Jaguar 100, der trotz neuartiger Aluminiumkarosserie weniger als die Hälfte kostete als die Konkurrenten von Alfa Romeo oder Aston Martin, gelang Jaguar 1948 mit dem konkurrenzlos schnellen XK 120 die Auto-Sensation der Jahre des Wiederaufbaus. 120 mph (192 km/h) erreichte der futuristisch geformte Fast-and-Furious-Star, bei Versuchsfahrten maßen die Stoppuhren sogar 212 km/h. Genug Tempo für den Sprung über den großen Teich nach Nordamerika, wo der bezahlbare Jaguar einen Bestell-Boom auslöste. Sogar Hollywood-Stars wie Clark Gable und Tyrone Power begeisterten sich für die charismatische Katze. Auch in Deutschland kam der XK als erster Jaguar in den Handel, wurde aber durch ungünstigen Wechselkurs teurer und rarer als der staatstragende Mercedes 300 von Bundeskanzler Konrad Adenauer.

Auch Jaguars Renngeschichte kam mit dem XK 120 und dem davon abgeleiteten C-Type in Fahrt. Ersten Lorbeer erntete Lyons Racer in Le Mans, wo der C-Type die Konkurrenz 1951 geradezu deklassierte. Weiter ging es mit den D-Types, die Siege in Serie sammelten, darunter Erfolge in Le Mans 1955, 1956 und 1957. Auf überzähligen D-Type-Karosserien basierte der 280 km/h schnelle Straßensportler XK-SS, der durch Fahrer wie Steve McQueen das Markenimage weiter auflud. Dann das Desaster: Nach nur 16 Einheiten endete die Fertigung des XK-SS, denn ein Brand im Werk Browns Lane zerstörte die Hälfte aller Jaguar-Produktionsanlagen. Die Heftigkeit des Feuers veranlasste sogar Königin Elisabeth II. zu einem mitfühlenden Telegramm an William Lyons, den sie im Vorjahr zum Ritter geschlagen hatte.

„Fly the Flag“ (die Fahne hochhalten), lautete nun typisch englisch die Devise für Lyons, der sich nicht unterkriegen ließ und den Wiederaufbau nach dem Großbrand nutzte, um seine Marke noch charismatischer und kräftiger auftreten zu lassen. Sei es durch die Kreation der ersten kompakten Sportlimousinen als Jaguar MK II – mit 220 PS zeitweise schnellste Viertürer der Welt – oder durch den Erwerb des ältesten britischen Autobauers, der Daimler Motor Co., im Jahr 1960. Damit gewann Jaguar neue Produktionskapazitäten für eine goldene Dekade, die der Jaguar E-Type auf dem Genfer Salon 1961 eröffnete. Ein Jahrhundert-Sportwagen mit Traummaßen und einem leistungsstarken Herz. 195 kW/265 SAE-PS genügten ihm, um sogar Ferrari auf Distanz zu halten. Am Nimbus der bis dahin schnellsten Katze kratzten nicht einmal ihre qualitativen Unzulänglichkeiten, weshalb es der E-Type in 14-jähriger Produktionszeit mit einer Auflage von 72.529 Einheiten zum bis dahin meistgebauten Supersportler aller Zeiten brachte, zuletzt mit mächtigem V12-Triebwerk.

Nicht weniger erfolgreich war eine andere von Lyons gezeichnete Stilikone, die 1968 enthüllte XJ-Limousine. Tatsächlich betrachteten manche Fachleute den XJ sogar als ebenbürtigen Rivalen des Rolls-Royce Silver Shadow. Mit E-Type und XJ im Köcher überstand die Katzenmarke die stürmische Zeit des Fusionswirrwarrs und der Verstaatlichungen. Jaguar fusionierte mit der British Motor Corporation zur British Motor Holding BMH und die BMH wiederum mit Leyland zum fast 20 Marken umfassenden Moloch British Leyland Motor Corporation. Das war aber erst der Anfang für noch bitterere Zeiten. Die 1970er Jahre zwischen den Ölkrisen ließen die Verkaufszahlen auf 15.000 Einheiten pro anno abstürzen. Die Ursachen? Zu durstige V12, massive Qualitätsprobleme, mangelnde Motorsporterfolge fürs Image und kein Nachfolger für Lyons letzten Wurf, den XJ. Große Aufgaben, die aber ab 1980 unter dem strengen Regime des neuen Chefs John Egan gelöst wurden. Die folgende Fusion mit Ford feierte Jaguar wieder mit einem Erfolgsfeuerwerk: Erneuter Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans, 342 km/h schneller Supersportwagen XJ 220, Kundenzufriedenheit bei der neuen XJ-40-Baureihe, Absatzerfolge für den XJS und der Bestwert von 42.754 Jaguar, die 1990 vom Band rollten.

Für Ford reichte dies alles aber noch nicht, denn Jaguar sollte die weltweit absatzstärkste Luxusmarke werden. Ein Ziel, das trotz neuer Generationen der XJ-Reihe und V8-Sportlern wie dem XK8 verfehlt wurde. Immerhin gelang es den Briten 2001, die Produktionsmarke von 100.000 Einheiten pro Jahr zu überschreiten. Dazu beigetragen hatten der 1998 lancierte S-Type im Retrodesign früherer MK-Limousinen und ein brandneuer Baby-Jaguar namens X-Type. Zum Verhängnis wurde dem X-Type jedoch seine Abstammung vom Ford Mondeo – zu bürgerlich für einen Autobauer, der sich zu den Besten der Welt zählt. Trotz allem wurde die kleinste Katze mit über 350.000 Einheiten zum erfolgreichsten Jaguar aller Zeiten.

Der entscheidende Sprung in eine ertragreiche Zukunft auf den weltweit wichtigsten Luxusmärkten in Amerika und Asien gelang nach der Trennung von Ford. Ausgerechnet der indische Tata-Konzern aus der früheren britischen Kronkolonie wurde neuer Jaguar-Eigentümer und brachte die kapriziösen Katzen auf Kurs mit neuen Modellen und Formen. Mit Feingespür vermeiden die Inder Fehltritte, wie sie noch unter Ford für Verwirrung sorgten. Stattdessen vermitteln die jüngsten Jaguar eine stilistische Neuausrichtung, die beim XF von 2008 noch verblüffte, beim F-Type von 2013 aber bereits spontanen Beifall fand. Cool Cats, so wie sie William Lyons liebte, der im Rückblick auf sein Leben sagte: „Ziel meiner Arbeit war es, den Autofahrern Freude zu bereiten“.

Text: Spot Press Services/Wolfram Nickel
Fotos: Jaguar

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